Bayer Leverkusen: Das paralympische Machtzentrum in Deutschland

Der Klub bietet optimale Bedingungen – nicht nur um Medaillen zu gewinnen

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Leverkusener Johannes Floors (r.) lief in Paris über 100 Meter auf Platz vier.
Der Leverkusener Johannes Floors (r.) lief in Paris über 100 Meter auf Platz vier.

Optimale Bedingungen. Diese zwei Wörter nutzt Jörg Frischmann gern, um den Erfolg von Bayer Leverkusen zu begründen. »Unsere Athleten trainieren in einer Umgebung, die ihnen optimale Bedingungen bietet«, sagt der 61-Jährige, der seit mehr als 25 Jahren für den paralympischen Sport bei Bayer verantwortlich ist: »Dieses Netzwerk haben wir uns über Jahre aufgebaut.« Von den 143 deutschen Sportlerinnen und Sportlern, die bei den Paralympics vertreten sind, gehören 18 zu Bayer. Kein Verein hat mehr Aktive nach Paris entsandt. Aus Leverkusen kommen vor allem Leichtathleten wie Markus Rehm, Johannes Floors, Léon Schäfer oder Irmgard Bensusan. Aber auch der Schwimmer Taliso Engel und sieben Sitzvolleyballer sind darunter.

In Leverkusen sind die Wege kurz zwischen Trainingshalle, Physiotherapie und Orthopädie-Werkstatt. Sportler mit und ohne Behinderung profitieren bei Bayer von denselben Strukturen, sagt Frischmann: »Wir haben uns schon für Inklusion starkgemacht, als noch keiner darüber gesprochen hat.« Bayer beschäftigt mehrere hauptamtliche Trainer, das ist selten im paralympischen Sport. Die Wurzeln liegen in der Nachkriegszeit. Bereits 1950 machte der Chemiekonzern Bayer seinen versehrten Mitarbeitern ein Sportangebot. Nicht für Medaillen, sondern für Reha und Gesundheitsvorsorge.

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Der Leistungssport kam in den 80ern hinzu. Frischmann kann diese Entwicklung gut nachzeichnen. Er kam mit Fehlbildungen an Händen und Füßen auf die Welt. Als Jugendlicher probierte er viele Sportarten aus. Er schloss sich der Leichtathletik an und gewann 1992 bei den Paralympics in Barcelona Gold im Kugelstoßen.

Nach seiner aktiven Laufbahn wollte er den paralympischen Sport weiterentwickeln. Er studierte an der Deutschen Sporthochschule Köln und übernahm bei Bayer die Abteilung für Behindertensport. Frischmann knüpfte ein Netzwerk mit Schulen, Krankenhäusern und Selbsthilfegruppen. Er sagt: »Es ist stets eine Herausforderung, junge Menschen in den paralympischen Leistungssport zu integrieren.«

Was er damit meint? In Paris werden die Leverkusener Spitzensportler nach Leistungen und Medaillen bemessen. Der Deutsche Behindertensportverband ist mit seinen Athleten weit vom Spitzenfeld im Medaillenspiegel entfernt. Zu sehr ist die Förderung von Talenten in Deutschland von Zufällen abhängig – und von wenigen Stützpunkten wie in Leverkusen. Doch die vielleicht größten Herausforderungen liegen meist noch vor dem Beginn der sportlichen Karrieren.

Ganz am Anfang stehen nämlich oft Amputationen, Leid und Unsicherheit: Der Weitspringer Rehm etwa war in eine Schiffsschraube geraten, sein Kollege Schäfer erkrankte an Knochenkrebs. Der Sprinter Floors litt wegen eines Gendefekts jahrelang unter Schmerzen. Alle drei mussten erstmal verinnerlichen, dass Leistungssport für sie überhaupt möglich ist. In Leverkusen stießen sie auf ein geeignetes Umfeld – mit barrierefreien Anlagen und Förderungen für Sportprothesen.

»Es geht uns aber nicht nur um Medaillen«, erklärt Frischmann. »Es geht um viel mehr.« Er erhält regelmäßig Nachrichten aus Krankenhäusern und erfährt von Jugendlichen, die nach einem Unfall oder einer Amputation traumatisiert sind. Häufig schaut er dann persönlich vorbei und wirbt für Sport. Als Ablenkung, als Therapie – oder eben als paralympische Karrierechance. Bayer Leverkusen veranstaltet auch Talenttage und beteiligt sich an Sportfesten im Rheinland. Frischmann spricht zudem mit besorgten Eltern und skeptischen Lehrkräften. Die Paralympics in Paris dienen ihm nun als Argumentationshilfe.

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