Antirepression mit Tradition

Zum 100-jährigen Jubiläum der Roten Hilfe gibt es am Wochenende ein Festival

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 5 Min.
Andere Zeit, gleiche Probleme: Kundgebung der Roten Hilfe im Jahr 1927
Andere Zeit, gleiche Probleme: Kundgebung der Roten Hilfe im Jahr 1927

100 Jahre praktische Solidarität: Das feiert die Rote Hilfe dieses Jahr. Angesichts der zunehmenden Repression gegen Linke in Deutschland gibt es zwar die Aussicht auf immer mehr Arbeit für den Verein, jedoch macht das Jubiläum den Aktiven auch Hoffnung auf die Hilfsbereitschaft innerhalb der Bewegung. Ein dreitägiges Festival mitsamt Musik, Straßenfest, Infoständen und Filmvorführung am kommenden Wochenende in Kreuzberg markiert den Höhepunkt der seit Anfang des Jahres in ganz Deutschland laufenden Jubiläumskampagne.

Zum Zeitpunkt der Gründung der Roten Hilfe sahen die Kräfteverhältnisse in Deutschland noch anders aus: Im Angesicht der Repression gegen die Arbeiterbewegung während der Novemberrevolution 1918/19 und in den darauffolgenden Jahren durch die sozialdemokratische Regierung initiierte die KPD 1921 sogenannte Rote-Hilfe-Komitees. Deren Aufgabe der Spendensammlung für politische Gefangene und deren Familien ging dann 1924 an die parteilose, aber immer noch von der KPD dominierte Rote Hilfe Deutschlands (RHD) über.

Anfang 1932 hatte die Organisation rund eine Million Mitglieder, eine große Mehrheit davon Frauen. Neben Spendensammlungen war auch Öffentlichkeitsarbeit und etwa die Betreuung von Kindern Gefangener Teil der Praxis. Nach Verbot durch die Nazis und einer Verhaftungswelle arbeiteten einige Mitglieder noch im Untergrund fort, bis sich die RHD 1938 auflöste.

Im Zuge der 68er-Bewegung gründeten sich Anfang der 70er Jahre mehrere Rote-Hilfe-Organisationen aus dem kommunistischen, anarchistischen und autonomen Spektrum, darunter die der KPD/ML mit dem historischen Namen RHD. Nach staatlichen Repressionen gegen einzelne Organisationen und massivem Mitgliederschwund entstand 1986 der heutige Rote Hilfe e. V. nach einer Umbenennung. In der neuen Satzung ist ein strömungsübergreifender Ansatz festgelegt. Heute zählt der Verein über 15 000 Mitglieder.

Die offene Orientierung ist bis heute prägend: »Man hat damals gemerkt, dass die Arbeit so zersplittert schlechter läuft«, sagt Mele von der Roten Hilfe gegenüber »nd«. Daraus sei der Grundgedanke entstanden, der bis heute fortbesteht. Konfliktpotenzial biete diese Offenheit natürlich auch, etwa in der Frage, wie mit der Polizei umgegangen wird. »Der strömungsübergreifende Gedanke darf niemanden vergessen, wir müssen gemeinsam Lösungen finden«, so Mele.

Auch in eher bürgerlichen Lagern genieße man Ansehen: Als der damalige Innenminister Horst Seehofer etwa 2018 die Rote Hilfe verbieten wollte, habe es viel positive Rückmeldung und steigende Mitgliederzahlen gegeben, erinnert sich Mele. Der Verein beteilige sich auch an vielen Bündnissen, die nicht dem linksextremen Spektrum zuzuordnen seien. »Die Akzeptanz ist da, wenn wir erklären, was für Arbeit wir machen«, so Mele.

Die Ausrichtung zeigt sich auch auf dem Straßenfest am Samstag ab 14 Uhr: Elf unterschiedliche Gruppen sind dort mit Infoständen vertreten, mit dabei etwa die Migrantifa und verschiedene Antifa-Strukturen aus den Bezirken. »Neben Konzerten wird besonders die Podiumsdiskussion zu Haftbedingungen und Überleben in deutschen Knästen spannend«, sagt Mele. Von den Personen auf der Bühne sei viel zu lernen, was im Alltag der Bewegung schnell in den Hintergrund gerate. Sprechen soll unter anderem das ehemalige RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo.

Musikalisch geht es bereits am Freitagabend im SO36 mit Konzerten los, parallel zum Straßenfest sind am Samstag im »Aquarium« in der Admiralstraße eine Wanderausstellung und ein Film zum Jubiläum zu sehen. Am Samstagabend geht es mit Künstler*innen wie nia2161 oder PTK & Sechser im SO36 weiter, bevor die Feierlichkeiten ab Mitternacht in einer Clubnacht mit DJs ihren Abschluss finden.

Vor und nach dem Festival besteht der Alltag der Berliner Ortsgruppe aus einem regelmäßigen Beratungsangebot, Bündnisarbeit zu Terminen wie dem 1. Mai oder dem Tag der politischen Gefangenen, Sicherheitsworkshops und Infoständen. Dazu werden regelmäßig Gerichtsprozesse wie das Budapest- oder Antifa-Ost-Verfahren begleitet: »Dort setzen wir uns mit dem Rechtlichen auseinander und stehen mit solidarischen Anwält*innen zur Seite«, so Mele.

Doch auch die Rote Hilfe selbst ist Repression ausgesetzt: »Wir sind immer auf ›Hab acht‹«, sagt Mele. Nach Verboten und Drohungen gegen andere Vereine vergangenes Jahr sei Vorsicht geboten. Auch wenn Ex-RAF-Mitglieder gesucht oder gefunden werden, tauche die Rote Hilfe wieder in der Presse auf. Im Verfassungsschutzbericht werde der Verein noch jedes Jahr genannt. »Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir nichts Falsches machen«, bekräftigt Mele.

Ein Vergleich der Situation 2024 zu der 1924 sei jedoch schwierig, weil sich sowohl die Struktur der Bewegung als auch der Repressionsapparat verändert haben, so Mele. In Berlin gebe es aktuell ein erhöhtes Beratungsaufkommen, weil im Rahmen des Nahost-Konflikts etwa Demonstrationen verboten werden. In den vergangenen 30 Jahren habe es zudem eine Zunahme von zivilrechtlichen Verfahren zusätzlich zu Strafprozessen gegeben, bei denen neben Bußgeldern auch noch Schmerzensgeld etwa durch Polizeibeamte gefordert werde.

Für Mele ist es wichtig, die Veränderungen wahrzunehmen, doch 100 Jahre seien auch eine lange und lehrsame Zeit für eine Organisation wie die Rote Hilfe: »Wir bleiben solidarisch, und das wollen wir jetzt auch mal feiern.«

»Die Akzeptanz ist da,wenn wir erklären, was für Arbeit wir machen.«

Mele Sprecherin der Roten Hilfe
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