- Politik
- Krieg in der Ukraine
Ist Lukaschenko ein Vermittler zwischen Moskau und Kiew?
Die ukrainische Offensive sorgt auch in Belarus für Unruhe. Dort ruft Präsident Lukaschenko zum Frieden auf
Die Offensive der ukrainischen Armee in der russischen Region Kursk sorgt auch in Belarus für Unruhe. Aus Angst »vor jeglicher erdenklichen Provokation« habe Staatschef Alexander Lukaschenko weitere Soldaten an die ukrainische Grenze geschickt, darunter Spezialkräfte und Raketen, berichtete Verteidigungsminister Viktor Chrenin vor gut anderthalb Wochen. Zugleich wurde eine gemeinsame Übung mit der russischen Armee angekündigt.
Wenige Tage später ging Lukaschenko in die diplomatische Offensive und appellierte in einem Interview mit dem russischen Staatssender »Rossija« an die Konfliktparteien, den Krieg zu beenden: »Setzen wir uns an den Verhandlungstisch und beenden wir diesen Kampf. Weder das ukrainische Volk, noch die Russen, noch die Belarussen brauchen ihn.« Die einzigen die wollten, dass »wir uns gegenseitig vernichten«, seien »Leute von Rang amerikanischer Herkunft«, gab der Präsident seine These zum Ursprung des Krieges gleich noch mit zum Besten.
Nicht der erste Vermittlungsversuch Lukaschenkos
Bereits zum dritten Mal hat sich Lukaschenko, der von seinen Gegnern gerne als »Marionette Putins« beschimpft wird, als Vermittler im russisch-ukrainischen Krieg eingeschaltet. Bereits kurz nach Beginn der Invasion verhandelten Russland und die Ukraine in drei Runden im Februar und März 2022 in Minsk. Damals blieb es bei der Einrichtung eines humanitären Korridors.
Am 24. Juni 2023 telefonierte Lukaschenko mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, der gerade auf Moskau marschierte. Den meuternden Wagner-Kämpfern, die bis dahin als outgesourcter Teil des russischen Gewaltapparats agierten, wurde freies Geleit nach Belarus gewährt. Prigoschin und weitere Wagner-Anführer starben zwei Monate später bei einer Flugzeugexplosion.
Russische Propaganda und ukrainische Interessen
Mit seinem aktuellen Plädoyer für Verhandlungen bedient Lukaschenko gleich mehrere Narrative der russischen Propaganda. Es gibt Verweise auf geheime Quellen, die die aktuellen Geschehnisse als Verschwörung anonymer Machthaber bezeichnen. Und die »Brüdervölker«, die eigentlich gleiche Interessen haben und nur durch äußere Mächte gegeneinander aufgebracht werden.
Aber es gibt auch Abweichungen vom Moskauer Narrativ. Russland betrachtet die Ukraine lediglich als Erfüllungsgehilfen der Nato. Verhandlungen seien deshalb nur mit den USA möglich, hieß es lange aus dem Kreml. Lukaschenko appelliert hingegen neuerdings an die Eigeninteressen der Ukraine. Auch die offizielle Begründung für den Krieg, die »Entnazifizierung« hinterfragt der belarussische Machthaber vorsichtig.
Lukaschenko glaubt nur ein bisschen an Nazis
»Es gibt dort keine Nazis mehr. Die Ukraine ist entnazifiziert worden. Aber es gibt dort noch ein paar wütende Nazis, aber die sind nicht mehr im Trend. Heute hassen mehr als 70 Prozent der Menschen Selenskyj, weil er das eine versprochen und das andere getan hat, und Menschen sterben«, so der Präsident, der für diese Thesen keinerlei, nicht mal geheime oder anonyme Quellen präsentiert.
Lukaschenkos Drang nach öffentlicher Wahrnehmung kommt nicht von ungefähr. Im kommenden Jahr stehen in Belarus Präsidentschaftswahlen an. Und zu den Hauptargumenten, die der Langzeitpräsident für sich ins Feld führt, gehört die Darstellung als Garant für die friedliche Entwicklung von Belarus. Und dass sein Land nicht in einen Krieg hineingezogen wird.
Friedensengel für Belarus
Allerdings hat Lukaschenko nach den Protesten gegen die Wahl 2020 massiv an Zustimmung in der Bevölkerung verloren, sein Regime gilt als bei weitem repressiver als das von Putin. Das vor allem bei Sowjetnostalgikern vorhandene Bild von Belarus als Gegenentwurf zu Jelzins und Putins Russland, sowohl in ideologischer, als auch in ökonomischer Sicht, ist zerbröckelt. Es ist unübersehbar, dass Lukaschenko für den Erhalt seiner Macht viel mehr auf Gewalt im Inneren und auf Russland angewiesen ist.
Trotzdem kokettiert der belarussische Machthaber immer wieder mit dem Westen und sucht das internationale Rampenlicht. So auch jetzt. Lukaschenko will sich in eine Position bringen, in der er nicht mehr als von Moskaus Gnaden angesehen wird, sondern als nützlicher Vermittler in einem immer komplizierter wirkendem Krieg. Passend zum Bild des wohlwollenden und allmächtigen Herrschers ließ Lukaschenko als Zeichen nach innen zudem Dutzende politische Häftlinge frei.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.