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Demokratie in Sachsen: Engagement muss nicht steril sein
Gutachten: Vereine müssen trotz staatlicher Förderung nicht politisch neutral sein
Vor einigen Jahren fand in Sachsen eine von zivilgesellschaftlichen Initiativen organisierte Konferenz zum Thema Asyl statt. Gesprochen wurde dort auch über die »momentane sächsische Abschiebepraxis«. Geht es nach dem Sächsischen Rechnungshof (SRH), hätte das unterbleiben müssen. Der Grund: Viele der Teilnehmer und Organisatoren erhielten Fördergeld vom Freistaat Sachsen. Nach Ansicht der Kassenprüfer seien sie damit zu strikter Neutralität verpflichtet – was Kritik an Abschiebungen ausschließe. Es gebe, so ist in einem im März vorgelegten Sonderbericht des SRH zu lesen, »kein erhebliches staatliches Interesse, politische Positionen zum aktuellen Asylsystem zu fördern«.
Der Bericht galt eigentlich der Förderpraxis des Sozialministeriums im Bereich Integration, der er ein verheerendes Zeugnis ausstellte. Er sorgt aber seither auch für »große Verunsicherung« bei Vereinen und Initiativen der Zivilgesellschaft, sagt Miro Jennerjahn vom Bündnis »Tolerantes Sachsen«, das 135 von diesen vereint. Auslöser sind Forderungen des SRH, wonach »staatliche Förderung die (partei-)politische Neutralität nicht verlassen« dürfe. Moniert wird etwa, dass Kritik an Parteien geübt werde, »nahezu ausschließlich aus dem rechten und konservativen Spektrum«. Das halten die Kassenprüfer für unzulässig. Viele Engagierte, sagt Jennerjahn, wüssten seither nicht mehr, was sie dürfen und was nicht: »Uns fehlt Handlungssicherheit.«
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Die liefert jetzt ein Gutachten, das den Positionen des SRH vehement widerspricht und zudem bestreitet, dass dieser sich überhaupt zum Thema hätte äußern dürfen. »Er hat seine Kompetenzen weit überschritten«, sagt der Verfassungsrechtler Friedhelm Hufen, Autor der 45-seitigen Expertise. In Auftrag gegeben wurde diese von der für Demokratie und Toleranz engagierten und in Dresden ansässigen Cellex-Stiftung. Deren Geschäftsführerin Eva Sturm nennt das Agieren der Kassenprüfer schlicht »übergriffig«.
Inhaltlich betont das Gutachten, dass politische Positionierung der Vereine und Initiativen nicht im Widerspruch zu ihrer staatlicher Förderung stehe. »Politische Bildungsarbeit ist nie neutral«, sagt Hufen. Sie sei vielmehr auf Werte des Grundgesetzes und damit gegen Positionen wie Rassismus, Antisemitismus, Homophobie oder Europafeindlichkeit gerichtet. Würden solche Haltungen von Parteien vertreten, dürften diese auch konkret benannt werden. Politische Bildungsarbeit, so das Gutachten, dürfe Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung »auch und gerade dann abwehren, wenn diese von Programmen politischer Parteien ausgehen«.
Hufen wirft dem Rechnungshof vor, ein veraltetes Verständnis von Neutralität zu vertreten. Die Behörde verstehe dies als »politisch steril«. Sie hänge damit einem »Grundmissverständnis in den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart« an, sei aber nicht allein. Die Kontroverse um ein »Neutralitätsgebot« werde derzeit nicht nur in Sachsen und nicht nur im Bereich von politischer Bildung mit wachsender Schärfe geführt. Auch unter Richtern, Polizisten und Lehrern werde sie kontrovers diskutiert. Gerade im Bereich der Demokratiearbeit aber habe es die AfD »gut verstanden, das Thema zu instrumentalisieren und Engagierte mundtot zu machen«. In Sachsen zeigt das derzeit ein Untersuchungsausschuss, den die AfD einsetzte und in dem auch Vertreter von Demokratievereinen vorgeladen werden. Im Landtag hatte die AfD die Demokratieförderung als »ungeregelte wilde Politikfinanzierung« diffamiert und per Gesetz zu beenden versucht.
Das Gutachten stellt grundsätzliche Unterschiede zwischen staatlichen Stellen und Zivilgesellschaft heraus. Ministerien etwa seien zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Ihnen ist es untersagt, sich kritisch über nicht verbotene Parteien wie die AfD äußern. Der Rechnungshof argumentiert, die Verpflichtung gelte auch für Vereine, wenn sie Geld vom Staat erhalten: »Grundrechtseingriffe, die dem Staat selbst verwehrt sind, dürfen nicht mittels Förderung Privater indirekt veranlasst werden.« Das Gutachten widerspricht. Äußerungen zivilgesellschaftlicher Vereine würden durch staatliche Förderung »nicht zu hoheitlichen Meinungsäußerungen«, heißt es darin. Cellex-Geschäftsführerin Eva Sturm betont, sie würden durch das Geld »nicht zum Sprachrohr von Ministerien«, sondern blieben freie Träger.
In dem Gutachten benennt Hufen allerdings auch Grenzen des politischen Engagements von zivilgesellschaftlichen Initiativen. So seien Schmähkritik, Beleidigungen und etwa auch Nazivergleiche unzulässig. Auch Gegenveranstaltungen beispielsweise gegen AfD-Kundgebungen seien problematisch: »Diese dürfen nicht öffentlich finanziert sein oder von einer geförderten Vereinigung ausgehen.« Zurückhaltung sei unmittelbar vor Wahlen geboten. Schließlich weist Hufen auch darauf hin, dass »vollständige Freiheit« in all jenen Bereichen gelte, die ohne staatliche Zuwendungen auskommen: »Für Vereine dürfte es sich deshalb empfehlen, besonders kritische Initiativen – wo vorhanden – aus Eigenmitteln zu bestreiten oder organisatorisch auszugliedern.«
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