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Mach es einfacher!
Treiben die sogenannten kleinen Leute die Emanzipation voran? Loel Zwecker feiert »Die Macht der Machtlosen«
War die Aufklärung eine Sache einiger kluger Männer, deren Lehren sich nach und nach in der Gesellschaft verbreiteten? Oder nahmen die Herren namens Rousseau, Kant und Voltaire vielmehr eine Stimmung auf, sodass sie mit ihren Büchern also lediglich einen bereits schwelenden Freiheitsdrang verstärkten? Auf diese interessante Frage antwortet Loel Zwecker, Jahrgang 1968 und studierter Kunsthistoriker, mit einem launigen Buch, das Emanzipation nicht als Elitenprojekt versteht, sondern als Sache der kleinen Leute.
»Die Macht der Machtlosen« heißt sein Versuch, eine kursorische Geschichtsschreibung der Subalternen zu extrapolieren. Exemplarisch stellt er einige politische Strömungen und ihre Protagonisten vor, darunter den frühen Feminismus, die Gewerkschaftsbewegung und den Abolitionismus. Die These dazu: »Die meisten, ja fast alle positiven gesellschaftlichen Entwicklungen von übergreifender Bedeutung wurden nicht von Leuten mit Amtsgewalt oder Wirtschaftskraft wie Fürsten, Präsidenten, Militärs, Magnaten oder CEOs angeschoben; und es waren auch nicht Revolutionsführer oder ›große Denker‹ – sondern scheinbar Machtlose, ›die da unten‹, einfache Leute.«
Das muss man jetzt ein bisschen sortieren. Dass die Eliten eines bestehenden Systems in der Regel am Status quo festhalten, ist erst einmal nicht überraschend, da sie zu seinen Profiteuren gehören. Warum aber verweist Zwecker auch die bekannten Rebellen und großen Denker auf die hinteren Plätze? Ist die Wirkung des einzelnen, revolutionären Subjekts tatsächlich vernachlässigbar? Eine Behauptung, die sich leicht beweisen ließe, ginge man davon aus, dass eigentlich Ideologien und ökonomische Strukturen den Weltenlauf leiten, dass also jede und jeder der sogenannten einfachen Leute ein Ideenträger ist, ein Proxy des Zeitgeists. Man müsste dann nur diese spezifische Eigenschaft mit der ganzen Person verwechseln und schon wären alle Revolutionäre. Aber damit wäre eine soziologische Perspektive gewählt, um die es Zwecker ganz sicher nicht geht. Er will weniger Geschichte als vielmehr Geschichten erzählen. Ersichtlich hat er seine These absichtsvoll nicht besonders gut untermauert, soll sie doch luftig genug sein, um Platz zu lassen für die ein oder andere Anekdote.
Und so erzählt er also von »Mother Jones«, einer linken Ikone der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts, die einst mit einem Zug aus Kinderarbeitern auf New York marschierte. Von der Suffragette Emily Davison, die im Kampf für das Frauenwahlrecht spektakulär ihr Leben hingab, als sie sich 1913 bei einem Rennen vor das Pferd des Königs stürzte. Oder von Benjamin Lay, der im 18. Jahrhundert unermüdlich gegen die Sklavenhaltung agitierte und dabei durchaus erfinderisch vorging. Lay manipulierte eine Bibel, hieb mit dem Schwert darauf, ließ Blut aus ihr spritzen und behauptete, Gott selbst drohe gerade den anwesenden Sklavenbesitzern.
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Kurzum: Zwecker, Verfasser mehrerer populärhistorischer Bände, schert sich nicht besonders um seine eigene Theorie, sondern plaudert einfach drauflos. Bei ihm können auch Christina von Schweden (1626 bis 1689), immerhin eine Königin, oder José Mujica, von 2010 bis 2015 linker Regierungschef von Uruguay, zu der Kategorie der kleinen Leute zählen. Immerhin habe Mujica einen Großteil seines Gehalts an Arme gespendet und gegen die Banken geschimpft. Und Christina hatte weder etwas für das Leben am Hofe noch für sogenannte weibliche Umgangsformen übrig, was sie für Zweckers kreative Definition der Emanzipation qualifiziert. Für ihn geht es dabei darum, »sich und seinen Lebensstil komplett neu zu erfinden«.
Durchaus konsequent kürzt der Autor allzu Abstraktes oder Komplexes von seinem Thema weg, bis das exemplarische Schicksal und die eine heroische Tat übrig bleiben. Zu kompliziert darf es dafür natürlich nicht in der Welt zugehen. Und so wundert es einen dann auch nicht, wenn er ein paar Abschnitte lang darüber spekuliert, unter welchen Bedingungen es sinnvoll wäre, einen Konsumstreik von Popstars anführen zu lassen und wer sich dafür bereit erklären könnte. (Radiohead oder PJ Harvey hält er für möglich, Beyoncé oder Bob Dylan fände er toll.) Dass es genau so etwas tatsächlich schon gibt, nämlich die antiisraelische BDS-Bewegung, scheint dem Autor entgangen zu sein.
An einer anderen Stelle fordert Zwecker ein Ende der »ganzen klugen Ausdifferenzierungen, Abstrahierungen und Aufladungen des Geldes«, das nunmehr besser nur noch »schlicht als Mittel für den sinnvollen Austausch von Gütern und Dienstleistungen dienen« sollte. In einer Zeit, in der man in Berlin-Mitte Passanten anhalten könnte, um mit ihnen über die Modern Monetary Theory oder die demokratische Legitimierung von Zentralbanken zu diskutieren, ist das eine imponierend simple Ansicht. Aber die intellektuelle Zurückhaltung, die an solchen Stellen durchscheint, ist bei Zwecker durchaus Absicht: intendiert und zielgerichtet eingesetzt. Man braucht ein bisschen, bis man verstanden hat, wovon »Die Macht der Machtlosen« eigentlich handelt: Es atmet die Hoffnung auf eine Welt, in der das Linkssein wieder einfach ist und vor allem: endlich wieder hilft. Dass der Autor dafür in die Vergangenheit blicken muss, ist die traurige Pointe dieses Buchs.
Loel Zwecker: Die Macht der Machtlosen. Eine Geschichte von unten. Tropen, 416 S., geb., 26 €
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