- Berlin
- Brandenburg
Im Zweitakt von Azubi-Bonus und Wehrdienstverweigerung
Brandenburger Linksjugend startet ihre Kampagne zur Landtagswahl
Ein Trabant 601-S knattert über die Festwiese von Birkenwerder. Der 22-jährige Elias aus Zehdenick streckt sich vom Beifahrersitz des Autos und schwenkt zwei Fahnen der Linksjugend Solid. Am Samstag 17 Uhr startete Brandenburgs Linksjugend ihre Kampagne zur Landtagswahl am 22. September – der Trabant von Yasha Domscheit ist dabei die größte Attraktion. Wer möchte, darf eine Runde mitfahren oder sich auch selbst ans Steuer setzen.
Patricia Useé aus Oranienburg lässt sich neben dem Kultauto ablichten und nutzt den Termin, um ihre Botschaft zu übermitteln: »Wir wollen deutlich machen, dass Politik nicht über die Köpfe der Jugendlichen hinweg gemacht werden darf«, sagt sie. Es werden viele Debatten geführt, die sich um ihre Zukunft drehen, »wir selbst werden aber nur wenig gefragt.«
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Useé ist 26 Jahre alt und studiert an der Berliner Humboldt-Universität Europäische Ethnologie. Sie ist Landessprecherin der Linksjugend, Kreisvorsitzende der Linken in Oberhavel und Landtagskandidatin im Wahlkreis 8, zu dem Birkenwerder gehört. Auf der Landesliste der Linken steht sie nicht. Die junge Frau hatte sich vergeblich um die Listenplätze sieben und neun beworben und es für andere Listenplätze in Absprache mit ihren Mitstreitern dann nicht mehr versucht.
Angesichts der Umfragewerte ist es unsicher, ob Listenplatz sieben oder neun für einen Einzug in den Landtag ausreichen. Vielleicht scheitert die Partei sogar an der Fünf-Prozent-Hürde und fliegt aus dem Parlament. Aber aufgeben ist für Useé keine Option.
Bei der Landtagswahl 2019 ging der Wahlkreis an Inka Gossmann-Reetz (SPD), die inzwischen Polizeibeauftragte ist. Die SPD schickt nun Benjamin Grimm ins Rennen, Staatssekretär für Digitalisierung in der Potsdamer Staatskanzlei. Rechnen muss man hier mit Yvonne Prause – die Kandidatin der AfD. Für Patricia Useé geht es derweil nicht um einen Posten, sondern um die Sache. An ihr soll es nicht gelegen haben, falls es im nächsten Landtag keine Linksfraktion mehr geben sollte.
»Es werden viele Debatten geführt, die sich um unsere Zukunft drehen. Wir selbst werden aber nur wenig gefragt.«
Patricia Useé Linke-Jugendkandidatin
Auf der Festwiese mixt Useé Cocktails mit Gin, Tonic, Minze und Limette, der Gin ist alkoholfrei. Wegen einiger Minderjähriger, die Hochprozentiges noch nicht trinken dürfen, verzichten alle auf Alkohol. Dem Spaß tut das keinen Abbruch: Es wird Tischkicker gespielt, mit Bällen nach Dosen geworfen, getanzt und über Politik gesprochen. Solche Veranstaltungen soll es in den nächsten Wochen bis zur Landtagswahl auch an anderen Orten geben. Freizeitgestaltung ohne finanzielle Belastung – die Räume dafür werden in Brandenburg immer weniger, beklagt Useé. »Wir halten diesen Sommer konkret dagegen.«
Zur Entlastung ist eine Starthilfe von 1500 Euro gedacht, ein sogenannter Azubi-Bonus, den Jugendliche in Brandenburg künftig erhalten sollen, wenn sie eine Ausbildung beginnen. Diese Idee der Linksjugend hat sich die Linkspartei zu eigen gemacht und in ihr Wahlprogramm geschrieben. Es ist auch eine der beiden zentralen Forderungen von Solid. Die andere Forderung ist der Verzicht auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht.
Da die Wehrpflicht im Juli 2011 nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt wurde, könnten junge Männer jetzt vorsorglich ihre Wehrdienstverweigerung beantragen, erläutert Solid-Schatzmeister Marek Lipp. Ein Musterformular dazu will der Jugendverband noch ins Internet stellen. Geplant ist außerdem eine Demonstration am 1. September zum Weltfriedenstag. »Wir stellen uns entschieden gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht«, sagt Kandidatin Useé. Die Debatte darüber zeige deutlich, wie Politikerinnen und Politiker »über unsere Köpfe hinweg Dinge fordern, die sie selbst nicht betreffen«.
Zu weiteren Forderungen ließ die Linksjugend Aufkleber anfertigen, die sie im Wahlkampf verteilen will. Zum Beispiel »Internet bis in die Pampa« und »Schule muss mehr Spaß machen«. Ein weiter Aufkleber zeigt eine Dampflokomotive mit rotem Stern und dem Slogan »Bahnausbau auf Lok«. Auf Nachfrage erklärt ein Mädchen, »auf Lok« bedeute, dass etwas locker und lässig gemacht werden solle.
Schatzmeister Marek Lipp bemerkt, dass Solid solche Ausdrücke verwende, um auch die ganz jungen anzusprechen. Schließlich dürfen bei Landtagswahlen in Brandenburg inzwischen auch 16- und 17-Jährige abstimmen. Von den rund 4300 Mitgliedern der Linken in Brandenburg sind etwa 500 nicht älter als 35 Jahre. Der Landesverband der Linksjugend zählt 270 Mitglieder.
Mit welchem Einstellungen die Linksjugend zu kämpfen hat, illustriert der 22-jährige Elias aus Zehdenick. Er war mit Plakaten des Spitzenkandidaten Sebastian Walter und des Direktkandidaten Jerôme Zander unterwegs, berichtet er am Samstag. »Brauchst du gar nicht aufzuhängen«, habe an einem Grundstück ein 80-Jähriger geschimpft. Auf die Frage nach dem Warum habe er die Antwort erhalten: »Die sollte man alle erschießen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.