Die Rückkehr des Tapirs nach Rio

Die großen Landsäugetiere tragen zum Erhalt des Regenwaldes bei

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 3 Min.
Flachlandtapire helfen großen Bäumen bei der Verbreitung.
Flachlandtapire helfen großen Bäumen bei der Verbreitung.

Tapirus terrestris bedeutet auf Deutsch Flachlandtapir. Doch dieses größte und bis zu 300 Kilogramm schwere Landsäugetier Lateinamerikas ist auch in Bergregionen wie der des Atlantischen Regenwaldes in Brasilien beheimatet. Im Bundesstaat Rio de Janeiro haben übermäßige Jagd, Abholzung und Zersiedelung allerdings den Tapir schon vor mehr als einhundert Jahren ausgerottet.

Nun ist Tapirus terrestris wieder in den südostbrasilianischen Bundesstaat zurückgekehrt. Ein Muttertier und ihr Junges sind im vergangenen Jahr 2024 in eine Fotofalle des 38 000 Hektar großen Cunhambebe-Landesschutzgebiets im Süden Rio de Janeiros getappt. Das ist die erste Aufzeichnung einer spontanen Rückkehr von Tapiren seit 1914, als sie zuletzt im Atlantischen Regenwald von Rio gesehen wurden.

Nach Angaben des Biologen Marcelo Cupello des für das Schutzgebiet zuständigen Staatlichen Umweltinstituts (INEA-RJ) deuteten Fußabdrücke und Spuren darauf hin, dass möglicherweise mehr als zwei Tapire wieder durch das Unterholz von Cunhambebe streifen. Cupello nimmt an, dass sie wahrscheinlich aus dem Naturschutzgebiet Serra do Mar des benachbarten Bundesstaates São Paulo eingewandert sind. Dort gibt es noch eine relativ stabile Population dieser Art. Wissenschaftler schätzen die Anzahl der Tapire im 360 000 Hektar großen Serra-do-Mar-Reservat auf 249 bis 1494 Tiere. Genetische Analysen, die die Einwanderung der Tapir-Familie aus São Paulo bestätigen könnten, fehlten allerdings noch.

Zwar lebt seit 2018 eine Gruppe von etwa 20 Tapiren auch wieder im Bioreservat von Guapiaçu (Regua) in Cachoeiras de Macacu nördlich der Millionenmetropole am Zuckerhut. Doch diese Tiere sind Ergebnis des Wiederansiedlungsprojekts Refauna und keine Rückkehrer. Die Anwesenheit von Tapirus terrestris im Cunhambebe-Naturreservat sei eine sehr wichtige Neuigkeit für die Wissenschaft, betont Refauna-Koordinator Maron Galliez. Sie zeige das Potenzial für Ausbreitung und Anpassung dieser großen Säugetiere selbst in fragmentierten Atlantischen Regenwaldgebieten wie in Cunhambebe.

Tapire gelten als »Gärtner« des Regenwaldes. Ihr Fehlen führt zu ökologischen Ungleichgewichten und zu einer Umstrukturierung des Waldes, sie spielen eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung von großen Baumarten. Da sie sich von den Früchten bestimmter Arten ernähren, verbreiten sie insbesondere die größeren Samen mit ihrem Kot und fördern damit die natürliche Regeneration des Waldes. Außerdem tragen sie zusammen mit den Nabelschweinen deutlich zur Düngung des Bodens bei.

Eine 2021 veröffentlichte Studie der Landesuniversität von São Paulo zeigte, dass in Gebieten ohne diese Fruchtfresser der Gehalt der Stickstoffverbindung Ammonium im Boden um bis zu 95 Prozent niedriger war. Die Ergebnisse belegten erstmals die Bedeutung der Tapire für den Stickstoffkreislauf und sind, so die Forscher, eine weitere Warnung vor Ökosystemverlusten, die das Verschwinden großer Säugetiere aus den tropischen Wäldern mit sich bringe.

Das Biom des Atlantischen Regenwaldes erstreckte sich ursprünglich im Osten Südamerikas zusammenhängend über 4000 Kilometer von Argentinien bis Nordostbrasilien. Davon sind nur noch etwa elf bis 16 Prozent übrig. Eine 2022 veröffentlichte Langzeitstudie eines internationalen Forscherteams zu Verbreitung und Erhaltungszustand von Tapirus terrestris im Atlantischen Regenwald ergab, dass es in den fragmentierten Restgebieten dieses Bioms heute noch etwa 2665 bis 15 992 Tapire in wenigstens 48 zersplitterten Populationen gibt.

»Die Ergebnisse dieser Studie geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus hinsichtlich der Zukunft der Tapire im Atlantischen Regenwald«, lautet das Fazit der Studie. Obwohl die Naturschutzreservate vor allem in Brasilien stark unterfinanziert seien, hätten sich die Tapir-Populationen zu erholen begonnen, und sie besetzten wieder Gebiete, in denen sie seit Jahrzehnten oder noch länger nicht vorkamen. »Die meisten Tapir-Populationen des Bioms sind keiner offensichtlichen unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt«, schreiben die Forscher. Und in neun Schutzgebieten scheine die Zahl der Exemplare dieser für das Waldökosystem wichtigen und einzigartigen Tierart zuzunehmen.

Tapire gelten als »Gärtner« des Regenwaldes.

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