Agent, Terrorist, unerwünscht

Russland schafft mit verschiedenen Listen ein Repressionsinstrument gegen ungewollte Meinungen

  • Fedor Agapov
  • Lesedauer: 6 Min.
»Ihr seid selbst ausländische Agenten«: Anti-Regierungs-Protest von russischen Journalisten gegen die Einschränkungen für ihre Arbeit durch das Ausländische-Agenten-Gesetz 2021.
»Ihr seid selbst ausländische Agenten«: Anti-Regierungs-Protest von russischen Journalisten gegen die Einschränkungen für ihre Arbeit durch das Ausländische-Agenten-Gesetz 2021.

Am 2. August verabschiedete Russland ein Gesetzespaket, mit dem jede ausländische Organisation zur »unerwünschten Organisation« erklärt werden kann, und verschärfte damit einen 2015 eingeführten Status. Während dieser zuvor nur für nicht-staatliche Einrichtungen galt, können nun auch die Aktivitäten von Organisationen, die von ausländischen staatlichen Behörden gegründet wurden, als »unerwünscht« eingestuft werden.

Auf den ersten Blick mag der Status »unerwünscht« nicht allzu dramatisch erscheinen. Aber in der Realität hat er in Russland sehr ernste Konsequenzen für die Betroffenen. Denn nach Ansicht der russischen Generalstaatsanwaltschaft stellen unerwünschte Organisationen »eine Bedrohung für die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung, die Verteidigungsfähigkeit oder die Sicherheit« des Landes dar. Sobald dieser Status zuerkannt wird, wird die Arbeit einer solchen Organisation im Wesentlichen verboten – sie muss ihre Büros schließen und darf keine Geldgeschäfte tätigen. Wer mit der Organisation in irgendeiner Weise zusammenarbeitet, muss mit Geld- oder Gefängnisstrafen rechnen. Dafür reicht es schon aus, Inhalte der Organisation etwa auf Facebook zu teilen. Nach Berechnungen des US-Staatsmediums »Sewer.Realii« gab es 2024 bereits 101 Verfahren wegen der »Beteiligung« an unerwünschten Organisationen, doppelt so viele wie in den beiden vergangen Jahren.

Vermeintlicher Schutz vor ausländischer Einmischung

Russische Behörden verteidigen das Gesetz als notwendig, um eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu verhindern. Doch der repressive Charakter liegt auf der Hand. So wurde beispielsweise kremlkritischen Medien wie »Meduza« und »Doschd« der Status einer »unerwünschten Organisation« erteilt, um ihre Arbeit zu erschweren.

Aber auch andere Organisationen, deren Recherchen der Regierung schaden könnten, geraten in den Fokus. Die internationale Anti-Korruptionsorganisation Transparency International etwa ist seit vergangenem März »unerwünscht«. Auch die Zentraleuropäische Universität in Wien oder russische Exilorganisationen in Deutschland stehen auf der Liste. Am Mittwoch erhielt als 182. von bisher 186 Organisationen auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung den Status. Mit der Gesetzesverschärfung wird es für die Regierung noch einfacher, Organisationen auf die Liste zu setzen.

Neben der Liste der »unerwünschten Organisationen« gibt es noch zwei weitere Verzeichnisse, mit denen der Kreml seine Gegner markiert. Das Register »ausländischer Agenten« umfasst Personen und Organisationen, die nach Ansicht der Behörden ausländische Unterstützung erhalten oder unter ausländischem Einfluss stehen. Gleichzeitig ist der Begriff »ausländische Unterstützung« sehr vage definiert, sodass jede Person oder Organisation, die auf die eine oder andere Weise mit ausländischen Staaten, internationalen und ausländischen Organisationen oder ausländischen Bürgern zusammenarbeitet, auf die Liste gesetzt werden kann. Jeden Freitagabend werden neue Namen in das Register aufgenommen.

Ein Echo aus der sowjetischen Vergangenheit

Dieser Status, der wie ein Echo aus der sowjetischen Vergangenheit klingt, ist mit einer massiven Einschränkung von Rechten verbunden. »Ausländischen Agenten« ist es untersagt, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren, an staatlichen Stellen zu arbeiten oder öffentliche Aussagen zu machen, ohne darauf hinzuweisen, dass sie ausländische Agenten sind. Die bekannte russische Politikwissenschaftlerin Jekaterina Schulman beispielsweise, schreibt in jedem ihrer Posts: »Dieses Material wurde von einem ausländischen Agenten erstellt oder verbreitet«. Niemand, selbst Schulman nicht, weiß, worin genau ihre »Agententätigkeit« besteht. Hunderte von Personen wurden nur deshalb in die Liste aufgenommen, weil sie sich kritisch über die russischen Behörden geäußert hatten.

Gegen die Opposition werden noch schwerere Geschütze aufgefahren. Der letzte Teil des Dreiklangs ist das Register der Terroristen und Extremisten. Zwar gibt es derartige Verzeichnisse auch in anderen Ländern, doch die Besonderheit in Russland liegt in der Kombination der beiden Kategorien und in der Zusammenstellung der Liste.

»Extremismus« ist in Russland juristisch nicht definiert

Neben Personen, die tatsächlich an der Vorbereitung von Terroranschlägen beteiligt waren, finden sich dort auch Menschen, deren Äußerungen der russische Staat als »extremistisch« bewertet. Da der Begriff nicht genau definiert wird, ist der Übergang vom »ausländischen Agenten« zum Extremisten fließend. So soll Alexej Nawalny, der im Februar dieses Jahres im Gefängnis starb, »in den Terrorismus verwickelt« gewesen sein – was immer das heißen mag.

Wer auf diese Liste gesetzt wird, verliert den Zugang zum Bankkonto und hat Schwierigkeiten, einen Job zu finden. In seltenen Fällen werden, wie im Fall des Schriftstellers Boris Akunin, auch die Konten von Verwandten gesperrt.

Die beiden Status schließen sich auch nicht gegenseitig aus. So wurde beispielsweise der linke Intellektuelle und Soziologe Boris Kagarlitzky, der derzeit wegen seiner Veröffentlichungen über den Krieg in der Ukraine im Gefängnis ist, von der russischen Regierung auf beide Listen gesetzt.

Der Umgang mit Menschen wie Kagarlitzky wirft die Frage auf, ob man von den Listen auch wieder gestrichen werden kann. Formal lautet die Antwort ja. Aber in der Realität ist das oft schwierig, vor allem wenn jemand gleich mehrere Status hat. Um von der Liste der »Terroristen und Extremisten« gestrichen zu werden, muss der Betroffene die Einstellung eines Strafverfahrens oder der Strafverfolgung erreichen. Bei politischen Flüchtlingen aus Russland kann dies eine unbestimmte Zeit in Anspruch nehmen.

Nur ganz wenige haben es von den Listen herunter geschafft

Im Falle von »ausländischen Agenten« sieht die Situation ähnlich aus, obwohl es Präzedenzfälle gab, in denen Einzelpersonen nachweisen konnten, dass sie keine ausländischen Partner haben. Allerdings können russische Behörden immer ausländische Verbindungen »finden«, wenn dies gewünscht ist.

Präsident Wladimir Putin übt mithilfe dieser Register Kontrolle über die russische Öffentlichkeit aus. Auf der einen Seite stehen die eigene Regierung, Militär und Polizei; auf der anderen Seite die »unerwünschten Organisationen«, die den Staat zu destabilisieren versuchen, sowie »ausländische Agenten« und Terroristen. Auch wenn dieses Framing grobschlächtig wirkt, hinterlässt es doch Spuren im gesellschaftlichen Bewusstsein und formt eine neue politische Landschaft.

Auch deshalb ist es einfach, den jüngsten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen nach innen als einen neuen Sieg für Putin darzustellen – gemäß der offiziellen Linie: Russland hat seine patriotischen Helden zurückgegeben und im Gegenzug nur einige »ausländische Agenten« und Terroristen zurückgegeben. Wer wirklich ein Agent und wer ein Terrorist ist, interessiert dabei niemanden.

 

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