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Hitze in US-Gefängnissen: »Lebend gekocht«
In US-Gefängnissen erreichen die Zellentemperaturen bis zu 65 Grad – Zustände, die an Folter grenzen
Im britischen »Guardian« war in der vergangenen Woche zu lesen, was die extreme Hitze für Gefangene in den USA bedeutet. Geschildert wurde der Fall des 47-jährigen Jason Wilson, der in der texanischen Justizvollzugsanstalt von Coffield Unit einsaß. Als die Hitzewelle im Süden der USA Ende Juni begann, sei die Temperatur in seiner Zelle auf 115 Grad Fahrenheit (46 Grad Celsius) gestiegen, berichtete Wilson einem Angehörigen. Als sich seine Anwältin daraufhin einschaltete und bei der Haftanstalt anrief, versicherte man ihr, dem Häftling gehe es gut. In Wirklichkeit war er zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben – die Hitze hatte zu einem Kreislaufversagen geführt.
Nichtregierungsorganisationen (NGO) weisen regelmäßig darauf hin, dass die Verweigerung gesundheitserhaltender Maßnahmen in US-Gefängnissen System hat. Vor diesem Hintergrund reichten verschiedene NGOs bereits im April dieses Jahres eine Zivilklage gegen den Bundesstaat ein. Darin heißt es: »Gefangene in Texas werden lebend gekocht. Allein letzten Sommer starben mehrere Personen und erlitten Hunderte hitzebedingte Erkrankungen wegen der drückenden Temperaturen in den Gefängnissen.« Um dem Hitzetod zu entgehen, würden Inhaftierte ihre Toiletten fluten und sich in das Wasser auf dem Zellenboden legen.
Betroffen von diesen »unmenschlichen und qualvollen Bedingungen« sind laut der Nichtregierungsorganisation »Texas Prisons Community Advocates« etwa zwei Drittel der 130 000 Häftlinge in dem US-Bundesstaat, also etwa 85 000 Menschen. Aufgrund fehlender Klimaanlagen würden die Temperaturen im Sommer regelmäßig bei über 37 Grad Celsius liegen. 2023 sei in einer Zelle sogar eine Spitzentemperatur von 65 Grad Celsius gemessen worden. »Experten gehen davon aus, dass zwischen 2001 und 2019 in den Gefängnissen von Texas 271 Personen an extremer Hitze starben«, konstatiert die Solidaritätsorganisation.
Wie kaum anders zu erwarten, weisen die zuständigen Behörden jede Verantwortung zurück. David Sweetin vom Texas Department of Criminal Justice äußerte gegenüber Regionalmedien, man müsse bei Todesfällen die Vorerkrankungen berücksichtigen. Auffällig beim Verhalten des Bundesstaates ist jedoch, dass die Todesursache »Hitze« seit 2012 statistisch gar nicht mehr erfasst wird.
Texas ist hier alles andere als ein Einzelfall. Das Online-Medium »Atlanta Community Press Collective« berichtet von einem ähnlichen Todesfall im Telfair State Prison im Bundesstaat Georgia. Im Juli 2023 hätten Schließer den 27-jährigen Gefangenen Juan Carlos Ramírez bei sengender Hitze in einen offenen Stacheldrahtkäfig gesperrt. Bei Temperaturen von 40 Grad Celsius im Schatten sei der Häftling nach einigen Stunden kollabiert und konnte nicht mehr gerettet werden. Medizinisches Personal stellte fest, der Körper von Ramírez sei auf 42 Grad aufgeheizt gewesen.
In den USA, wo etwa 1,8 Millionen Menschen und damit mehr als 0,5 Prozent der Bevölkerung inhaftiert sind, ist das kein marginales Problem. Zwar ist der Anteil der Gefängnisinsassen pro Gesamtbevölkerung seit 2008 leicht gefallen, doch die Gefängnisse dienen in der reichsten Industrienation der Welt weiterhin als Ort zur Verwahrung von Armen. Dass den Weggesperrten eine ordentliche Gesundheitsversorgung verweigert und damit ihr früher Tod in Kauf genommen wird, gehört zum Alltag – nicht nur in den USA. Mit dem Klimawandel häuft sich nun auch die Wahrscheinlichkeit, an Hitzefolgen zu sterben.
Der Zusammenhang ist mittlerweile auch statistisch nachgewiesen. 2023 untersuchte die Epidemiologin Julianne Skarha die zeitliche Häufung von Todesfällen in US-Haftanstalten und stellte einen signifikanten Anstieg während der Sommermonate fest. Herzinfarkte, Schlaganfälle und Suizid stehen in direktem Zusammenhang mit hohen Temperaturen, denen die Häftlinge schutzlos ausgeliefert sind.
Maggie Luna, eine Menschenrechtsaktivistin, die selbst einige Jahre im Süden der USA in Haft verbrachte, schilderte ihre Erfahrung mit den Hitzewellen gegenüber dem texanischen Fernsehsender KXAN folgendermaßen: »Man meint zu ersticken. Alle Frauen, die mit mir einsaßen, hatten niedrige Haftstrafen. Aber sie hatten Angst, dass sich ihre Haft am Ende in eine Todesstrafe verwandeln könnte.«
Im Staatsgefängnis Lucile Plane, wo Luna ihre Strafe verbüßte, beträgt die Höchststrafe zwei Jahre. Doch für Arme kann auch ein Bagatelldelikt während eines Hitzesommers tödlich enden.
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