90 Tagessätze für Teilnahme an G20-Demonstration

Hamburger Gericht fällt Urteil gegen zwei Angeklagte im ersten Rondenbarg-Prozess

  • Matthias Greulich
  • Lesedauer: 3 Min.
Unterstützer*innen halten vor dem Gerichtsgebäude am Dienstag eine eindeutige Buchstabenkombination in die Höhe.
Unterstützer*innen halten vor dem Gerichtsgebäude am Dienstag eine eindeutige Buchstabenkombination in die Höhe.

Nils Jansen trägt Sneaker, kurze Hose und ein weißes T-Shirt, als er sich mit »nd« über das gerade gegen ihn gesprochene Urteil unterhält. »Von der ursprünglichen Anklage ist nicht viel übrig geblieben, wenn man bedenkt, dass ursprünglich Haftstrafen im Raum standen.« Die Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg hat den 29-Jährigen und eine 35-Jährige zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, von denen jeweils 40 Tagessätze als bereits vollstreckt gelten. Damit blieb das Gericht deutlich unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die auf 150 Tagessätze plädiert hatte. Ein wichtiger Aspekt: Die Verurteilten bekommen durch die moderate Geldstrafe keinen Eintrag in ihr polizeiliches Führungszeugnis.

Ob die beiden nach acht Monaten mit 24 Verhandlungstagen gegen das Urteil in Revision gehen, ist noch nicht sicher. »Es gibt Anhaltspunkte, die dafür sprechen, das zu tun«, so Jansen. Wichtig war ihm, dass der bisherigen Eskalationstaktik im Rondenbarg-Komplex durch das Gericht ein Riegel vorgeschoben wurde. Es ist in dieser Sache das dritte Verfahren mit insgesamt 85 Angeklagten, zu denen auch der damals 18-jährige Fabio V. gehörte, der fünf Monate in Untersuchungshaft saß. Allerdings wurde wegen des Mutterschutzes einer Richterin und der Corona-Pandemie keines dieser Verfahren zu Ende geführt.

Im jetzigen Prozess ging um die Geschehnisse am frühen Morgen des 7. Juli 2017, als mehrere in unterschiedlichen Farben gekleidete Gruppen in verschiedene Richtungen aus einem Protestcamp am Hamburger Volkspark aufgebrochen waren. Eine Gruppe bestand aus etwa 200 Personen, der die Angeklagten angehörten. Weil es zu Steinwürfen auf Polizisten gekommen war, sah das Gericht den Tatbestand des Landfriedensbruchs als erfüllt an.

Anders als es der Protestforscher Professor Sebastian Haunss ausgesagt hatte, habe sich die überwiegend schwarz gekleidete Gruppe nicht an den Aktionskonsens bei der Aktion »Colour the Red Zone« gehalten, argumentierte das Gericht. Dass von den Demonstrierenden »keine Eskalation ausgehen werde«, habe nicht für den »schwarzen Finger« gegolten.

Zum Prozessauftakt hatte die Richterin noch gesagt, in diesem Verfahren gehe es um sehr grundsätzliche Fragen: »Was darf Protest?« Die Sichtweise der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung lägen dazu »maximal weit auseinander«. In ihrer Urteilsbegründung machte sie dann aber deutlich, dass es um die rein strafrechtliche Aufarbeitung der Geschehnisse gehe. Der Gipfel habe tiefe Wunden in Hamburg hinterlassen. »Die Leidtragenden waren die Bewohner, die sich das nicht ausgesucht haben«, sagte die Vorsitzende Richterin Sonja Boddin.

Die Ereignisse im Rondenbarg seien überhaupt nicht mit dem Tatkomplex an der Elbchaussee vergleichbar, erklärte die Richterin außerdem. Durch diese Straße in einem Hamburger Reichenviertel waren ebenfalls Demonstrierende gezogen und hinterließen dabei angezündete Autos und eingeworfene Scheiben.

Boddin negierte am Dienstag ausdrücklich die vom damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) vertretene steile These, es habe keine Polizeigewalt gegeben. »Ich bin mir sicher, dass es unverhältnismäßige Polizeieinsätze gab, auch im Rondenbarg«, so Boddin. Dieser Einsatz, bei dem 14 Teilnehmende verletzt wurden, als sie von einem abgebrochenen Betongitter in die Tiefe stürzten, sei jedoch für die Verurteilung nicht relevant.

»Das Urteil ist ein schwerer Angriff auf die Versammlungsfreiheit«, kommentierte die Soligruppe zum Rondenbarg-Prozess anschließend auf ihrer Webseite. Teilnehmer*innen einer Demonstration seien für Straftaten verurteilt worden, die sie nicht begangen hätten, diese also »in Kollektivhaftung genommen«. Die Gruppe sieht in dem Urteil auch einen Rückfall hinter den Brokdorf-Beschluss von 1985, wonach der Schutz der Versammlungsfreiheit »für die Teilnehmenden auch dann erhalten bleiben muss, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist«. Ähnlich äußerte sich die Rote Hilfe: »Die Demonstrationsfreiheit wird durch solche Urteile massiv gefährdet«, sagte das Mitglied im Bundesvorstand Anja Sommerfeld.

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