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Anti-linke Konjunktur: Gegen die »links-grüne« Bedrohung

Für Rechte ist progressive Politik ein Feindbild. Aber auch Sozialdemokraten und Bürgerliche grenzen sich immer mehr nach links ab. Was bedeutet das?

  • Moritz Ege und Alexander Gallas
  • Lesedauer: 13 Min.
Abgrenzung nach links ist nichts Neues, wie die 30 Jahre alte Wahlkampagne der CDU zeigt. In der gegenwärtigen anti-linken Konjunktur drückt sich aber eine Spezifik unserer Gegenwart aus.
Abgrenzung nach links ist nichts Neues, wie die 30 Jahre alte Wahlkampagne der CDU zeigt. In der gegenwärtigen anti-linken Konjunktur drückt sich aber eine Spezifik unserer Gegenwart aus.

Im November 2023 versprach Donald Trump seinen Anhänger*innen: »Wir werden die Kommunisten, Sozialisten, Faschisten und linksradikalen Verbrecher ausrotten, die wie Ungeziefer in den Ritzen unseres Landes leben.« Die größte Gefahr für die USA sei keine externe Bedrohung, sondern komme aus dem Inneren: »Sie werden alles tun, ob legal oder illegal, um Amerika und den amerikanischen Traum zu zerstören.« Die Linke als Gruppe von Schädlingen und Faschisten, als subversiv-destruktive Bedrohung – das Zitat illustriert eine rhetorische Eskalation, die für einen größeren Zusammenhang steht. Wir durchleben aktuell nicht nur eine Rechtswende bis hin zu Faschisierungsprozessen, sondern in vielen Ländern auch eine dezidiert anti-linke Konjunktur.

Gemeint ist damit eine gesellschaftspolitische Konstellation (eine »Conjuncture« im Sinne des britischen Kulturtheoretikers Stuart Hall), in der die Linke nicht nur geschwächt ist und es ihr auch nicht nur an strategischem Weitblick und Utopien mangelt. Sondern sie fungiert auch als so etwas wie ein kollektiver Gegner und Sündenbock, der als Feindbild ein gegnerisches Lager eint, das von der extremen Rechten bis in die bürgerliche »Mitte« reicht. Die gegenwärtige »Conjuncture« wird besser verständlich, wenn wir den scheinbaren Nebenaspekt ins Zentrum rücken und uns klarer darüber werden, woraus die anti-linke Komponente besteht, wie sie sich beschreiben und erklären lässt.

Eine Bedrohung von links

Was genau unter »links« verstanden wird, ist dabei, so denken wir, gar nicht entscheidend. Angriffe richten sich auf sozialistisch orientierte Parteipolitik gleichermaßen wie auf »Wokeness«, identitätspolitische Mobilisierungen, Gleichstellungspolitik und »Gender«; sie richten sich gegen streikende Arbeiter*innen, aber auch gegen Aufrufe, klimaschädliche Industrien stillzulegen; gegen linken »Lumpen-Pazifismus« und gegen Linke, die sich für die militärische Unterstützung der Ukraine einsetzen. Selbst innerhalb der Linken stark umstrittene Positionierungen – für oder gegen Lockdowns, für oder gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, dafür oder dagegen, Israel zu unterstützen – werden also zur Zielscheibe generalisiert-antilinker Attacken.

Die CDU schaltete in einen »kulturkämpferischen« Politikmodus um – mit dem Hauptgegner links-grün».

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Europäische Konservative, die als «mitte-rechts» apostrophiert werden, gehen in ihren Angriffen für gewöhnlich nicht so weit wie Trump. Aber auch sie haben sich in ihrer Agitation gegen Linke erheblich radikalisiert. In Deutschland ist es der Wechsel von Angela Merkel zu Friedrich Merz an der CDU-Spitze, der diese Entwicklung illustriert. Der Sozialwissenschaftler Daniel Mullis argumentiert in seinem Buch «Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten» treffend, dass die neue CDU-Spitze nach den schlechten Wahlergebnissen bei der Bundestagswahl 2021 ab dem Januar 2022 dezidiert in einen «kulturkämpferischen» Politik-Modus umschaltete – mit dem Hauptgegner «links-grün».

Für diesen Modus sei entscheidend, dass der gesellschaftlichen Mitte beziehungsweise den «normalen Leuten» ein Bedrohungsszenario vorgesetzt werde. Der links-grüne Gegner, so das skizzierte Szenario, schlage nicht nur falsche oder gefährliche Politik vor, sondern sei eine «Bedrohung der eigenen Identität», er verachte die «normalen», «hart arbeitenden» Menschen und wolle sie übervorteilen. Man müsse sich also zur Wehr setzen. Ob es um geschlechtersensible Sprache, das Bürgergeld oder Migrationsfragen ginge: «Allen drei genannten Themenfeldern gemeinsam ist das Narrativ, wonach den Menschen aus der vermeintlich normalen Mitte von links-grüner Seite etwas weggenommen werde, sodass sie in ihren Rechten beschnitten würden und nicht mehr sagen dürften, was sie denken. Grüne und Linke werden so kurzerhand als Antidemokrat:innen dargestellt, die die Demokratie mittels Denkverboten und Gesetzen einschränken», so Mullis. Wirtschaftsliberale Parteien argumentieren im Übrigen inzwischen weithin ähnlich.

«Realismus» signalisieren

Blicken wir auf das Mitte-links-Lager, so würden wenige derer Vertreter*innen sich dem Merz’schen Politikmodus verschreiben oder gar Trumps Rhetorik zu eigen machen. Moderate und Sozialdemokrat*innen sind schließlich mitgemeint, wenn Trump und Konsorten zu ihren Tiraden ansetzen. Dennoch stärken sie die Angriffe von rechts, indem sie sich rabiat von linken bis linksliberalen Politikinhalten abgrenzen, um «Seriösität», «Realismus» und auch «Volksnähe» zu unterstreichen.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Dieser Mechanismus ist nicht per se neu, aber er zeigt sich aktuell in radikaler Form: Der britische Premier Keir Starmer säuberte nicht nur seine traditionsreiche Labour-Partei kurzerhand von ihrem linken Flügel, er gab auch die Anweisung, Abgeordnete dürften keine Streikposten besuchen, wenn sie Teil seiner Regierung werden wollten. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, einst Wirtschaftsminister im Kabinett des sozialistischen Ministerpräsidenten Manuel Valls, machte eine Rentenreform zu seinem zentralen Projekt, mit der er 2022/23 sehr kalkuliert die Gewerkschaften und die gesamte Linke gegen sich aufbrachte. Im Juni 2024 warnte er vor einem Bürgerkrieg – dieser drohe nicht nur, falls Le Pen die Wahl gewänne, sondern auch im Falle eines Sieges der linken Volksfront. Entsprechend lehnte er jüngst auch die Regierungsbildung durch das Linksbündnis Nouveau Front populaire ab, indem er «Instabilität» prognostizierte.

Dezidiert anti-links operiert auch Olaf Scholz – nicht zuletzt im Feld der Migrationspolitik. Anlässlich einer «Sommer-Pressekonferenz» fragte ihn ein Reporter der «Bild»-Zeitung kürzlich nach «seinem Versprechen, ›im großen Stil‹ abzuschieben». Laut Bild antwortete der Bundeskanzler, dabei handele es sich um «keine unlösbare Aufgabe» und dass die «Erfolge jeden Tag größer» würden. Er selbst prüfe täglich, wie viele Menschen aus Deutschland weggeschafft worden seien.

Starmer, Macron und Scholz agieren als Politiker, die humanistisch-demokratische Orientierungen und linke Politikinhalte delegitimieren. In ihrem Agieren schwingt ein vermeintliches «Wissen» um entsprechende gesellschaftliche Stimmungen mit – und die, so die Annahme, sind gegen links gerichtet.

Rechtsverschiebung gegen die Linke

Auch in einer ganz anderen politischen Ecke finden strategische Weichenstellungen statt: Eine Reihe vormals dezidiert linker Politiker*innen lehnen die Selbstbeschreibung als Linke heute ab. Sie distanzieren sich von klassischen und neuen Symbolen der politischen Linken sowie nicht zuletzt von kulturellen Figuren, die das Linkssein vermeintlich verkörpern: «Klimakleber*innen», «Gutmenschen», «Lifestyle-Linke» und so weiter. Teils handelt es sich dabei um defensive rhetorische Neupositionierungen, also um eher taktische Maßnahmen, für die Gewinnung von Zustimmung. Vor allem aber liegen hier inhaltliche Rechtsverschiebungen vor, also hin zum Nationalismus, zur Schließung von Grenzen, zur Heteronormativität, zur Fortführung fossiler Energiegewinnung und so weiter.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) illustriert die inhaltliche Verschiebung von links nach rechts im zweiten Sinne besonders deutlich. Das BSW hat sich nicht nur von der Linkspartei abgespalten, sondern auch – darauf deutet das Ergebnis der Europawahl – viele Wähler*innen mitgenommen. Wagenknecht war einst als Anführerin der kommunistischen Plattform in der PDS verschrien, inzwischen verkündet ihr Bündnis, man sei «weder links noch rechts». Stattdessen hantiert man mit dem gewollt widersprüchlichen Attribut «linkskonservativ». Laut Fabio di Masi, seit kurzem für das BSW im Europaparlament, verweise der Begriff «links» nicht mehr auf den Konflikt zwischen oben und unten, vielmehr «verstehen darunter immer mehr Menschen elitäre und weltfremde Diskurse und Lifestyles». Dies ist eine Argumentation ganz im Sinne von Wagenknechts Bestseller «Die Selbstgerechten», der mit Angriffen auf die «Lifestyle-Linke» gespickt ist.

Vertreter*innen des BSW greifen vermeintlich kriminelle Migrant*innen, junge Klimaaktivist*innen mit angeblich privilegiertem sozialen Hintergrund, grüne Politiker*innen und inzwischen auch Bezieher*innen von Sozialleistungen an. Es scheint sich eine Konvergenz mit anderen rechten Kräften im Kulturkampf zu vollziehen. Sicherlich unterscheidet sich das BSW vom Merz-Flügel der Union aufgrund seiner konsequent prorussischen Position und seiner Skepsis gegenüber den «Segnungen» des «freien Marktes». Dennoch wird inzwischen über mögliche Koalitionen mit der CDU auf Landesebene spekuliert. Man muss also konstatieren, dass eine inhaltliche Kehrtwende stattgefunden hat, nicht bloß ein taktisch motivierter Wechsel der rhetorischen Register. Die Folgen für die politische Lagerbildung sind drastisch: Das BSW macht es ehemaligen Linken einfach, die Lager zu wechseln und sich anti-links zu äußern.

Feindbild «Schwäche»

Wie passen diese Manöver mit der von der Klimakatastrophe, den Kriegen und Krisen gekennzeichneten politischen Großwetterlage zusammen? Skizzenhaft dargestellt ergibt sich folgendes Bild: Die politische Linke hat nicht nur mit krassem Gegenwind zu kämpfen, sie ist auch in der krisenhaften Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche gefangen. Dies verunmöglicht eine einheitliche Programmatik; der Linken kann es deshalb nicht gelingen, klare und strömungsübergreifende Antworten auf drängende politische Probleme zu geben, zum Beispiel auf die Fragen des Grenzregimes, der Pandemie und der in der Ukraine und im Nahen Osten entfesselten Gewalt. Um einen wichtigen Punkt herauszugreifen: Sie tut sich schwer, die Spannung aufzulösen, die zwischen einer tiefgreifenden ökologischen Transformation, wie sie offenkundig geboten ist, und den Interessen von Lohnabhängigen in den fossilen Industrien besteht. Umgekehrt fällt es den Gegner*innen der Linken leicht, angesichts harter Verteilungskämpfe – realer und imaginierter – die universalistischen Ziele der Linken zu diskreditieren, ins Lächerliche zu ziehen und als gefährlich zu brandmarken.

Die Rechte radikalisiert sich und ist zunehmend populär, wohl nicht zuletzt, weil sie eine eindeutige Krisendiagnose und ein Schutzversprechen anbietet: nur die Rechte sei dazu bereit, den «Wohlstand» zu sichern – die naiv-selbstgerechte oder auch verräterische Linke hingegen wolle ihn opfern. Die politische Mitte, darunter auch sozialdemokratische und linksliberale Kreise, verhalten sich opportunistisch und stoßen in dasselbe Horn.

All dies hat einen polit-ökonomischen Hintergrund: Verhaltene Reformbestrebungen hinsichtlich der Finanzmärkte, der fossilen Industrien und der Steuer- und Sozialsysteme – die unter anderem mit der Programmatik eines sozial-ökologischen Umbaus der Wirtschaft verbunden waren – sind von den betroffenen Kapitalfraktionen und mithilfe der einschlägigen Medien weitgehend erfolgreich abgeblockt worden. Nun bemüht man sich in der schrumpfenden Mitte darum, anschlussfähig zu bleiben und sich zugleich als berechenbare, rationale Alternative zum bisweilen irrlichternden, aber dennoch wachsenden rechten Rand darzustellen. Und das funktioniert vorwiegend darüber, dass man mit Verweis auf vermeintliche «Sorgen» der Bevölkerung rechte Topoi aufgreift und sich in aller Deutlichkeit von der Idee einer gesellschaftlichen Transformation und von der politischen Linken abgrenzt.

Im Zuge dessen kommt eine Parade von Figuren zur Aufführung, die mit Ressentiments aufgeladen sind und als Feindbilder dienen: Die jungen migrantischen Straftäter, die «arbeitsscheuen» Bezieher*innen von Sozialleistungen, die permissiv-hedonistischen Großstädter*innen, Feminist*innen und Queers, weltfremde Klimaaktivist*innen – und nicht zuletzt auch die Bastion des Linksliberalismus, also die gutsituierten Akademiker*innen, welche gesellschaftliche Härte nur vom Hörensagen kennen. Die Figuren scheinen die Gesellschaft und ihre Probleme verständlich zu machen. Die Bilder verbinden sich mit bereits bestehenden Kulturkampf-Kampagnen gegen die «Gender-Sprache», gegen Trans-Akzeptanz, gegen «Bevormundung» in der Energiepolitik. So finden diese Motive im Alltagsverstand verschiedener Gruppen eine neue Resonanz und versteifen sich zu politischen Haltungen und Selbstverständnissen, es entsteht ein anti-linker «Vibe», eine dominante gesellschaftliche Stimmung, die die Positionen der populistischen und extremen Rechten normalisiert und legitimiert.

Wiederkehrende Konjunkturen

Viele Aspekte einer solchen Stimmung sind nicht neu. Der historische Faschismus war auf brutale Art und Weise «anti-links», in Trumps heutiger Rhetorik hallt der Antikommunismus der 1950er Jahre hallt wieder, die «Backlash»-Bewegungen gegen Feminismus und Antirassismus und gesellschaftliche Emanzipationsbewegungen lassen sich als «anti-links» identifizieren.

Aber auch die akademische Thematisierung anti-linker Einstellungen hat ebenfalls eine lange Geschichte, auch wenn sie oft eher implizit «mitlief». So waren es bekanntermaßen das «fehlende» Klassenbewusstsein, die ausbleibende Revolution und der Aufstieg beziehungsweise die Popularität von Autoritarismus, Antisemitismus und Faschismus, die zentrale Überlegungen und Forschungen des westlichen Marxismus und der kritischen Sozialwissenschaften seit den 1920er Jahren provozierten, ob bei Antonio Gramsci oder in der Frankfurter Schule. Diese Autor*innen handelten nicht nur implizit die relative Nicht-Popularität der (sozialistisch-kommunistischen) Linken ab. Ihre Schriften zeigen auch, wie historische Linke von ihren rechten Gegnern als Feindbild beschworen und als Konkurrenten bekämpft wurden. In Leo Löwenthals Studie «Falsche Propheten» zeichnen die radikal-rechten Agitatoren ihr Feindbild, die «Roten», beispielsweise nicht nur als gottlos und brutal, sondern – was für das kapitalistische Konkurrenzelement spricht – auch als «erfolglos und unzuverlässig».

Wenn wir in die Gegenwart springen, lässt sich etwa die viel diskutierte «Triggerpunkte»-Studie von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser auf mögliche Erklärungen für die anti-linke Stimmung hin lesen. Ihrer Analyse zufolge liefern vor allem die «Normalitätsverstöße» emanzipatorischer Bewegungen sowie (reale oder befürchtete) «Verhaltenszumutungen» die Grundlage dafür, dass vage Affekte sich zu anti-linken Ideologien verfestigen. Es leuchtet ein, dass solche Mechanismen erheblich daran mitwirken, dass sich eine feindselige gesellschaftliche Atmosphäre herausbildet. Die Anlage der Studie hat allerdings zur Folge, dass es offen bleibt, wie die «Unterstruktur moralischer Überzeugungen, Selbstverständnisse, Alltagskosmologien und Rechtfertigungsmuster» entstehen, die solche Reaktionen hervorrufen, und warum sie genau jetzt bedeutsam werden.

Stuart Halls Populismusanalyse

Aus unserer Sicht lässt sich in inhaltlicher wie methodischer Hinsicht vor allem an Analysen Stuart Halls anknüpfen, um die gegenwärtige anti-linke Konjunktur zu verstehen. Zunächst einmal ist die Ähnlichkeit der gegenwärtigen Vorgänge zur «Great Moving Right Show» Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre auffällig. Mit diesem Terminus beschrieb der britische Marxist, Kulturtheoretiker und Soziologe Hall die Entwicklung der britischen Tories unter Führung Margaret Thatchers hin zu einer autoritär-populistischen, neoliberalen Partei. Folgen wir Hall, vollzog sich diese Transformation im Kontext einer tiefen Krise von britischer Ökonomie, Politik und Gesellschaft – und über die dezidiert «anti-linken Kampagnen» von Thatcher und ihren Verbündeten.

Politisch-ökonomische und kulturelle Dynamiken wirkten dabei eng zusammen. Hall unterstrich, dass die Rechte in dieser Zeit anti-linke Ressentiments mobilisieren konnte, weil die regierende Sozialdemokratie sich in der Krisensituation in tiefe Widersprüche verheddert hatte. Einerseits beanspruchte die Labour-Regierung unter James Callaghan (1976–1979) weiterhin, die Interessen der Lohnabhängigen zu vertreten; andererseits verschrieb sie sich der Austeritätspolitik. Sie senkte die Staatsausgaben, wehrte Lohnforderungen der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst ab und nahm ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit in Kauf. Das sorgte nicht nur für Konflikte mit dem linken Parteiflügel und den Gewerkschaften, sondern weite Teile der Bevölkerung erlebten den Staat als gegen sie gerichtete Instanz der Gängelung und Disziplinierung.

Die neue Rechte unter der Führung Thatchers griff staatskritische Stimmungen auf und behauptete auf der Seite der Bevölkerung zu stehen, indem sie an den kleinbürgerlichen Alltagsverstand andockte: für traditionelle Werte wie Recht und Ordnung, harte Arbeit, Familie und Patriotismus – und gegen den Staat und den «inneren Feind», also die gesellschaftliche Linke und ihr vermeintlich gesellschaftszersetzendes Umfeld. Dazu zählte die Rechte nicht nur sozialdemokratische Eliten innerhalb des Staats, Intellektuelle und Gewerkschafter*innen, sondern auch die vermeintlich arbeitsscheuen Bezieher*innen von Sozialleistungen und die hedonistischen urbanen Milieus, die die britischen Jugendkulturen prägten.

Zugleich, und auch dies ist in der Gegenwart ähnlich, lud sie – mithilfe rechter Medien und der Polizei- und Justizapparate – die Frage von «Recht und Ordnung» rassistisch auf. Hall und seine Ko-Autoren argumentierten in ihrem Buch «Policing the Crisis»von 1978, dass die Neue Rechte Zustimmung organisierte, indem sie die staatlichen Organe als unfähig bis unwillig beschrieb, die Straßengewalt unter Kontrolle zu bringen, welche angeblich von messertragenden, migrantisch geprägten Gangs ausgehe.

Dass auch heute eine sozialdemokratisch geführte Regierung an ihren Widersprüchen scheitert, zu Sparmaßnahmen greift und rechten Kräften darin zustimmt, dass Migration die «Mutter aller Probleme» (Seehofer) sei, macht die offenkundigsten Ähnlichkeiten der beiden anti-linken Konjunkturen aus. Von der sehr viel weiter gediehenen Neoliberalisierung von Ökonomie und Alltagskultur über die greifbar werdende Klimakrise bis zum medientechnischen Wandel mangelt es natürlich auch nicht an Unterschieden. Wichtig scheint uns dabei ein Punkt: Anders als damals geschieht die Bekämpfung der gesellschaftlichen Linken und ihrer emanzipatorischen Bestrebungen nun strömungsübergreifend und in weitgehender Einhelligkeit. Die politischen Interventionen der Rechten, der Mitte und der «Linkskonservativen» befeuern sich mittels einer Abgrenzung nach links gegenseitig.

Moritz Ege ist Professor für Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Zürich.
Alexander Gallas ist Vertretungsprofessor für Globale Politische Ökonomie der Arbeit unter Berücksichtigung der Geschlechterverhältnisse an der Universität Kassel. Sein zweibändiges Buch «Exiting the Factory: Strikes and Class Formation beyond the Industrial Sector» ist kürzlich bei Bristol University Press erschienen.

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