Thüringen: BSW würde für AfD-Gesetzentwürfe stimmen

Aus der MDR-Diskussionsrunde der Thüringer Spitzenkandidaten bleiben zwei Erkenntnisse – eine ist bekannt, eine beunruhigend

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Spitzenkandidaten zur Landtagswahl in Thüringen diskutieren in der MDR-Sendung »Fakt ist!« ihre Positionen.
Die Spitzenkandidaten zur Landtagswahl in Thüringen diskutieren in der MDR-Sendung »Fakt ist!« ihre Positionen.

Ungefähr 75 Minuten dauert das Detail- und Themenhopping an diesem Donnerstagabend schon, bis es endlich zu einer der großen Fragen kommt, die für die Zukunft Thüringens wirklich von Bedeutung sind. Nicht dass das, worüber bei dieser Podiumsdiskussion des MDR in den Minuten zuvor gesprochen wurde, nicht auch wichtig gewesen wäre. Aber das, was die Spitzenkandidaten von AfD, CDU, BSW, Linke, SPD, Grüne und FDP zur Migrationspolitik, zur Wirtschaft und zur Bildung bei dieser Gelegenheit sagen, haben die Wähler von ihnen schon dutzendfach gehört.

Die ewige Widerholung dieser Themen erklärt, warum sich in den Umfragen zur Thüringer Landtagswahl am 1. September seit geraumer Zeit kaum noch etwas bewegt. Zumindest abgesehen davon, dass das Auftauchen des BSW auf der landespolitischen Bühne in Erfurt die Zustimmungswerte der Linken massiv dezimiert hat.

Im Grunde also wissen die Menschen im Land längst, was sie von den einzelnen Parteien und ihrem Spitzenpersonal zu halten haben, auch wenn das ihnen die Wahlentscheidung nicht unbedingt einfacher macht. Nach einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage des ZDF-Politbarometers sind 40 Prozent der potenziellen Wähler noch nicht sicher, ob beziehungsweise wem sie ihre Stimme geben sollen.

Und deshalb ist es auch nicht wirklich wichtig oder gar neu, dass bei dieser Podiumsdiskussion Thüringens Ministerpräsident und Linke-Spitzenkandidat Bodo Ramelow zum Beispiel erneut davon spricht, der für ihn entscheidende Punkt bei der Migrationspolitik sei, wie man Flüchtlinge »in Arbeit bringen« könne. Oder dass Thüringens Innenminister und SPD-Frontmann Georg Maier den roten Sheriff gibt und konsequente Abschiebungen von kriminellen Asylbewerbern fordert. »Und wer sich nicht an die Regeln hält, muss wieder gehen.« Oder dass der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt – »Ich bin Vater von zwei schulpflichtigen Kindern!« – eine Übernahmegarantie von Nachwuchslehrern in Thüringen will.

Alles bekannt, alles unspannend, was ein Eindruck ist, der durch den Zuschnitt der Sendung noch befördert wird: Statt bei einem konkreten Thema oder einer Detailfrage eines Großthemas in die Tiefe zu gehen, werfen die beiden Moderatoren der Diskussion, der MDR-Journalist Lars Sänger und die MDR-Chefredakteurin Julia Krittian, jedem Spitzenkandidaten und der einzigen Frau in der Runde, der BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf, eine auf sie zugeschnittene Detailfrage hin und hetzen dann weiter. Nächster Kandidat, nächstes Detail, nächster Kandidat, nächstes Detail, nächster Kandidat, nächstes Detail. Eindeutig geht es den MDR-Leuten an diesem Abend um Breite vor Tiefe, was zu Chaos statt Erkenntnis führt.

Erst als Sänger Wolf fragt, ob das BSW denn auch von der AfD eingebrachten Gesetzentwürfen im Thüringer Landtag zu einer Mehrheit verhelfen würde, wenn diese aus BSW-Sicht inhaltlich richtig seien, gibt diese Diskussion doch noch richtungsentscheidende Hinweise für die Lage in Thüringen. Denn obwohl Wolf zunächst noch herumdruckst – »Ich glaube, dass wir uns inhaltlich mit der AfD auseinandersetzen müssen« –, ist ihre Aussage dann doch ziemlich eindeutig: Ja, das BSW würde in Thüringen grundsätzlich auch AfD-Gesetzentwürfe mitbeschließen. Auch wenn Wolf noch sagt, ihre Lebenserfahrung zeige, dass AfD-Gesetzentwürfe selten so qualitativ hochwertig seien, dass man sie guten Gewissens beschließen könnte. Und falls das doch anders sein sollte? »Dann ist es die Macht des Arguments im politischen Raum«, sagt Wolf.

Das ist eine Aussage, die kurz vor dem Ende des Wahlkampfs die Debatte darüber noch einmal massiv anheizen dürfte, ob das BSW zwar vielleicht einen AfD-Ministerpräsidenten namens Björn Höcke verhindern will, aber doch zu einer inhaltlichen Zusammenarbeit mit der als rechtsextrem eingestuften Partei bereit ist. Dass diese Debatte nun noch vehementer als zuletzt geführt werden wird, ist die erste Erkenntnis dieser Debatte.

Die zweite Erkenntnis ist eine, die eigentlich bekannt ist und doch immer wieder missachtet wird: Es ergibt keinen Sinn, von AfD-Vertretern wie Höcke konkrete Antworten auf konkrete Fragen zu erwarten. Auch nicht in einem journalistischen Format. Sänger und Krittian erfahren das an diesem Abend ein ums andere Mal, wobei sie auf diesen Umstand immerhin wieder offensiv, fast schon trotzig hinweisen. Schon die ersten Worte Höckes an diesem Abend zeigen, dass er sich wie üblich bei seinen Auftritten viel lieber in populistischen Problembeschreibungen ergeht, als Fragen zu beantworten. »Also ich muss viel grundsätzlicher werden«, sagt er gleich zum Auftakt, ehe Sänger und Krittian ihn sofort unterbrechen. Was ihm nicht gefällt: »Noch mal – ich möchte jetzt gerne mein Eingangsstatement loswerden.« So geht das mehrfach.

Dass er das schließlich nicht kann, lässt Höcke ziemlich zerknirscht zurück. Wie bei seinem TV-Duell mit Voigt bringt es ihn offensichtlich aus dem Konzept, wenn er nicht vor jubelnden Anhängern redet.

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