Gemetzel, Geschenke und das Singen darüber

In der »Gabenökonomie« der Antike wurde erst geplündert, dann verschenkt. Aber es geht auch ganz anders

Heute ist von den Inseln im Pazifik fast nur noch im Zusammenhang mit dem Klimawandel die Rede. Dabei steht die melanesische Kultur für eine große Erfindung: den auf Geschenken beruhenden Seehandel.
Heute ist von den Inseln im Pazifik fast nur noch im Zusammenhang mit dem Klimawandel die Rede. Dabei steht die melanesische Kultur für eine große Erfindung: den auf Geschenken beruhenden Seehandel.

Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass sich bei den alten Griechen, bekanntlich Erfinder unserer Zivilisation und Prototypen des modernen Bürgertums, das gesamte Sozialleben ums Geben und Nehmen kreiste. Oder richtiger: ums Nehmen und Geben. Über ein Jahrtausend hinweg feierten die Hellenen die Raubzüge ihrer brandschatzenden Vorfahren, die schon mal ganze Städte dem Erdboden gleichmachten, wenn einem ihrer Rädelsführer »etwas weggenommen worden war«, sprich: die Frau in eine andere Stadt zog. Die Reichtümer, die man sich bei Rachefeldzügen wie dem in Troja zusammenraubte, wurden dann wiederum zu Hause mit großer Geste verschenkt. Denn das homerische Griechenland praktizierte, wie es bei den Historikern heißt, eine »aristokratische Gabenökonomie«.

In David McNallys Buch »Blut und Geld« kann man nachlesen, welche Motivation hinter diesem Verhalten steckte: »Der soziale Status von Adeligen hing von ›konkurrierender Generosität‹ ab, also von der Fähigkeit, seinen Mitmenschen verschwenderische Gaben zuteilwerden zu lassen und sich wohltätig gegenüber denen zu zeigen, die in der sozialen Ordnung unter einem standen.« Weil durch die Gaben Bindungen und Verpflichtungen eingegangen wurden, so der kanadische Historiker weiter, hätten die Griechen in Erzählungen ausführlich an die Geschenke erinnert. Man könnte auch sagen: Die griechische Antike war eine stete Abfolge von Gemetzel und Geschenken sowie Liederabenden über beides.

Glaubt man den bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften, wurde schon bald alles anders, weil sich mit dem Tauschhandel eine geregeltere Form des Gebens und Nehmens durchsetzte. Auf Märkten wird ein Wert gegen einen anderen getauscht – angeblich zum Nutzen von allen.

Doch in Wirklichkeit verlief die Geschichte auch in dieser Hinsicht etwas anders. So betrachtete man die Märkte in Griechenland zunächst als eine Verlängerung des Krieges. Oder wie es der Schriftsteller Xenophon im vierten vorchristlichen Jahrhundert formulierte: »Wohin wir aber kommen und keine Kaufgelegenheit vorfinden, ob es nun im barbarischen oder griechischen Land ist, müssen wir die Lebensmittel nehmen, nicht aus Übermut, sondern aus Not.« Einkaufen und Brandschatzen – für die Väter unserer Zivilisation zwei Seiten derselben Medaille.

Eine Ökonomie ohne Raub und Märkte – wie soll die aussehen?

Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, ob eine Ökonomie nicht auch ganz ohne Raub und Märkte auskommen könnte. So wundert sich der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi in seinem Klassiker »The Great Transformation« ausführlich darüber, dass Märkte heute als Naturform des sozialen Umgangs gelten. In den meisten nicht europäischen Gesellschaften habe es so etwas wie eine eigenständige Wirtschaft überhaupt nicht gegeben, so Polanyi. Herstellung und Distribution von Gütern hätten vielmehr auf zwei nicht ökonomischen Prinzipien beruht: Reziprozität und Redistribution. War jemand beim Versorgen der Verwandten und Nachbarn nachlässig, habe sein Ruf gelitten. Es gehörte ganz einfach zum guten Ton, andere an den Erträgen von Gartenarbeit und Fischfang teilhaben zu lassen.

Aus dieser Form von Gabenökonomie entwickelten sich auch ganze Handelsnetze. Berühmt ist etwa der Kula-Handel im Westpazifik. Auf den Inseln Melanesiens hatte jeder Mensch einen Partner auf einer anderen Insel, der regelmäßig mit Geschenken bedacht wurde. Auf diese Weise festigten die Gemeinschaften ihre Verbindung, und Gebrauchsartikel zirkulierten zwischen den Inseln. Ein Seehandel ganz ohne Märkte.

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Doch auch Geschenke haben eine problematische Seite. Durch die Gabe wird der Beschenkte indirekt zu Gegenleistungen verpflichtet. Aus diesem Grund kannten manche Kulturen eine besonders schöne Form des Schenkens: Um die Gegenseite nicht zu beschämen, wurden Gaben beim Besuch einfach unauffällig fallen gelassen.

Wenn Sie zu Weihnachten also etwas Gutes tun wollen, orientieren Sie sich lieber an Polynesien als am alten Griechenland. Stellen Sie die neue Salatschüssel, die sie für ihre Cousine besorgt haben, einfach in einem unbeobachteten Moment in den Küchenschrank. Auf diese Weise sorgen Sie für ein allgemeines Wohlbefinden, das keinen konkreten Adressaten kennt. Und bitte auch keine Lieder darüber verfassen, in denen Sie sich Ihrer Großzügigkeit rühmen.

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