Linke-Parteivorsitz: Wer kann’s machen?

Linke-Chefs Schirdewan und Wissler geben ihren Posten ab. Bewerbungen um die Nachfolge gibt es noch nicht – einige Namen sind aber im Gespräch

Vielleicht ihre letzte gemeinsame Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus: Die Linke-Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine-Wissler.
Vielleicht ihre letzte gemeinsame Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus: Die Linke-Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine-Wissler.

Lange waren nicht mehr so viele Pressevertreter im Karl-Liebknecht-Haus wie am Montagmittag. Aber selbst jetzt, einen Tag, nachdem die Linke-Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler ihren Rückzug angekündigt hatten, hält sich das Medieninteresse an ihrer vielleicht letzten gemeinsamen Pressekonferenz in Grenzen – eines von vielen Symptomen einer Linkspartei, die im vergangenen Jahr rapide an Relevanz verloren hat.

Das soll sich mit einer neuen Personalaufstellung beim kommenden Parteitag im Oktober wieder ändern – so zumindest die Hoffnung der Noch-Vorsitzenden. Das vergangene Jahr der Linken war vom Versuch geprägt, sich nach dem Abgang von Wagenknecht und ihren Anhängern wieder aufzurappeln. Beim Augsburger Parteitag im November 2023 wurde ein Neustart heraufbeschworen, doch das katastrophale Wahlergebnis bei den EU-Wahlen im Juni von 2,7 Prozent hat gezeigt: Ein Neustart ist unter der Leitung von Schirdewan und Wissler nicht gelungen. Nun steht die Frage im Raum: Ist die Partei überhaupt noch zu retten? Und wenn ja, wer soll’s machen?

Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt

Dass der Zeitpunkt für ihre Rückzugs-Ankündigung so kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nicht ideal ist, gestehen auch Wissler und Schirdewan am Montag ein. »Es gibt in der Partei den großen Wunsch nach einem personellen Neuanfang«, sagte Schirdewan. Nach der Wahl in Brandenburg am 22. September wäre die Zeit bis zum Parteitag Mitte Oktober für einen geordneten aber Übergang zu knapp geworden.

Für diesen geordneten Übergang hat sich der Parteivorstand auf ein neues Verfahren geeinigt: Geplant ist nun, dass Kandidaten bis zum 8. September ihre Bewerbungen anmelden können – aber nur dann, wenn sie von mindestens einem Landesverband unterstützt werden. Danach sollen sie die Gelegenheit erhalten, sich unter anderem auf Regionalkonferenzen vorzustellen. Damit soll vermutlich verhindert werden, dass Kandidaten, die eigentlich keine Chance auf einen Posten haben, bei den Regionalkonferenzen zu viel Raum einnehmen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Allerdings werden auch Initiativbewerbungen auf dem Parteitag selbst möglich sein.

Erste inhaltliche Weichen für einen Neustart seien mit dem vom Parteivorstand beschlossenen Leitantrag gestellt worden, sagte Schirdewan. Es sei wichtig, wieder »den Fokus auf unsere soziale Kompetenz« zu legen, stellte er klar. Als zentrale Punkte nannte er »bezahlbaren Wohnraum, Gesundheitsversorgung und gute Arbeit«.

Beim Thema Migration werde sich die Linke weiterhin klar zum Schutz der Menschenrechte bekennen und »das Asylrecht verteidigen«, betonte Schirdewan. Gleichzeitig müsse man auch die realen Probleme in den Kommunen mit der Bewältigung der Zuwanderung anerkennen. Dazu braucht es nach Ansicht Schirdewans eine klarere migrationspolitische Linie in der Linkspartei.

Schirdewan nahm auch eine deutliche Abgrenzung vom Russland-freundlichen Kurs des von der Partei abgespaltenen Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) vor. Die Linke sei eine »antimilitaristische Friedenspartei«, sagte der scheidende Parteichef. Für sie sei aber auch klar, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine »ohne Wenn und Aber zu verurteilen«. Im Rahmen eines Friedensprozesses müsse »die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine gewahrt werden«. Angesichts der Bedrohungslage durch Russland für Europa müsse die Linke beim Thema Sicherheit eine neue Strategie entwickeln.

Durch diejenigen, »die jetzt nicht mehr in der Partei sind«, sei der falsche Eindruck entstanden, die Linke würde zugunsten Russlands »mit zweierlei Maß messen«, sagte Wissler. Schirdewan und Wissler machten die Gruppe um Wagenknecht auch für einen Großteil interner Streitigkeiten verantwortlich, die in der Vergangenheit das öffentliche Bild der Partei geprägt hätten. Wissler rief dazu auf, künftig »solidarisch miteinander umzugehen«.

Als zentrales Ziel für die Zukunft nannten die beiden Parteivorsitzenden den Wiedereinzug 2025 in den Bundestag. Bei den anstehenden Landtagswahlen wolle die Linke trotz aktuell schwieriger Umfragewerte das Ministerpräsidentenamt für Bodo Ramelow in Thüringen verteidigen und außerdem »möglichst stark« wieder in die Landtage in Sachsen und Brandenburg einziehen.

Drei Namen mit Nachfolgepotenzial

Eine Nachfolge für ihren Posten wollen Schirdewan und Wissler nicht vorschlagen. Offiziell gibt es bisher noch keine angekündigten Kandidaturen, Vermutungen, wer sich auf das Amt bewerben wird, aber schon: Hoch gehandelt wird etwa der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Ex-Vorständler Jan van Aken. Als friedenspolitischer Sprecher setzte sich der ehemalige UN-Biowaffeninspekteur für einen starken antimilitaristischen und Antikriegskurs in der Partei ein. Er gilt als äußerst beliebt.

Ebenfalls im Gespräch ist die ehemalige »Jacobin«-Chefredakteurin und Gewerkschafterin Ines Schwerdtner. Sie ist im August 2023 relativ knapp vor dem Augsburger Parteitag in die Linkspartei eingetreten, um sich auf einen Platz auf der EU-Liste zu bewerben – trotzdem gewann sie im Augsburg überraschend den heiß-umkämpften fünften Listenplatz. Dieser hat für einen Einzug ins Brüssler Parlament allerdings nicht gereicht.

Eine weitere potenzielle Kandidatin für den Parteivorsitz ist die sächsische Bundestagsabgeordnete Clara Bünger. Die migrations- und rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion, die inzwischen nur noch eine Gruppe ist, hatte sich zusammen mit Ates Gürpinar auf den Gruppenvorsitz beworben. Die beiden Bewegungslinken konnten sich allerdings nicht gegen die beiden Kandidaten des im Bundestag dominierenden Realoflügels, Sören Pellmann und Heidi Reichinek, durchsetzen.

Wissler und Schirdewan: Pläne für die Zeit danach

Nach der Amtsübergabe im Oktober will Janine Wissler sich wieder auf ihre Arbeit als Bundestagsabgeordnete fokussieren und in ihrem Landesverband in Hessen präsenter sein, sagte Wissler gegenüber »nd«. Der dortigen schwarz-roten Landesregierung gelte es etwas entgegenzusetzen, betonte sie. Außerdem möchte Wissler ihre neugewonnene Zeit einem Buchprojekt widmen und politische Reisen machen, wie sie dem »nd« verriet.

Schirdewan wolle »weiterhin mit viel Energie« seinen Beitrag zur politischen Erneuerung der Partei leisten und sich wieder stärker auf seine Arbeit als Fraktionsvorsitzender im Europaparlament konzentrieren. »Daneben werde ich aber nun auch wieder mehr Zeit haben für Familie und Freunde und all die schönen Dinge, die hinter einem politischen Spitzenamt zurückstehen müssen«, sagte er dem »nd«. Diese Dinge seien in letzter Zeit immer wieder zu kurz gekommen.

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