Die Rückkehr der Allmenden

»Commons« sind Gemeingüter, die kollektiv produziert, genutzt und verwaltet wurden. Können sie ein Mittel gegen die ökosoziale Krise sein?

  • César Rendueles
  • Lesedauer: 7 Min.
Wenn es nicht um Gemeingut, sondern um Privateigentum geht: Protest gegen die milliardenschwere Bankrettung in den USA 2008
Wenn es nicht um Gemeingut, sondern um Privateigentum geht: Protest gegen die milliardenschwere Bankrettung in den USA 2008

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Begriff der Allmenden oder Gemeingüter (englisch auch Commons) zu einem Schlüsselkonzept in der politischen und theoretischen Debatten der gesellschaftlichen Linken geworden. Viele Sozialwissenschaftler*innen und Aktivist*innen halten die Gemeingüter für einen theoretischen und praktischen Werkzeugkoffer, mit dem sich der Kapitalismus der Gegenwart kritisieren lässt und radikale Veränderungen beschreiben lassen. Diese Popularisierung wurde allerdings mit einer gewissen Unschärfe erkauft: Von den Commons abgeleitete Begriffe werden verwendet, um kongruente, aber sehr unterschiedliche Dinge zu beschreiben.

Im engeren Sinn handelt es sich bei den Commons um traditionelle gesellschaftliche Institutionen, mit denen der Umgang mit lebensnotwendigen Ressourcen, die kollektiv produziert, genutzt und verwaltet werden, reguliert wird. Über Jahrhundert hinweg erwies sich diese Art von Kollektiveigentum – das sich sowohl vom Privat- als auch vom Staatseigentum unterscheidet – als solides, egalitäres und ökologisch nachhaltiges Instrument, um den Zugang zu Subsistenzmitteln zu organisieren. Schon Jahrhunderte vor dem Entstehen von Märkten und modernen Staaten haben menschliche Gemeinschaften überall in der Welt Wälder, Weiden, Bewässerungsanlagen, Fischbestände, Jagdreviere, Wege und Kanäle bewirtschaftet. Viele Theoretiker und Aktivisten halten dieses historische Erbe für eine Praxis, von der auch die Industriegesellschaften der Gegenwart lernen könnten.

Andererseits wird der Begriff der Commons häufig aber auch ohne diesen unmittelbaren historischen Bezug verwendet: als eine Art Assoziation, die auf Solidarität, Gleichheit und Nachhaltigkeit verweist. Der US-Historiker Peter Linebaugh äußerte in diesem Sinne, dass sich Commons im Englischen in einen »Omnibus-Begriff« verwandelt habe, der jenseits seines technischen Gebrauchs eingesetzt wird, um auf »Alternativen zu Patriarchat, Privateigentum, Kapitalismus und Konkurrenz« zu verweisen. Möglicherweise hat der Begriff der Gemeingüter dadurch an Schärfe verloren, gleichzeitig hat diese Erweiterung es jedoch ermöglicht, die utopischen Energien fragmentierter Bewegungen zu bündeln und den heterogenen sozialen Bewegungen einen gemeinsamen Diskurshorizont zu eröffnen.

Gegenstaatliche Entwürfe

In den letzten 25 Jahren ist das Konzept der Gemeingüter von mindestens drei politischen Strömungen neu formuliert worden. Zunächst popularisierten die Bewegungen für Open Knowledge und Freie Software eine Reihe von Almende-Prinzipien, die zuvor nur in kleinen akademischen und politischen Zirkeln verbreitet waren. Die Cyber-Aktivisten begriffen die digitalen Netze als umkämpften politischen Raum, in dem zwei unterschiedliche Technik-, Kultur- und Wissenskonzepte um Vorherrschaft ringen. Gegen die großen Tech-Unternehmen, die eine Inwertsetzung und Bürokratisierung des Internets vorantrieben, verteidigten diese Aktivist*innen horizontale und kooperative Praktiken, die von der vorkapitalistischen Gemeingüterproduktion inspiriert waren. Der Gedanke dahinter war, dass das Internet vermittelt über spontane Kollaboration einen Raum des Überflusses erschaffe, der mit der Knappheit und der kapitalistischen Konkurrenz bricht. Gegen diese technopolitische Position lässt sich vieles einwenden, aber ihr kommunikativer Erfolg steht außer Frage. Viele Menschen kamen über die sogenannten Creative Commons zum ersten Mal in Kontakt mit dem Konzept der Gemeingüter.

Der zweite Moment, in dem der Gemeingüter-Diskurs Verbreitung fand, war die Rezession von 2008. An verschiedenen Orten der Welt kam es zu Protesten, bei denen die Commons im von Linebaugh skizzierten, offeneren Sinne eine zentrale Rolle spielten. Zum einen erlaubte das Konzept der Gemeingüter den sozialen Bewegungen, Wohlfahrtspolitiken zu verteidigen und gleichzeitig eine Kritik des bürokratischen Autoritarismus zu entwickeln. Universelle öffentliche Infrastrukturen wie das Gesundheits- oder Bildungswesen wurden als unverzichtbares Erbe betrachtet, doch gleichzeitig erkannte man, dass die Regierungen eine zentrale Rolle bei der Zerstörung den Wohlfahrtspolitiken und in den Privatisierungsprozessen gespielt hatten. Die Theorie der Gemeingüter eröffnete eine Perspektive, um das öffentliche Gesundheits-, Wohnungs- oder Bildungswesen aus einer nicht staatszentrierten Perspektive zu verteidigen und auf diese Weise an eine antiautoritäre Tradition anzuknüpfen, die die direkte Partizipation bei der Verwaltung öffentlicher Güter propagierte.

Zum anderen führte die Popularisierung des Gemeingüter-Konzepts dazu, dass die Verteidigung des Kollektiveigentums, die in den letzten Jahrzehnten in der radikal-linken Agenda gegenüber den Verteilungspolitiken an Bedeutung verloren hatte, wieder häufiger zu vernehmen war. Die Eigentumsfrage wurde als zentraler Bestandteil der Volkssouveränität begriffen, gleichzeitig fügte man aber zwei Punkte hinzu. Erstens wurde die Idee des Kollektiveigentums erweitert: Man zeigte auf, dass neben dem konventionellen öffentlich-staatlichen Eigentum weitere – effektive und egalitäre – Möglichkeiten der kollektiven Verwaltung von gesellschaftlich notwendigen Gütern und Dienstleistungen existieren. Zweitens vermittelte man, dass die Politik der Commons über die klassische Kollektivierung der Produktionsmittel hinausgeht. Vor dem Hintergrund der ökosozialen Krise wird ein umsichtiger Umgang mit den lebensnotwendigen Ressourcen eingefordert.

Heute erleben wir einen dritten Moment, in dem die Gemeingüter vor allem von der politischen Ökologie propagiert werden. Viele Theoretiker*innen und Aktivist*innen sind der Ansicht, dass das Paradigma der Commons aus emanzipatorischer Perspektive unverzichtbar für eine ökosoziale Transition ist. Warum das? Auf den ersten Blick scheint die ökologische Krise den Commons-Kritiker*innen recht zu geben, die immer schon behaupteten, dass Ressourcen, die niemandem gehören, auch von niemandem gepflegt werden. Diesem Ansatz zufolge werden alle privaten Akteure, die Zugang zu einer Ressource haben, diese zum eigenen Vorteil ausbeuten, bis sie erschöpft ist – und zwar auch dann, wenn das letztlich für alle Beteiligten von Nachteil und von niemandem gewünscht ist. Dieses als »Tragik der Allmende« bekannt geworden Phänomen stimmt zwar nicht für alle gesellschaftlichen Interaktionen, aber erklärt doch einige unserer größten gesellschaftlichen Umweltprobleme.

Historische Lösungsansätze

Doch die politische Ökologie verteidigt die Allmende-Institutionen aus genau diesem Grunde. Da wir heute in globalem Maßstab mit einem Dilemma konfrontiert seien, das historisch in viel begrenzteren Räumen auftrat, sollten wir, so die Argumentation, Lösungen aktualisieren, die die Gesellschaften der Vergangenheit für dieses Problem kollektiver Irrationalität entwickelten. Die traditionellen Allmende-Institutionen entstanden in Gesellschaften, die in fragilen Ökosystemen überleben mussten und von einer Überausbeutung der Ressourcen bedroht waren. Zudem entwickelten diese Gesellschaften Wertesysteme, die auf Selbstbeschränkung beruhten, und sorgten in stationären Ökonomien für ein subjektives Gefühl von Überfluss.

Dieser »Ökokommunalismus« ist ein wichtiger Beitrag und sollte nicht ins Lächerliche gezogen werden. Der Ansatz hat Innovationen des Rechts wie die Kategorie der »natürlichen Gemeingüter« ermöglicht: Dabei handelt es sich um natürliche Ressourcen, die der Staat bewahren sollte, aber über die er keine Eigentumsrechte besitzt. Nichtsdestotrotz hat der Ansatz aber auch zwei gravierende Probleme. Erstens führt er dazu, dass wir einen automatischen Zusammenhang zwischen Gemeingütern und Nachhaltigkeit unterstellen. Die traditionellen Allmende-Systeme waren niemals harmonische soziale Räume: Sie entstanden als Lösungen auf potenziell brandgefährliche gesellschaftliche Situationen und sollten die Gefahr eines großen Konflikts reduzieren. Es ist auch keineswegs klar, dass in unseren Massengesellschaften Allmende-Systeme immer das beste Mittel zur Einhegung derartiger Konflikte wären. Unsere Gesellschaften bestehen aus einer unübersichtlichen Zahl von Gemeinschaften und wir gehören alle gleichzeitig mehreren, ungenau definierten und sich verändernden Gruppen mit jeweils inkompatiblen Regeln und Zielen an.

Das zweite Problem des Ökokommunalismus hat mit der Dringlichkeit und dem Ausmaß der ökologischen Krise zu tun. Ein Grund, warum das Commons-Prinzip in der Umweltbewegung so populär ist, hat damit zu tun, dass die staatliche Politik die Umweltkrise aktiv mit vorangetrieben hat. Nichtsdestotrotz werden wir bei der Energiewende nicht auf die Fähigkeit des Staates verzichten können, große und koordinierte Transformationen schnell voranzutreiben. Ein emblematisches Beispiel dafür ist China, wo die Dekarbonisierung viel schneller voranschreitet als es in einem Land ohne autoritäre Regierungsvollmachten denkbar wäre. China errichtet jährlich etwa doppelt so viel Solar- und Windkraftkapazitäten wie der Rest der Welt zusammen.

Der Ökokommunalismus ist mit Problemen behaftet, die sich jeder gemeinwohlorientierten Politik stellen würden, die eine universalistische Perspektive – wie sie bei den traditionellen Allmende-Systemen fehlte – mit Selbstverwaltung und politischer Partizipation verknüpfen will. Für die Energiewende sind Effizienz und Geschwindigkeit notwendig: Es braucht eine großangelegte staatliche Politik, die auch Zwang einsetzen kann. Doch es bedarf auch einer Veränderung in unserem Alltagsverstand, eines neuen Konzeptes des guten Lebens, mit dem wir die »Imperiale Lebensweise« hinter uns lassen können. Die Gemeingüter der Gegenwart realistisch zu denken bedeutet, eine Wechselwirkung zwischen staatlicher Politik und lokaler Selbstverwaltung zu entwerfen, die in komplexen und pluralistischen gesellschaftlichen Räumen gedeihen kann.

César Rendueles ist spanischer Soziologe und veröffentlichte zuletzt die Essays »Kanaillen-Kapitalismus« und »Gegen Chancen-Gleichheit« (Edition Suhrkamp). In diesem Text für das »nd« fasst Rendueles Kernthesen seines neuen Buchs »Comuntopia. Comunes, postcapitalismo y transición ecosocial« (Akal, Madrid 2024) zusammen.

Das Konzept der Gemeingüter erlaubt es den sozialen Bewegungen, Wohlfahrtspolitiken zu verteidigen.

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