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Berlin: Wenn die Kröten flacher werden
Ehrenamtliche setzen sich für das Überleben von Amphibien ein, indem sie ihnen sicher über die Straße helfen
Wie bemerkt man, dass es Frühling wird? Zyniker könnten antworten: Die Kröten werden flacher. Um das zu verhindern, betreuen knapp 20 Ehrenamtliche den Amphibienzaun in Berlin-Heiligensee. Sie prüfen von März bis August jeden Tag, ob wandernde Kröten, Frösche und andere Amphibien in Eimer und Fallen gefallen sind. Liebevoll bringen die Freiwilligen die Tiere dann sicher über die stark befahrene Straße zur Havel. Denn Kröten und Frösche wandern jedes Jahr im Frühling nachts aus dem Wald zu den Gewässern, in denen sie geboren sind. Dort laichen sie, um das Fortbestehen ihrer Art zu ermöglichen. Die Kaulquappen schlüpfen nach zwei bis drei Wochen und entwickeln sich innerhalb von zweieinhalb bis drei Monaten zu kleinen Kröten. Auf ihrem Weg zurück in den Wald werden die Tiere wieder durch Krötenzäune aufgehalten und über die Straße getragen.
Die Kröten müssen morgens zum Gewässer gebracht werden, da sie ansonsten dehydrieren könnten. Auch Fressfeinde wie Waschbären sind ein Problem. Für die Waschbären, die sogar Brotdosen öffnen können, sind die Fallen für die Amphibien am Krötenzaun ein Klacks.
Das Zerschneiden der natürlichen Lebensräume durch Straßen und zu hohe Bürgersteige macht den Kröten genauso zu schaffen wie der Klimawandel. »Mit aktuell 8871 Arten sind Amphibien eine der großen und wichtigen Wirbeltiergruppen weltweit. 41 Prozent davon sind vom Aussterben bedroht«, erklärt Experte Alexander Gutsche, Mitbegründer eines Büros für Landschafts- und Umweltplanung. In Berlin seien Amphibien durch den Verlust für sie geeigneter Lebensräume und den massiven Straßenverkehr gefährdet.
Auch die schwankenden Frühlingstemperaturen sind für Amphibien eine Herausforderung. Wenn es warm wird, erwachen sie aus ihrer winterlichen Kältestarre. Doch wenn dies zu früh geschieht, finden sie nicht genug Nahrung.
»Wie bei einer Laufmasche in der Strumpfhose kann es zu einem fortschreitenden ›Zusammenhangsverlust‹ im empfindlichen Gleichgewicht des Ökosystems kommen.«
Alexander Gutsche Amphibienexperte
Im Jahr 2022 registrierten die ehrenamtlichen Helfer am Krötenzaun in Heiligensee 162 Amphibien auf dem Weg zur Havel. Auf dem Rückweg konnten – die Tiere hatten sich ja mittlerweile vermehrt – sogar 2400 festgestellt werden. Dagegen erfasste man 2024 auf dem Hinweg einen Anstieg auf 257 Amphibien Richtung Wasser, aber nur zwölf Tiere schafften es zurück. Die Gründe dafür sind immer noch nicht geklärt.
Das tägliche Überprüfen der Fallen ist aufwendig. Langfristige Lösungen wie zum Beispiel Krötentunnel gibt es, aber die wollen finanziert werden. Im rheinland-pfälzischen Kreis Ahrweiler werden bestimmte Straßen für Monate für den Autoverkehr geschlossen, um die sichere Wanderung der Kröten und Frösche zu gewährleisten.
Was wäre, wenn es in Berlin keine Kröten und Frösche mehr geben würde? Das hätte laut Rutsche unvorhersehbare ökologische Folgen. »Vielleicht würde der Mensch es nicht gleich bemerken, wenn Kröten und Frösche fehlen. Aber wie bei einer Laufmasche in der Strumpfhose kann es zu einem fortschreitenden ›Zusammenhangsverlust‹ im empfindlichen Gleichgewicht des Ökosystems kommen«, sagt der Experte. So würden zum Beispiel weniger Kaulquappen ein übermäßiges Algenwachstum bewirken. Das würde den Sauerstoffgehalt im Wasser reduzieren und zum Absterben wirbelloser Wassertiere und Fische führen.
Wenn es um Tier-, Natur- und Klimaschutz geht, denkt man häufig sofort an Unbequemlichkeiten und Entsagungen. Aber Menschen, die Amphibien auf ihrer großen Reise unterstützen, sehen von März bis August die Sonne über der Havel aufgehen, während sie im Wald spazieren und die Fallen prüfen – und das bereitet Freude.
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