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US-Wahlkampf: Trägt der Hype um Harris bis zur Wahl?
Kurz vor ihrem Parteitag scheinen die Demokraten geradezu von Euphorie erfasst zu sein. Aber bis zur Wahl sind es noch drei Monate
Die Demokraten sind wieder da – jedenfalls bemüht sich die Partei, nach dem Rückzug von US-Präsident Joe Biden aus dem Wahlkampf diesen Eindruck zu vermitteln. Nicht ganz ohne Erfolg: Um die Kandidatur von Vizepräsidentin Harris hat sich ein regelrechter Hype entwickelt. Vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten vom 19. bis 22. August in Chicago hofft die Partei, dass der Rückenwind anhalten wird.
Bemerkenswert war es, mit welcher Geschlossenheit und Geschwindigkeit sich die Partei hinter Harris versammelte. Lagerübergreifend war man offensichtlich der Ansicht, dass Biden keine Chance mehr gegen Donald Trump haben würde. Planspiele, wonach auf dem Parteitag mehrere Kandidatinnen und Kandidaten gegeneinander antreten sollten, wurden schnell abmoderiert. Auch der linke Parteiflügel stellte sich schnell hinter die Vizepräsidentin, obwohl sie gleich zu Beginn ihrer Kampagne Anliegen wie einer allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung, die sie in der Vergangenheit – insbesondere im Vorwahlkampf von 2019 und 2020 – unterstützt hatte, eine Absage erteilte. Abgesehen von generischen Betroffenheitsstatements gibt es auch wenig Anzeichen dafür, dass sich unter einer möglichen Präsidentschaft von Harris die Haltung der USA im Gaza-Krieg substantiell verändern würde. »Wenn ihr wollt, dass Donald Trump gewinnt, dann sagt weiter solche Sachen«, blaffte sie eine Gruppe von Protestierenden an, die sie bei einer Rede in Detroit unterbrachen.
Harris verspürt offensichtlich das Bedürfnis, sich klar von der aktivistischen Linken zu distanzieren, gerade in der Gaza-Frage. Doch in den ersten Wochen ihres Wahlkampfs machte sie einen ansonsten souveränen Eindruck. Insbesondere die Wahl ihres Vizepräsidentschaftskandidaten hat sich als Glücksgriff herausgestellt. Für viele Beobachter, auch auf der Linken, kam überraschend, dass sich Harris letztlich für Tim Walz, den populären, progressiven Gouverneur von Minnesota entschied. Viele hatten damit gerechnet, dass ihre Wahl stattdessen auf Josh Shapiro, den Gouverneur von Pennsylvania, fallen würde. Auch er hat hohe Beliebtheitswerte aufzuweisen, gilt aber als zentristischer und steht dem Parteiestablishment näher. Die Hauptstadtpresse reagierte teilweise geradezu beleidigt auf die Nominierung von Walz.
Harris hat verstanden, dass es nicht ausreicht, vor den autoritären Bestrebungen von Trumps Republikanern zu warnen.
Zumindest mit ihrer ersten wichtigen Personalentscheidung hat Harris damit politisches Gespür bewiesen. Vergangene Woche kündigten sie und Biden auch Preissenkungen bei wichtigen Medikamenten an. Harris hat offenbar verstanden, dass es nicht ausreicht, vor den autoritären Bestrebungen von Trumps Republikanern und ihrer unpopulären gesellschaftspolitischen Agenda zu warnen. Zwar kommen besonders die frauenfeindlichen Ausfälle von Trumps Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance bei der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler schlecht an. Trotzdem scheint Harris die Lektion verinnerlicht zu haben, dass es ein Fehler wäre, die materiellen Sorgen der Arbeiterklasse im Wahlkampf gänzlich unbeachtet zu lassen.
Den Republikanern fällt es derzeit sichtlich schwer, eine politische Antwort auf Harris zu finden. Trump wirkt fahrig und nervös, Gerüchten zufolge spielt er mit dem Gedanken, seine Wahlkampfmanager zu feuern. Hinzu kommt, dass die Harris-Kampagne gerade enorme Mengen an Spendengeldern einsammeln kann. Trump könnte auch finanziell ins Hintertreffen geraten.
Harris und Walz hingegen werden momentan von einer Welle des Enthusiasmus getragen – wenn nicht sogar der Erleichterung. Die Basis der Demokraten ist froh, dass es den Parteigranden gelungen ist, Joe Biden von einem Verzicht auf eine erneute Kandidatur zu überzeugen. Allerdings – und das ist auch vielen Wählerinnen und Wählern bewusst – sind es noch drei Monate bis zur Wahl. In dieser Zeit kann sehr viel geschehen.
Harris führt in einigen Umfragen derzeit wieder, auch in wichtigen Bundesstaaten wie Pennsylvania, Wisconsin und Arizona, während Biden landesweit zuletzt im Rückstand lag. Doch gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass Trump seine Umfragewerte sowohl 2016 als auch 2020 deutlich übertraf. Zwar verlor er die Wahl von 2020, in einigen Staaten war der Abstand zwischen ihm und Biden jedoch denkbar knapp. Bei beiden Wahlen, zu denen Trump auf dem Stimmzettel stand, konnten die Republikaner ein beachtliches Reservoir an Wählerinnen und Wählern aktivieren, die den Urnen sonst eher fern bleiben. Diese Stimmen tauchten zu einem Großteil weder 2016 noch 2020 in den Modellen der Umfrageinstitute auf. Kehrseite dieses Phänomens ist, dass die Republikaner ohne Trump Probleme haben, ihre Basis zu mobilisieren. Zu den Kongresswahlen von 2018 und 2022, als Trump nicht persönlich antrat, übertrafen die Demokraten die Erwartungen.
Weil die Basis der beiden großen Parteien inzwischen sehr polarisiert ist und auf jeden Fall zu Wahl gehen wird, dürften die Spontan- und Wechselwählerinnen bei den kommenden Präsidentschaftswahlen entscheidend sein. Diese Gruppe verfolgt die Tagespolitik, wenn überhaupt, nur sehr sporadisch und entscheidet oft nach Bauchgefühl.
Viel wird also davon abhängen, ob sie sich durch den Außenseiter Trump weiterhin repräsentiert fühlt oder zum ebenfalls recht skurrilen unabhängigen Konkurrenzkandidaten Robert F. Kennedy Junior, der mit einer Mischung aus Impfskepsis und Anti-Establishment-Rhetorik Wahlkampf macht, abwandert. Ebenso gut könnte diese Wählergruppe der Politik im November aber auch ganz den Rücken kehren – oder aber Harris gelingt es, wie einst Barack Obama, eine signifikante Anzahl von Entpolitisierten zurück ins Lager der Demokraten zu holen. Harris’ derzeitiger Vorsprung in den Umfragen zeigt lediglich, dass das Rennen vollkommen offen ist. Kein seriöser Beobachter der US-Politik würde sich zum jetzigen Zeitpunkt zu Vorhersagen über den Wahlausgang hinreißen lassen.
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