Brandenburgs AfD will Geschichte umschreiben

Tag der Befreiung vom Faschismus soll nicht mehr so genannt werden

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Gedenkstätte Seelower Höhen erinnert an eine verlustreiche Schlacht im Zweiten Weltkrieg.
Die Gedenkstätte Seelower Höhen erinnert an eine verlustreiche Schlacht im Zweiten Weltkrieg.

Durch den »Vernichtungsfeldzug Hitlerdeutschlands und seiner Verbündeten« seien im Zweiten Weltkrieg mehr als 60 Millionen Menschen getötet worden, allein 27 Millionen Opfer seien in der Sowjetunion zu beklagen gewesen und mehr als 5 Millionen in Polen. Die Faschisten ermordeten in KZ und Kriegsgefangenenlagern systematisch Menschen wegen deren politischer Gesinnung, Religion und Abstammung oder weil diese Menschen Widerstand leisteten. »Das europäische Judentum wurde fast gänzlich ausgelöscht. Hunderttausende Kranke wurden in Anstalten getötet.«

Damit begründet die BSW-Fraktion, warum der Brandenburger Landtag in seiner aktuellen Stunde an diesem Donnerstag über den 80. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus debattieren soll. Für die Wagenknecht-Partei ist das runde Jubiläum »Mahnung für Frieden in unserer Zeit«. Sie wünscht sich aus historischer Verantwortung eine vollständige Aussöhnung mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und begrüßt die freundschaftlichen Beziehungen zum Nachbarland Polen. »Der 8. Mai mahnt uns, vom Frieden nicht nur zu sprechen, sondern ihn jeden Tag neu zu verteidigen.«

Es sei das erste Mal, dass seine Fraktion dran sei, das Thema der aktuellen Stunde zu bestimmen, sagt am Dienstag der BSW-Abgeordnete Falk Peschel. Schon jetzt solle über den Jahrestag gesprochen werden, weil diese vor dem 8. Mai die letzte reguläre Landtagssitzung sei. Peschel erinnerte, dass der 8. Mai anlässlich des 80. Jahrestags in Berlin ein gesetzlicher Feiertag sei, an dem nicht gearbeitet werde. Das BSW will prüfen lassen, ob so etwas in Brandenburg, beginnend mit dem 85. Jahrestag alle fünf Jahres möglich wäre. Für dieses Jahr sei es zu spät für einen arbeitsfreien 8. Mai, bedauert Peschel.

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Noch zum 75. Jahrestag hatte Brandenburgs Linke vergeblich einen gesetzlichen Feiertag verlangt. Was das BSW zu dem historischen Datum sagt, deckt sich mit dem, was Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) 1985 zum 40. Jahrestag erklärte: »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.« In der DDR galt diese offizielle Einschätzung seit ihrer Gründung 1949, in der BRD setzte sie sich mit der Rede von Weizsäckers durch.

Dennoch versucht der Landtagsabgeordnete Dominik Kaufner (AfD), dem BSW eine »stalinistische Geschichtsumdeutung« anzudichten. Wie russische Propaganda klingt es Kaufner zufolge, wenn das BSW sagt, die Rote Armee habe unter den Marschällen Georgi Schukow, Iwan Konew und Konstantin Rokossowski zusammen mit polnischen Truppen »unsere märkische Heimat« befreit, und dafür gebühre ihr »ewiger Dank«.

Die Sichtweise des aus Bayern stammenden AfD-Politikers und Geschichtslehrers Kaufner: Millionen Ostdeutsche seien 1945 nicht befreit worden, sondern von einer Diktatur in die nächste gekommen. Kaufner tut so, als unterschlage das BSW deutsche Kriegsopfer. Er erinnert an die Vertreibung von 15 Millionen Deutschen zum Beispiel aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland, wobei 2 Millionen umgekommen seien. Er erinnert an die Vergewaltigung von 2 Millionen Frauen durch sowjetische Soldaten. Kaufner fordert, künftig nicht mehr von Befreiung zu sprechen.

Das BSW geht übrigens durchaus auf die Verheerungen ein, die auch Brandenburg erlebte, als Hitlers Angriffskrieg auf seinen Ausgangspunkt zurückschlug. »Neben den durch Bombenangriffen zerstörten Großstädten gehörte die Mark Brandenburg zu den am schwersten verwüsteten Gebieten Deutschlands«, heißt es in der Begründung der beantragten aktuellen Stunde. »Die Schlacht um die Seelower Höhen, die Kesselschlacht von Halbe sowie die Schlacht um Berlin forderten noch in den letzten Tagen und Wochen des Krieges Zehntausende tote Soldaten und Zivilisten und führten zu apokalyptischen Zerstörungen unserer Heimat.«

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