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Ringen um Erinnerung
In Potsdam eröffnet eine Ausstellung über den Athleten und Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder
Wer in Potsdam den kürzesten Weg von der neu gebauten Garnisonkirche zur
ebenfalls neu gebauten Synagoge wählt, der geht durch die Werner-Seelenbinder-Straße. Besonders lang ist sie nicht, beinahe versteckt liegt sie am Rande der Innenstadt. Spätestens seit die örtliche Feuerwehr aus der Straße weggezogen ist, scheint diese – wie der Namensträger selbst – dem Vergessen anheim gestellt.
Wer war Werner Seelenbinder? Vor 35 Jahren hätte die große Mehrheit der Ostdeutschen auf diese Frage etwas zu erwidern gewusst. Jetzt versucht man sich in Potsdam an einer neuen Antwort: Dem 1944 von den Nazis hingerichteten Arbeitersportler ist eine neue Ausstellung gewidmet, die im »Treffpunkt Freizeit« – einst als Pionierhaus errichtet – zu sehen ist. Es ist vor allem ein Umstand, der Seelenbinder an die brandenburgische Hauptstadt bindet. Im NS-Gefängnis für politische Häftlinge Lindenstraße hatte der Widerstandskämpfer einst auf seinen Prozess gewartet. Und ebenfalls in Potsdam hatte der aus Berlin verlagerte Volksgerichtshof im September 1944 das Todesurteil gegen Seelenbinder gefällt. Vollstreckt wurde es im Zuchthaus Brandenburg-Görden.
»In der Brandenburger Gedenkstätte findet man nach der Neugestaltung nichts mehr über Werner Seelenbinder.«
Oliver Rump
Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft
»In der Brandenburger Gedenkstätte findet man nach der Neugestaltung nichts mehr über Werner Seelenbinder«, sagt Oliver Rump von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft bei der Ausstellungseröffnung in der vergangenen Woche. Ihm und interessierten Studenten ist es zu danken, dass diese neue Wanderausstellung verfügbar ist. »Werner Seelenbinder – Ringer, Kommunist, Staatsfeind« lautet der Titel. Unterstützt wird die Ausstellung in Potsdam von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem kommunalpolitischen Forum und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
Wie nähern sich ein aus Hamburg stammender Wissenschaftler und eine Gruppe Studenten einer historischen Gestalt wie Werner Seelenbinder? Fest steht: Ein Mensch mit DDR-Prägung wird in der Ausstellung nicht deckungsgleich das finden, was in früherem Gedenken an diesen Mann üblich war. Doch er könnte es als Bereicherung empfinden, erleben zu können, dass dieser andere, neue Zugang dem Arbeitersportler und Kommunisten Seelenbinder ebenfalls gerecht wird.
Bei der Materialsuche sei man im Wesentlichen auf DDR-Quellen angewiesen gewesen, sagt Rump, der seit 2018 an dem Projekt arbeitet. Im Deutschen Ringermuseum habe sich zu Seelenbinder nichts gefunden – »es ist auch mittlerweile geschlossen worden«. Das wesentliche Material, auf das sich die Ausstellung stützt, wurde in der DDR erarbeitet, ergänzt der Professor und verweist unter anderem auf das Buch »33 Monate – Erinnerungen an Werner Seelenbinder« von Seelenbinders Freundin Friedel Schirm. Den Startschuss des DDR-Gedenkens hatte einst Stefan Hermlin mit »Die erste Reihe« aus dem Jahr 1951 gegeben. Auch die Defa sollte später den Lebensweg Seelenbinders in »Einer von uns« verfilmen, allerdings ohne den Namen des Sportlers zu erwähnen.
Was zu diesen Zeiten nicht im Vordergrund stand: Als junger Mann siegte der vor 120 Jahren geborene und aus einfachsten Verhältnissen stammende Seelenbinder bei einem Körper- und Schönheitswettbewerb. Bald darauf schloss er sich dem Arbeiter-Ringersport an. Zweimal trat Seelenbinder in Moskau an, wo einer seiner Schulterwürfe anschließend »der Seelenbinder« getauft wurde. Unter dem Eindruck seiner Besuche trat Seelenbinder der Kommunistischen Partei bei. Ihr fühlte er sich auch nach Hitlers Machtergreifung noch verbunden.
1933, nachdem Seelenbinder erstmals Deutscher Meister geworden war, verweigerte er den Hitlergruß, was ihm 16 Monate Trainingsverbot eintrug. Auch die Gestapo wurde auf den Ringer aufmerksam. Sechs Mal gelang es Seelenbinder, deutscher Meister zu werden. Bei der Olympiade 1936 in Berlin erreichte er den vierten Platz, als Mitglied der deutschen Nationalmannschaft feierte er ebenfalls einige internationale Erfolge. 1937 und 1938 gewann er die Bronzemedaille bei den Europameisterschaften im Ringen.
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Währenddessen war Seelenbinder auch in Sachen Politik alles andere als untätig: Auf einem in der Ausstellung gezeigten Foto trägt er eine Reisetasche, in deren doppeltem Boden er politisches Material ins Ausland schmuggelte. Laut Ausstellungstext vervielfältigte und verteilte er Flugblätter, sicherte illegale Treffen ab und beschaffte sichere Quartiere und Lebensmittel für illegal arbeitende Genossen. Als Angehöriger der Widerstandsgruppe Robert Uhrig wurde Seelenbinder 1942 verhaftet. Sein Leidensweg durch Gefängnisse, Zuchthäuser und Lager endete vor 80 Jahren unter dem Fallbeil. Seelenbinder wurde 40 Jahre alt.
Dass die DDR das Andenken solcher mutiger Menschen hochgehalten hat – auch wenn sie nicht dem Offizierskorps der Wehrmacht angehörten –, muss zweifellos zu ihren guten Taten gerechnet werden. Ferienlager, Schulen und Sportschulen trugen Seelenbinders Namen, Sportmedaillen und Briefmarken sein Gesicht. Was ein Gedenken in Westdeutschland betrifft, »gab es da nicht viel«, sagt Rump. Immerhin: Seit 1972 führt ein Werner-Seelenbinder-Weg zum S-Bahnhof des Münchner Olympiastadions.
Dem Bildersturm nach 1989 entging auch Werner Seelenbinder nicht. »Vieles wurde nach der Wende vernichtet«, sagt Rump. Auch Seelenbinder wurde gleichsam in Haftung genommen. Kathrin Chod vom Kommunalpolitischen Forum Brandenburg erinnert an den Abriss der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle. Auch im Osten rückte der Boxer und Hitler-Anhänger Max Schmeling in den Vordergrund. 2016 wurde in Frankfurt (Oder) eine bronzene Seelenbinder-Büste gestohlen, 2018 wurde an ihrer Stelle eine Gedenkplakette angebracht.
Für eine Art Gegenbewegung gibt es allerdings auch Belege. Der Regionalsender RBB hatte 2004 eine Dokumentation zu Seelenbinder erarbeitet und unter dem Titel »Ein Ringer gegen Hitler« veröffentlicht. Und der damalige Bundespräsident Horst Köhler persönlich war es, der im Berliner Museum für deutsche Geschichte 2008 dafür sorgte, das Seelenbinder in die »Hall of Fame des deutschen Sports« aufgenommen wurde.
Auch der sanierte Glockenturm des Leipziger Zentralstadions trägt weiter den Namen Seelenbinders. Der Rasenballisten e.V., Fanklub des Fußball-Bundesligisten RB Leipzig, kümmert sich intensiv um das Andenken an den Ringer und beteiligte sich ebenfalls an der Realisierung der Potsdamer Ausstellung. Geplant ist weiterhin, dem Schild der Potsdamer Werner-Seelenbinder-Straße ein Zusatzschild beizufügen, das einige Erklärungen enthalten soll.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs veranlasste der Vater des ermordeten Sportlers, dass dessen Urne am Tempelhofer Feld in Berlin beigesetzt wurde, auf dem heutigen Werner-Seelenbinder-Sportpark. Dort befinde sich sein Grab heute noch in einer Ecke, »von der ich dachte, das sei ein Müllplatz«, sagt Rump. Parallel zur Ausstellung hat er eine Initiative gestartet, um die Grabstelle erkennbar zu machen und ihr ein würdiges Aussehen zu geben. Demnächst soll die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung dazu eine Entscheidung fällen. Rump, der sich vor dem Seelenbinder-Projekt dem Andenken der Revolutionärin Tamara Bunke gewidmet hat, plant für die Zukunft ein Forschungsprojekt, in dem er sich mit dem Sänger Dean Read beschäftigen will.
»Werner Seelenbinder – Ringer, Kommunist, Staatsfeind«, bis 18. Oktober, »Treffpunkt Freizeit«, Am Neuen Garten 64, Potsdam. Am 10. Oktober findet in der Gedenkstätte Lindenstraße eine Führung zum Volksgerichtshof-Prozess gegen Werner Seelenbinder statt. Anmeldung per Kontaktformular erforderlich: www.potsdam.vvn-bda.de
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