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Linke Debatte: Gegen rechte Ideen helfen nur linke
nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: Ein Plädoyer für einen linken Kulturkampf
Überfremdung, Hartz-IV-Karrieren, soziale Hängematte, großer Austausch, Gender-Gaga, asoziale Klimakleber, Klimaideologie, die ›unseren‹ Wohlstand zerstört – die Rechte führt einen Kulturkampf, der auf Moral und Werthaltungen zielt. Sie versuchen umzudefinieren, was normal ist, Grenzen zwischen sich und der Mehrheit zu verschieben und Linke als Vertreter randständiger Interessen darzustellen. Rechte Ideologiepolitik zieht eine politische Frontlinie zwischen denen, die als die Normalen gezeichnet werden, den national denkenden Menschen, die so leben wollen wie immer schon, und den angeblich Abgehobenen, denen, die sich für Minderheiten einsetzen und deutschen Wohlstand gefährden.
Wichtige Themenfelder sind Klimapolitik, der veränderte Umgang mit Geschlechteridentitäten, Geflüchteten- und Einwanderungspolitik, aber auch die Sozialpolitik – man denke an die rechte Erzählung vom Bürgergeldbetrug. Die rechten Kulturkämpfer waren erfolgreich. Sie haben es geschafft, eigene Deutungsrahmen, Begriffe und Erzählungen weit zu verbreiten. Ob Friedrich Merz oder enttäuschte Sozialdemokraten an der Basis – die Rede zum Beispiel von der »unkontrollierten Migration« oder der »gescheiterten Integration« tragen viele auf den Lippen.
Thomas Goes ist Mitglied im Landesvorstand der Linken in Niedersachsen. Er ist Soziologe und lebt in Göttingen.
Rechte Ideologie wird über rechte Sprache verbreitet. Das klingt banal, ist es aber nicht, weil Linke ihre Ideologie oft nicht über linke Sprache verbreiten, wie die Sprachforscherin Elisabeth Wehling gezeigt hat. Wenn wir beispielsweise in der Steuerdebatte sagen, starke Schultern sollten mehr tragen, rufen wir bei den Leuten das wach, was Rechte sich wünschen – Steuern erscheinen wie eine Last. Und wer will schon Lasten tragen? Man könnte auch von Steuerverantwortung reden, die wir haben, um ein gutes Zusammenleben zu ermöglichen. Sprachpsychologen und Kognitionsforscher wissen, dass Worte und Sprachbilder, die wir nutzen, nicht neutral sind. Sie knüpfen an eher linke oder eher konservative Werthaltungen an bzw. rufen diese wach, wie der Sprachwissenschaftler George Lakoff darlegt.
Zugespitzt: Es gibt eine Minderheit in der Bevölkerung, deren Alltagsbewusstsein von rein konservativen oder rechten Werten geprägt ist, und eine andere Minderheit, die klar links ist. Die Mehrheit der Menschen hat aber einen gemischten Alltagsverstand. In ihrem Gehirn sind rechte und linke Moralvorstellungen verankert, auch wenn eine Seite stärker ist. Welche das ist, kann sich ändern, wenn die jeweils andere öfter angesprochen wird. Und es sind, so Lakoff, nicht in erster Linie Fakten, die die Menschen überzeugen, entscheidend sind die wachgerufenen Gefühle und Werthaltungen. Sollen Fakten überzeugen, müssen sie zu den Werten passen.
Gefühle und Werte werden durch Worte und Metaphern angesprochen und aktiviert. Man nennt das Framing, also Rahmung. Frames oder Deutungsrahmen heben bestimmte Dinge hervor und machen andere unsichtbar. Ein Beispiel ist laut Elisabeth Wehling der Begriff Klimawandel. Konservativen ist es gelungen, einen Begriff durchzusetzen, der die beginnende Klimakatastrophe als ungefährlich erscheinen lässt, anstatt von einer Erderhitzung zu reden, die das Überleben der Menschen bedroht. Das Klima wandelt sich, wo ist das Problem?
Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.
Oder die Schuldenbremse. Schulden sind im normalen Alltag etwas Schlechtes. Wer Schulden hat, hat in der Regel einen Gläubiger. Das ist eher unangenehm. Vor diesem Hintergrund wirkt die Bremse wie eine Rettung, möglicherweise wird sogar rasende Verschuldung ausgebremst. Wer da bremst, tut Gutes. An die fehlenden Ausgaben, um etwa Kinderarmut zu bekämpfen, denkt man da nicht. Solche Frames rufen ganze Bilderwelten und Gefühle wach. Rechte sind Meister des Framings geworden, wir Linken spielen überwiegend gar nicht bewusst mit.
Rechte machen damit etwas sehr Linkes. Laut dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci sind Ideologien »reale geschichtliche Fakten«, auf dem »Terrain der Ideologien (gewinnen Menschen) ein Bewußtsein von ihrer gesellschaftlichen Stellung und somit von ihren Aufgaben«. Ohne linke Ideologie- und Kulturpolitik kann es auch keine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft geben – auch konkrete Organizingkampagnen und Reformkämpfe scheitern, wenn der ideologische Kampf um die Köpfe nicht geführt wird.
Die Rechte folgt Gramsci heute leider mehr als die Linke. Dabei sprechen sie ein breites Publikum an: die Paketbotin wie die Professorin, Spitzenverdiener wie Niedriglöhner*innen, rechte Aktivist*innen, die in Großstädten leben, ebenso wie Handwerker auf dem Land. Das ist möglich, weil Rechte wissen, dass Werte und Moral sie alle verbindet, während ganz konkrete politische Forderungen möglicherweise spalten. Sie arbeiten eine klare postfaschistische und radikal-konservative Moralpolitik aus, um mit dieser die Menschen zu erreichen, die ein widersprüchliches Alltagsbewusstsein haben.
Die rechten Kulturkämpfer waren erfolgreich und haben eigene Deutungsrahmen, Begriffe und Erzählungen weit verbreitet.
Sie übernehmen nicht die Sprache der Liberalen und Linken, sie reden Tacheles und können gerade deshalb Menschen gewinnen, die ihnen noch nicht folgen. Es stimmt, dass die Rechte an Ängste und Gefühle des Kontrollverlustes anknüpft und sie schürt. Das funktioniert aber nur, weil sie gleichzeitig ehrlich für etwas steht. Für die Postfaschisten ist zum Beispiel die Idee zentral, die Nation werde zerstört und deshalb sei die Zivilisation bedroht. Das verfängt natürlich nur, wenn Menschen Heimatgefühle empfinden, und Rechte Heimatliebe loben, zelebrieren und klar einfordern.
Meines Erachtens gibt es zwei linke Reaktionen, die der Rechten helfen zu gewinnen. Die eine besteht darin, rechte Erzählungen aufzugreifen und durch polarisierende Gegenerzählungen zu kontern. Hier ein hypothetisches Beispiel, wie wir oft auf rechtes Migrationsframing reagieren: Nehmen wir an, in einer Talkshow spricht Sahra Wagenknecht wieder von »unkontrollierter Einwanderung«. Vermutlich greift ein prominenter Linker dies in den sozialen Medien auf, indem er den Frame wiederholt: »Es gibt keine unkontrollierte Einwanderung.« Aber wer verneint, ruft trotzdem im Kopf wach, was verneint wird. Anschließend spricht unser Linker dann vielleicht von der »Festung Europa« und fordert »offene Grenzen«.
Ich bin für die Bewegungsfreiheit von Menschen. Aber durch dieses Framing werden rechte Werte bei den Menschen eher gestärkt und die Linke isoliert sich. Wozu ist eine Festung da? In ihr verteidigt man sich, sie gibt Schutz vor Angreifern. Eine andere Bedeutung verbinden mit der Metapher »Festung Europa« nur die, die schon überzeugt sind, dass die übliche Migrationspolitik schlecht ist. Hat man erstmal das Bild einer Festung genutzt, die Schutz bietet, ist die Forderung nach offenen Grenzen eher ein Schuss ins eigene Knie.
Um Missverständnisse auszuräumen: Das Framing ist das Problem, nicht die Forderung nach einer besseren Migrationspolitik. Wir müssen also besser werden im Kulturkampf. Eine linke Ideologie- und Kulturpolitik geht von Werten der Gleichheit und Gegenseitigkeit, der Gleichwürdigkeit der Menschen und dem Interesse an der freien Entfaltung aller aus, stellt arbeitende Familien in den Mittelpunkt, verbindet Menschen und macht Die Linke als Vertreterin des Wohls aller sichtbar. Vor diesem Hintergrund wäre es migrationspolitisch sinnvoller zu sagen, warum und wie Einwanderung unser Leben bereichert und Menschen sichtbar zu machen, die das tun oder getan haben. In einem Kampagnenvideo zeigt der Linke-Kandidat Nam Duy Nguyen aus Leipzig seine Eltern, die aus Vietnam herkamen und das Leben der Stadt reicher machten, indem sie einen Kiosk eröffnet haben. Hart arbeitende Menschen, die Leipzig besser gemacht haben.
Es gibt noch eine andere unter Linken verbreitete Reaktion auf den rechten Kulturkampf. Das, was von der Rechten bespielt wird und auch unter Anhängern und Wählern der Linken zu starken Meinungsverschiedenheiten führen könnte, soll rechts liegen gelassen werden. Statt über Klima und Einwanderung soll nur noch über sozial- oder verteilungspolitische Themen geredet werden. Die Linke-Bundestagsfraktion von Die Linke, die das öffentliche Erscheinungsbild der Partei für die große Mehrheit der Bevölkerung prägte (weil ihre Wortmeldungen im Mediensystem am ehesten durchdringen), hat diesen Weg in den vergangenen fünf bis zehn Jahren versucht. Aber diese »Flucht aus dem Kulturkampf« stärkt die Rechte aus drei Gründen.
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Erstens überlässt man durch das Verstummen den rechten Deutungsrahmen und Ideen das Feld. Denken wir wieder an das widersprüchliche Alltagsbewusstsein. Sprach- und Kognitionswissenschaftler zeigen: Je öfter konservative und rechte Werthaltungen durch rechte Frames aktiviert werden, desto stärker werden sie. Schweigt die Linke zu Themen, die die Nation aufwühlen, kann die Rechte ganz ungestört das Alltagsbewusstsein der Schwankenden bearbeiten und verändern. Wenn Menschen wirklich bewegt, wie die Klimapolitik der Bundesregierung aussieht, kann die Linke zehnmal über Mieten und Vermögenssteuern reden (was sie tun sollte). Vielleicht wird sie gehört, aber ganz sicher hören die Leute auch denen zu, die ihnen eine Meinung zur Klimapolitik anbieten. So wird das Alltagsbewusstsein rechts geprägt.
Und das verändert zweitens das gesamte gesellschaftliche Kräfteverhältnis. Wenn die Angst vor einer vermeintlich irren Klima-Ideologie, die den eigenen bescheidenen Wohlstand zerstören wird, erstmal geschürt ist, treibt das die Menschen ganz authentisch an. Vielleicht finden sie armutsfeste Renten (für die Die Linke natürlich unbedingt werben muss) auch wichtig – aber »moralische Panik«, die Die Linke durch Rückzug aus der Debatte noch leichter macht, überstrahlt oft die materiellen Interessen. Und so wird, drittens, schrittweise verschoben, was überhaupt noch als soziale Frage gilt bzw. wie man sich diese denn erklärt. Mehr und mehr wird dann die Grenze zwischen der Bedrohung durch Umweltaktivisten und der Gemeinschaft der Fleißigen gezogen, nicht zwischen oben und unten.
Wer also glaubt, aus dem Kulturkampf fliehen zu können, liefert die Menschen lediglich den Rechten aus. Auch hier gilt: Wir müssen einen linken Kulturkampf führen, besser und sorgsamer. Zum Beispiel durch eine Klimapolitik-Erzählung, die von der gemeinsamen Sorge um unser Zusammenleben und die Gesundheit unserer (Enkel-) Kinder ausgeht, die gezielt Menschen anspricht, die sich um ihre Existenz sorgen, die das Sicherheitsbedürfnis aufgreift und sehr fassbar aufzeigt, wie linke Vorschläge ihr Leben besser machen würden. Denken wir an das Linke-Wahlplakat zu den EU-Wahlen, das »Klima schützen statt Konzernprofite!« titelte und einen Eisbären zeigte. Besser wäre »Menschen schützen vor der Erderhitzung« gewesen, dazu Gesichter von Menschen, die wie wir sind, vielleicht Bau- oder Industriearbeiter, die auch unter Höchsttemperaturen schaffen müssen.
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