Plattform X: Bei Rechten reden

Yossi Bartal erklärt, warum wir auf X verzichten müssen, auch wenn es keine Alternative gibt

Lebt leider noch nicht auf dem Mars: Elon Musk, Chef von Tesla und der Nachrichten-Plattform X.
Lebt leider noch nicht auf dem Mars: Elon Musk, Chef von Tesla und der Nachrichten-Plattform X.

Vor einigen Jahren – angesichts der Serie von Katastrophen fühlt es sich fast schon wie Jahrzehnte an – wurde das Buch »Mit Rechten reden« veröffentlicht. Die Autoren beschäftigten sich darin mit der Frage, wie man dem scheinbar unvermeidlichen Teufelskreis aus rechten Provokationen und linker Empörung entkommen kann, um letztlich eine demokratische Streitkultur zu fördern. Eine lobenswerte Aufgabe. Ihre teilweise mit Witz und Ironie getragenen Thesen lösten dennoch heftige Debatten im deutschen Feuilleton aus. Kritiker warnten, dass ein vernünftiger Dialog mit Rechten unmöglich sei und dieser lediglich deren Positionen legitimieren würde. Auf Twitter wurden die drei Verfasser deswegen eher unsanft angegangen.

Yossi Bartal

Yossi Bartal ist seit 2006 ein begeisterter Wahl-Neuköllner. Aufgewachsen in West-Jerusalem lernte er früh, dass Selbsthass die edelste Form des Hasses ist. Mit einer gesunden Dosis Skepsis gegenüber Staat und Gesetz schreibt er für nd.Digital jeden dritten Montag im Monat über Parallelgesellschaften, (Ersatz-) Nationalismus und den Kampf für eine bessere Welt.

Die Rahmenbedingungen haben sich seitdem geändert. Merkel ist weg, die Grünen fordern die Stationierung von neuen Atomwaffen in Deutschland, ein SPD-Kanzler strebt große Abschiebungen an, und Twitter heißt mittlerweile X. Diese Kolumne wird wahrscheinlich auch auf dieser Plattform eines stinkreichen Rabauken geteilt. Und dort sprechen wir nicht nur MIT Rechten, sondern sogar BEI Rechten. Seit dem Kauf durch Elon Musk vor zwei Jahren sehen sich auch diejenigen gezwungen, die mit Rechten nie reden wollten, durch ihre Tweets Inhalte für eine Plattform zu liefern, die nicht nur Nazis und Rassisten toleriert, sondern sie aktiv unterstützt.

Ein Beispiel: Nach einem dreifachen Kindermord in England Ende letzten Monats wurden auf X falsche Informationen zur Identität des minderjährigen Täters tagelang unkorrigiert verbreitet, die ihn zum geflüchteten Islamisten erklärten. Alles Unfug. Zudem sorgte Elon Musk durch seine Interaktion mit rassistischen Accounts höchstpersönlich dafür, dass rechte Hetzer in Großbritannien noch mehr Gehör fanden. Das Resultat: In vielen Städten attackierten Mobs Moscheen und Menschen, die für Migranten gehalten wurden.

Das Dilemma: Die von Faschisten infizierte Plattform X bietet bis heute Zugang zu Nachrichten, die in der politisch homogenen Medienlandschaft in Deutschland selten vorkommen.

Die Sache ist: Es war alles absehbar. Hätte uns jemand vor zwei Jahren erzählt, der egozentrische Milliardär mit seinen sozialdarwinistischen Überzeugungen werde nach dem Kauf von Twitter für heftige Krawalle gegen Minderheiten mitverantwortlich sein, hätten wir bestimmt achselzuckend reagiert und festgestellt, dass so etwas wohl passieren könne. Trotzdem wird dieser gefährliche Mann von der Politik ständig hofiert. So auch im Bundesland Brandenburg, das erst vor Kurzem den Kampf gegen Antisemitismus als Staatsziel in seine Verfassung aufgenommen hat. Dort wird der Besitzer der umweltschädlichen Tesla-Fabrik und wiederholte Verbreiter antijüdischer Verschwörungstheorien immer herzlich empfangen, wenn er zu Besuch kommt.

Mit seiner öffentlichen Unterstützung für Trump und dessen Umsturz-Fantasien scheinen langsam auch große Medien in Deutschland zu erkennen, dass es bei Musk nicht nur um eine exzentrische Figur mit umstrittenen Meinungen, sondern um eine große Gefahr für die liberale Demokratie handelt. Sogar Sascha Lobo, der von diesem »Meta-Troll« vor Kurzem noch ganz fasziniert war,  schrieb unlängst eine Kolumne mit dem Titel »Die Radikalisierung des Elon Musk«. Über die Radikalisierung des Sascha Lobo und seine begeisterte Zustimmung für israelische Kriegsverbrechen wurde glücklicherweise anderswo schon ausführlich berichtet.

Und damit kommen wir auch zum Kern des Dilemmas. Die von Bots und Faschisten infizierte Plattform X bietet bis heute Zugang zu Nachrichten, Analysen und Perspektiven, die in der politisch homogenen Medienlandschaft in Deutschland  – von der »Taz« bis zur FAZ – eher selten vorkommen, wenn überhaupt. Um beispielsweise über den laufenden Massenmord in Gaza oder die Proteste dagegen informiert zu bleiben, muss ich palästinensischen Stimmen folgen, die von den meisten Redaktionen in Deutschland systematisch ignoriert werden (es sei denn, sie heißen Ahmad Mansour). Solche Stimmen finde ich immer noch am ehesten auf der Seite von X. Wenn sie nicht bereits, wie zahlreiche Journalisten in Gaza, denen ich gefolgt bin, durch gezielte Bomben getötet worden.

Trotzdem sehe ich keine Alternative mehr, als zum Verlassen des X-Sumpfes zu raten – auch wenn wirklich überzeugende Alternativen noch fehlen. Mit Rechten auf dem Marktplatz der Ideen zu streiten, mag naiv erscheinen, kann sich aber auch lohnen. Wenn dieser Marktplatz jedoch so strukturiert ist, dass wir uns durch manipulierte Algorithmen, Volksverhetzung und »Meine nackten Bilder im Profil« kaum noch verständlich machen können, ist es wahrscheinlich an der Zeit, aufzugeben und alternative Plattformen mitzubeleben. Viele gehen diesen Schritt bereits.

Ein X-Odus kann jedoch nicht der einzige Schritt im Kampf gegen rechts sein. Als die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) vor einem Monat ihren beliebten X-Account »aufgrund der zunehmenden Präsenz von Hass, Hetze, Populismus und unkontrollierter Hatespeech« still legten, wurden sie von vielen applaudiert. Dabei wurde jedoch vergessen, dass die BVG es dem Springer-Verlag weiterhin ermöglicht, den Nachrichtenkanal in ihrem U-Bahn-Fernsehen zu bespielen und mit seinem rechtspopulistischen Framing auf diese Weise täglich Hunderttausende Fahrgäste zu erreichen.

Die Stärkung eines Journalismus, der weitgehend unabhängig von Kapitalinteressen und staatlichen Ideologien ist, bleibt daher unerlässlich im Kampf gegen Fake-News, Rassismus und Kriegshetze – sowohl online als auch offline. Glücklicherweise können auch viele mitwirken, die keine Journalisten sind – zum Beispiel, indem sie ein Abo für eine unabhängige linke Zeitung abschließen. Vielleicht sogar für die, die ihr gerade lest.

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