- Wirtschaft und Umwelt
- Fossile Energien
Nächster Hotspot Borkum?
Umweltschützer machen gegen die geplante Erdgasförderung vor der Nordseeinsel mobil
Ob die Castortransporte nach Gorleben, der Hambacher Forst oder das Dorf Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier: Wenn es symbolträchtige Orte gab, an denen sich der Widerstand entzündete, war die deutsche Umweltbewegung stets am stärksten. Jetzt haben die Nordseeeinsel Borkum beziehungsweise ein rund 20 Kilometer entfernt unter dem Meeresboden liegendes Gasfeld mit der Bezeichnung N05-A das Zeug, zum nächsten Kristallisationspunkt von Umweltprotesten zu werden. Sowohl vor Ort auf Borkum als auch in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover und in Berlin demonstrierten dieser Tage Tausende gegen das Vorhaben.
»Das Land Niedersachsen knickt nun endgültig ein.«
Susanne Gerstner BUND-Landesvorsitzende
Der niederländische Öl- und Gaskonzern One-Dyas will dort in unmittelbarer Nähe zum Weltnaturerbe Wattenmeer bis zu 13 Millionen Kubikmeter Erdgas fördern. Dazu soll rund 500 Meter hinter der deutschen Grenze, auf niederländischem Gebiet zwischen den Inseln Borkum und Schiermonnikoog, in die Tiefe gebohrt werden. Leitungen unter dem Meeresboden sollen horizontal auf deutsches Territorium weitergeführt werden. One-Dyas plant mit einem Förderzeitraum von 10 bis 35 Jahren.
Vor wenigen Tagen erteilte nun das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) – die Behörde ist dem vom SPD-Politiker Olaf Lies geleiteten Wirtschaftsministerium unterstellt – die aus Deutschland noch ausstehenden bergrechtliche Genehmigung für die geplanten Gasbohrungen. Konkret erließ das LBEG den Rahmenbetriebsplan für Richtbohrungen in den deutschen Teil des Gasfeldes. Die auf 18 Jahre befristete Genehmigung sei »mit größter Sensibilität geprüft und mit größter Gewissenhaftigkeit getroffen worden«, sagte Lies. Gleichzeitig handele es sich um eine gebundene Entscheidung, es gebe also keinen politischen oder sonst irgendeinen Ermessensspielraum. Alle zur Verfügung stehenden Daten und Untersuchungen seien in diese Entscheidung eingeflossen und entsprechend gewürdigt worden. »Am Ende«, betont Lies, »sind die Ablenkbohrungen zu genehmigen gewesen.«
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die ostfriesische Bürgerinitiative »Saubere Luft« kündigten umgehend rechtliche Schritte gegen die Genehmigung an. »Härter kann man die Menschen auf den ostfriesischen Inseln nicht vor den Kopf stoßen«, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Mit der Erlaubnis stelle Lies die Geschäftsinteressen eines fossilen Gaskonzerns über die Natur und die Menschen vor Ort. Die BUND-Landesvorsitzende Susanne Gerstner betonte: »Das Land Niedersachsen knickt nun endgültig ein.« Die Genehmigung setze den Status des Wattenmeers als Weltnaturerbe aufs Spiel.
Auch innerhalb der rot-grünen niedersächsischen Regierung ist das Vorhaben umstritten. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Meta Janssen-Kucz betont, Deutschland befinde sich längst nicht mehr in einer Gasmangellage: »Auch deswegen benötigen wir keine neuen Genehmigungen zur Gasförderung – erst recht nicht im empfindlichen Ökosystem Nordsee am Rande des Unesco-Weltnaturerbes.« Janssen-Kucz stammt aus dem Landkreis Leer, zu dem Borkum gehört, und ist Vizepräsidentin des Landtags.
Auch Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) äußerte sich skeptisch. »Angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise, des steigenden Meeresspiegels und des möglichen Verlusts des Weltnaturerbe-Status bin ich weiter kritisch gegenüber neuen fossilen Förderungen«, sagte er.
Grünen-Bundeschefin Ricarda Lang macht sich gleichfalls gegen die geplanten Gasbohrungen stark: Diese wären »eine große Bedrohung für unsere Umwelt« und stünden im Widerspruch zu den deutschen Klimazielen. »Deshalb darf es keine Gasbohrungen vor Borkum geben. Wir stehen an der Seite der vielen Menschen, die für den Erhalt unseres Naturerbes kämpfen und auf die Straße gehen.«
Die letzte Entscheidung über das Bohrvorhaben liegt nun bei der Bundesregierung, konkret bei Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne). Sie haben es in der Hand, die Unterschrift unter das sogenannte Unitarisierungsabkommen mit den Niederlanden zu verweigern und so die Gasförderung noch zu stoppen.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Nach einer Demonstration mit mehreren tausend Teilnehmenden auf Borkum am vorletzten Wochenende wollen Umweltinitiativen ihren Protest deshalb auch nach Berlin tragen. Der politische Druck richte sich nun gegen die Bundesregierung, sagt Luisa Neubauer von »Fridays for Future«. Es gehe nicht nur um das »Wahnsinnsprojekt« in der Nordsee, sondern auch um die Energie- und Klimapolitik insgesamt. »Wir werden keine Sekunde locker lassen«, kündigt Neubauer an. »Und wir sind auch bereit, die Grundsatzfrage von neuen fossilen Projekten in den Bundestagswahlkampf zu tragen.« Bereits am Freitag versammelten sich zahlreiche Menschen zu einer Kundgebung vor dem Berliner Wirtschaftsministerium.
In einem offenen Brief an Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordern auch die Organisationen Deutscher Naturschutzring, BUND, Campact, DUH, Germanwatch, Greenpeace und Nabu die Bundesregierung auf, die Genehmigung durch das Bundesland Niedersachsen zu revidieren. Eine Zustimmung untergrabe die klimapolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands.
Habeck selbst äußerte sich zunächst ablehnend zu den geplanten Gasbohrungen vor der Nordseeinsel Borkum. Für die Sicherung der deutschen Energieversorgung sei das niederländische Projekt »nicht nötig«, sagte der Minister dem »Spiegel«. Meeres- und Naturschutz erschienen ihm als »gewichtige Argumente« gegen das Vorhaben. Die Bundesregierung wolle zunächst die Gerichtsverfahren rund um das Projekt abwarten. Abzuwarten bleibt indes auch, ob und wie lange Habeck in dieser Frage Haltung bewahrt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.