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Alle auf einen

Tiere verbünden sich manchmal miteinander, um andere zu mobben

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Eine Gruppe von Dohlen stürzt sich gemeinschaftlich auf einen Artgenossen.
Eine Gruppe von Dohlen stürzt sich gemeinschaftlich auf einen Artgenossen.

Die Gans ist eigentlich das geborene Opfer. Mensch, Wolf, Adler, Fuchs – alles Feinde, gegen die sie kaum eine Chance hat. Aber manchmal kommt doch alles ganz anders. So geschah es vor mehr als 60 Jahren, als der Verhaltensforscher Konrad Lorenz einen Fuchs beobachtete, der sich Gänsen näherte. Das Federvieh rottete sich zusammen und bildete sozusagen einen Mob, um den Fressfeind zu vertreiben. Lorenz prägte für diese Art von konzertierter Aktion den Begriff »Mobbing«. Später griffen Psychologen das Wort auf, um damit typisch menschliche Verhaltensmuster zu beschreiben, nämlich Psychoterror am Arbeitsplatz oder Schikanen auf dem Pausenhof. »Man kann Mobbingphänomene, wie man sie bei Menschen beobachtet, nicht eins zu eins auf das Tierreich übertragen«, sagt der Biologe Mario Ludwig aus Karlsruhe. Tiere mobben nämlich instinktiv. Meist geht es dabei um Abwehr, Schutz oder Verteidigung.

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Albinos haben es schwer

Weiße Elefanten gelten in Thailand als Glücksbringer, weiße Kängurus sind die Stars mancher Zoos. In freier Wildbahn haben es Albino-Tiere, denen aufgrund eines Gendefekts Farbpigmente fehlen, dagegen schwer. Sie sind für Raubtiere leichte Beute, da ihnen die Tarnung fehlt, und bekommen zudem schneller Sonnenbrände. Nicht nur das: Auch von ihren Artgenossen werden sie ausgegrenzt. So beobachteten Wissenschaftlerinnen in Uganda, wie Schimpansen Warnrufe ausstießen, als sie auf eine Mutter mit einem Albino-Jungtier stießen. Später bissen sie das Äffchen tot. Weniger aggressiv, aber ebenfalls unsozial reagierten Fische auf Albinos: Tschechische Forscher stellten fest, dass »normale« Welse auf Distanz zu bleichen Artgenossen gingen. Wahrscheinlich sind die auffällig weißen Welse für Raubtiere leicht auszumachen. Da sie die ganze Gruppe gefährden würden, halten sich die anderen Fische fern von ihnen. »Albino-Tiere werden oft von Artgenossen gemobbt«, sagt Ludwig. Auch Menschen, die an Albinismus leiden, laufen Gefahr, diskriminiert zu werden.

Vor lauter Stress kein Nachwuchs

Nacktmulle sehen nicht nur höchst sonderbar aus, sondern legen auch eigenartige Verhaltensweisen an den Tag. Ähnlich wie Ameisen oder Bienen haben die Nager nämlich ein streng organisiertes Sozialsystem. An der Spitze der Kolonie, die aus mehreren Dutzend Tieren besteht, steht die Königin. Sie ist als Einzige in ihrem Staat fruchtbar und paart sich mit bis zu drei Männchen. Dafür, dass nur sie allein Nachwuchs bekommen kann, sorgt die Chefin mit rabiaten Methoden: Sie piesackt ihre Untergebenen so stark, dass diese unfruchtbar bleiben. »Bei den Weibchen ist der Stress so groß, dass bei ihnen der Eisprung ausbleibt«, berichtet der Biologe Ludwig. Damit kann die Königin erreichen, dass allein sie sich fortpflanzt. Wissenschaftler nutzen das Nacktmull-Phänomen inzwischen, um stressbedingte Unfruchtbarkeit, wie sie auch beim Menschen vorkommt, zu erforschen. Der Biologe Chris Faulkes von der Queen Mary University of London stellte fest, dass sich unterdrückte Nacktmulle schnell paaren und Junge bekommen, wenn sie aus der »Diktatur« befreit werden.

Gemeinsam gegen größere Angreifer

Der Bobbit sieht aus wie ein Horrorwesen aus einem Science Fiction: Der nachtaktive Wurm, der bis zu drei Metern lang werden kann, vergräbt sich im Meeresgrund und lauert dort seiner Beute auf. Mit seinen mächtigen Kiefern packt er blitzschnell seine Opfer, darunter auch kleine Fische, und zieht sie in seine Wohnröhre. Forscher der Uni Basel haben beobachtet, wie Gelbschwanz-Scheinschnapper dem Riesenwurm ein Schnippchen schlagen. Entdecken die Fische den Feind, gehen sie folgendermaßen vor: Ein Fisch schwimmt zum Eingang der Wohnröhre, stellt sich fast senkrecht auf und bläst scharfe Wasserstöße in Richtung des Wurms. Andere Fische kommen hinzu und attackieren den Bobbit so lange mit weiteren Wasserstößen, bis sich dieser in seine Wohnhöhle zurückzieht. Für den Riesenborstenwurm brechen damit harte Zeiten an: Die Fische kennen jetzt seinen Aufenthaltsort und können ihn meiden, sodass es für den Bobbit schwer wird, Beute zu machen. Ganz schön clever, findet der Biologe Daniel Haag-Wackernagel, der mit seinem Kollegen die Entdeckung gemacht hatte: »Fische werden bezüglich ihrer mentalen Fähigkeiten meist völlig unterschätzt.«

Unter Vögeln ist Mobbing im ursprünglichen Sinn weit verbreitet: Insbesondere Singvögel tun sich gerne zusammen, um mit vereinten Kräften Greifvögel oder Eulen zu vertreiben. Ornithologen nennen das Verhalten auch »Hassen«. Besonders angriffslustig sind Raben- und Nebelkrähen, wenn sie ihr Brutrevier gegenüber Artgenossen und Greifvögeln verteidigen. Störenfriede werden dann im Flug bedrängt oder mit Alarmrufen vertrieben. Häufige Opfer von Krähenattacken sind Bussarde. »Attacken umfassen das Anfliegen des Bussards von unten, oben und hinten, mitunter sogar unter Einsatz von Krallen oder Schnabel«, berichtet Vogelexperte Stefan Bosch vom Nabu Baden-Württemberg. Damit nicht genug: Es wurde schon beobachtet, wie Krähen Greifvögel mit Zweigen oder Eicheln bewarfen. Noch rabiater gehen mitunter Drosseln vor, die ihre Feinde im Flug mit Kot bespritzen – was zur Folge haben kann, dass das Gefieder verklebt und die Tiere verenden. Mobber können aber auch in die Falle gehen: Früher setzten Jäger manchmal angebundene Eulen ein, um damit »hassende« Krähen und Co. anzulocken und zu erlegen. Das ist heute verboten.

Alle auf den Schwachen

Tatsächlich gibt es ihn, den Underdog – und das gar nicht so selten. Manchmal müssen Hundebesitzerinnen und -besitzer mitansehen, wie ihr Vierbeiner beim Gassigehen von Artgenossen gejagt, geknufft oder gar gebissen wird. »Besonders ängstliche Hunde, die entweder schlechte oder noch gar keine Erfahrungen mit anderen gemacht haben, werden zu Mobbing-Opfern«, sagt die Verhaltensbiologin Katrin Umlauf vom Deutschen Tierschutzbund. Ihr Verhalten kann Angriffe provozieren: Wenn sie zum Beispiel wegrennen, setzen andere Hunde ihnen instinktiv nach. In solchen Situationen ist der Mensch gefragt. Er sollte seinem gemobbten Tier einen sicheren Rahmen bieten und dafür sorgen, dass es Vertrauen gewinnt. Auch kranke Hunde und solche mit Handicap haben es oft schwer, da ihr Verhalten als befremdlich empfunden wird. »Für freilebende Tiere ist Gesundheit zum Beispiel für gemeinsame Jagderfolge überlebenswichtig«, erklärt Umlauf. Daher werden schwache und kranke Tiere als Gefahr für die Meute empfunden.

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