Im Todestrakt Mut zusprechen

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes erinnert an ein antifaschistisches Treffen in Brandenburg

Bereits 2021 gab es eine antifaschistische Gedenkwanderung in Erinnerung an das Treffen im Gamengrund
Bereits 2021 gab es eine antifaschistische Gedenkwanderung in Erinnerung an das Treffen im Gamengrund

Es war ein Zufallsfund: Im Dezember 2022 fischte ein Bagger bei Erweiterungsarbeiten am Stolpkanal in Woltersdorf eine Bronzetafel aus dem Wasser. Nach anfänglichen Unsicherheiten konnte anschließend mit Hilfe der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) der Ursprung der Tafel aufgeklärt werden. Es handelte sich um eine Gedenktafel aus dem Gamengrund, zwischen Strausberg und Tiefensee. Dort, rund 30 Kilometer Luftlinie nördlich vom Fundort entfernt, war die Bronzeplatte, die seit 1974 an ermordete Antifaschist*innen erinnerte, 2021 entwendet worden.

Nach einer ausgiebigen Restauration soll die Tafel im Anschluss an eine Gedenkwanderung am 31. August im Stadtmuseum Strausberg neu eingeweiht werden. »Wir waren sehr froh, dass die Tafel im wahrsten Sinne des Wortes wieder aufgetaucht ist«, sagt Nils Weigt von der VVN-BdA Märkisch Oderland zu »nd«. Man habe die Sorge, dass sie im Gamengrund wieder gestohlen werde, deswegen sei sie in Strausberg gut aufgehoben.

Die Tafel erinnert an ein Unterfangen, das am 24. August 1941 im Gamengrund stattfand. Rund 60 Antifaschist*innen aus Berlin und Brandenburg trafen sich mitten im Krieg in dem Naherholungsgebiet. Bei dem Treffen sollten die Folgen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion diskutiert und sich auch gegenseitig Mut zugesprochen werden. »Hitlers militärische Anfangserfolge schufen nämlich bei vielen Freunden eine resignative Stimmung. Wir sollten daher alle, die wir politisch kannten, zusammenbringen«, sagte Martha Butte in einem Interview, eine im Jahr 2000 verstorbene ehemalige Beteiligte und Widerstandskämpferin.

Diejenigen, die sich im heutigen Landkreis Märkisch-Oderland trafen, waren Teil der Uhrig-Römer-Gruppe. Sie rekrutierte sich vor allem aus der Arbeitersportbewegung, organisierte sich aber über ideologische Strömungen hinweg antifaschistisch. 1938 von Robert Uhrig gegründet, entstand so ein Netzwerk von antifaschistischen Betriebsgruppen vor allem in Berlin und Brandenburg. Aber auch in Bayern und Tirol hatte die Uhrig-Römer-Gruppe Zellen und war so eine der größten Widerstandsgruppen gegen den Faschismus in Deutschland. Die Gruppe veröffentlichte zweimal im Monat das illegale Blatt »Informationsdienst«.

»Mindestens die Hälfte der Teilnehmer*innen waren Frauen«, sagt Weigt. Aber an diese werde zu wenig erinnert. Auch auf der neuen alten Gedenktafel stehen nur Männernamen. Deswegen sind im diesjährigen Gedenken die Antifaschistinnen im Vordergrund, unter anderem Elfriede Tygör und Charlotte Eisenblätter, die beide 1903 geboren wurden.

»Wir wollen uns auch gegenseitig Mut zusprechen, in schwieriger werdenden Zeiten.«

Nils Weigt
VVN-BdA Märkisch Oderland

Eisenblätter ist schon als Jugendliche Mitglied bei den Naturfreunden und schließt sich als überzeugte Antifaschistin 1939 der Gruppe um Robert Uhrig an. Als Chefsekretärin in einem großen Betrieb vervielfältigt sie Flugblätter. Nach dem Verrat durch einen Spitzel wurde Eisenblätter, wie viele andere Antifaschist*innen aus der Gruppe, festgenommen und ins Konzentrationslager Ravensbrück gebracht.

In der Haft nimmt sie die alleinige Verantwortung für die Vervielfältigung des »Informationsdienstes« auf sich und rettet so Martha Butte das Leben. Nach zwei Jahren des Grauens im KZ wird Eisenblätter gemeinsam mit Elfriede Tygör am 10. Juli 1944 wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zum Tode verurteilt. »Wer seinem eigenen Volke im Kriege in den Rücken zu fallen sucht, muss unter allen Umständen damit rechnen, daß er sein Leben verwirkt hat«, heißt es in dem Urteil gegen Eisenblätter. Am 25. August 1944 wird sie in Plötzensee hingerichtet.

Selbst im Angesicht des Todes versucht Eisenblätter in einem Abschiedsbrief, ihren Freunden und Bekannten Mut zu machen: »Ihr sollt deshalb aber nicht trauern, ich habe ein reiches Leben gehabt, wie es viele nicht haben, die 60 Jahre oder noch älter werden.« In ihrem Kampf sei es letztlich nur darum gegangen, allen Menschen zu solchen glücklichen Stunden zu verhelfen. »Diese Erkenntnis gewann ich auf meinen vielen Wanderungen und Reisen, und glaubt mir, so sehr ich das Leben liebe, so gerne sterbe ich für diese meine Idee.«

»Wir sind aktuell zwar weit von Zeiten wie damals entfernt, aber es nähert sich an«, sagt VVN-Aktivist Nils Weigt. Man könne von den Antifaschist*innen von damals vieles lernen, gerade auch dass diese zum Teil über politische Grenzen hinweg gemeinsam gearbeitet haben. »Natürlich war das ein ganz anderer gesellschaftlicher Kontext, und trotzdem haben sie es geschafft, ihre Strukturen aufrechtzuerhalten und weiter zu kämpfen«, so Weigt. Mit der Wanderung am 31. August wolle man das aufgreifen, was die historischen Antifaschist*innen damals in Gamengrund machten: »Wir wollen uns auch gegenseitig Mut zusprechen, in schwieriger werdenden Zeiten.«

Am 25. August um 15 Uhr findet in der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee eine Gedenkveranstaltung für Elfriede Tygör und Charlotte Eisenblätter statt.
Am 31. August um 10.30 Uhr startet in Tiefensee eine Gedenkwanderung in Erinnerung an das Treffen in Gamengrund. Nur mit Anmeldung.

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