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Harmonisch drinnen, turbulent draußen
Parteitag der Demokraten in Chicago von Protesten gegen den Gaza-Krieg begleitet
Am Montag begann in Chicago die dreitägige Democratic National Convention (DNC), der Parteitag der Demokraten, bei dem Kamala Harris offiziell zur Präsidentschaftskandidatin gekürt werden soll. Was jahrzehntelang ein durchgetaktetes und vorhersehbares Schaulaufen des Partei-Establishments war, wurde in den vergangenen Jahren etwas spannender: Zu den Vorwahlen 2016 und 2020 gab es Gerüchte um eine Kampfabstimmung zwischen Bernie Sanders und Hillary Clinton beziehungsweise Joe Biden. Doch diese Parteitage gingen so rund über die Bühne, wie die meisten davor.
Der Parteitag in Chicago wird durch einen ideologischen Konflikt überschattet: den Nahost-Konflikt. Die »Squad« genannte Gruppierung progressiver Abgeordneter kritisiert die US-amerikanische Unterstützung Israels immer wieder. Das hat sie zur Zielscheibe der proisraelischen Lobby-Organisation AIPAC werden lassen. Diese unterstützte zuletzt die Wahlkämpfe von Herausforderern von Squad-Mitgliedern; Jamaal Bowmann und Cori Bush verloren auch dadurch erst kürzlich ihre Abgeordnetensitze.
Der Gaza-Krieg stößt vielen übel auf
Der israelische Krieg in Gaza ist auch bei vielen Wählern an der Basis unbeliebt. Bei den demokratischen Vorwahlen, die nur pro forma sein sollten, stimmten so viele aus Protest »uncomitted«, also ungebunden, dass Präsident Biden zumindest zu Lippenbekenntnissen gegen die israelische Politik bewegt wurde. Am Montag gab die »Uncomitted Movement« in Chicago eine Pressekonferenz. 30 Delegierte aus Minnesota, Michigan und Washington stellten ihre Forderungen nach einem Waffenstillstand und einem Ende der Waffenlieferungen an Israel vor. Ihnen stehen beim DNC 4000 parteitreue Delegierte gegenüber. Doch dass die Bewegung es überhaupt schaffte, eigene Delegierte nach Chicago zu schicken, gilt als überraschender Erfolg.
Der Graben, der beim Thema Nahost verläuft, ist so tief, dass Beobachter eine Wiederholung der Straßenschlachten befürchteten, die 1968 beim DNC ebenfalls in Chicago entbrannten, als Demonstranten gegen den US-amerikanischen Krieg in Vietnam protestierten. Montag blieb die Lage jedoch relativ ruhig. Tausende demonstrierten vor den Toren des Stadions, in dem der DNC stattfindet. Eine Gruppe Demonstrierender durchbrach die Sicherheitsabsperrungen, die Polizei verhaftete teilweise brutal mindestens sechs Personen. Für die ganze Woche sind Demonstrationen angekündigt.
Im United Center war vom Trubel auf der Straße wenig zu merken. In einer fast fünfstündigen Abend-Show versicherten sich die Demokraten ihrer selbst. Abgeordnete, Senatoren, Gouverneure und Bürgermeister großer demokratisch regierter Städte riefen dem immer wieder von Begeisterungsstürmen erfassten Publikum zu, doch gegen Trump und für Freiheit zu wählen.
Mehrere musikalische Einlagen lockerten den Redemarathon etwas auf. Viele Vertreter verschiedener Gruppen, die die Demokraten als Teil ihrer Allianz sehen, traten auf, von Civil-Rights-Gruppen bis zu Gewerkschaften. Shawn Fain, dem als radikal geltenden Präsidenten der Automobilgewerkschaft UAW, gaben die Organisatoren sogar einen prominenten Platz auf der Rednerliste, gleich vor der beliebten linken Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez und der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton.
»AOC! AOC!«
Ocasio-Cortez lieferte eine der am meisten gelobten Reden des Abends, in der sie ihren Hintergrund in der Arbeiterschicht betonte. Das Publikum bejubelte sie immer wieder und skandierte ihr Kürzel: »AOC! AOC!« Das bekannteste Gesicht des Squad rief zur Unterstützung von Harris auf und betonte deren Hintergrund in der »Middle Class« (interessanterweise nicht der »Working Class«). Harris sei unermüdlich dabei, in Gaza einen Waffenstillstand herbeizuführen, rief Ocasio-Cortez in den Raum. Clinton warb ebenfalls für Harris, die Kombination der beiden Rednerinnen soll klarmachen: Sowohl das Partei-Establishment als auch die jungen Wilden stehen hinter Harris.
Harris sollte eigentlich ihre Rede erst am letzten Tag des DNC halten. Doch sie trat am Montag unangekündigt auf die Bühne. Sie dankte Noch-Präsident Biden für seine Dienste an der Nation, die sie im Anschluss als Freiheitsprojekt der Menschheit darstellte. Erst nach über fünf Stunden hielt Biden selbst seine Rede. Er war den ganzen Abend über mit Lob überschüttet worden; das Publikum rief immer wieder: »Thank you, Joe!« Er selbst bezeichnete die Wahl seiner Nachfolgerin Harris als beste Entscheidung seines langen politischen Lebens.
Dieser DNC ist als würdige Abdankung des tattrigen Präsidenten gedacht und als Kür einer neuen Generation liberaler Politiker. Am Dienstag (nach Redaktionsschluss) sollen die über 4000 Delegierten nach der Onlinewahl von vor zwei Wochen noch mal symbolisch die Hand erheben, um Harris offiziell zur Kandidatin fürs Präsidentenamt zu wählen.
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