Nur Frieden rettet Leben

Günter Verheugen und Petra Erler reflektieren den langen Weg zum Krieg in der Ukraine und offerieren Lösungsvorschläge

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch eine Folge des Ukrainekrieges: Das Denkmal für die russischen Soldaten, die während des Krimkriegs (1853-1856) an der Verteidigung von Sewastopol teilgenommen haben, wird im Sewastopol-Park abgebaut.
Auch eine Folge des Ukrainekrieges: Das Denkmal für die russischen Soldaten, die während des Krimkriegs (1853-1856) an der Verteidigung von Sewastopol teilgenommen haben, wird im Sewastopol-Park abgebaut.

Noch nie hatten wir eine solche Verunglimpfung des Willens zu einem verhandelten Frieden erlebt«, schreiben Günter Verheugen und Petra Erler in ihrem Buch zum Krieg in der Ukraine. Gefühle und »blinde Leidenschaften« vernebelten die Sicht, eine deutsche Außenministerin posaunt, Russland sei »zu ruinieren«. Die ausgerufene »Zeitenwende« breche mit Prinzipien (und Traditionen) deutscher Entspannungspolitik. Die Strategie »Siegfrieden« unterwerfe die Nato allein militärischer Logik. Und eine einzigartige »Propagandawelle denunziert jeden, der diesen Krieg anhalten wollte«. Gegen diesen »kriegsertüchtigten« (Pistorius-)Zeitgeist haben nun der ehemalige Politiker Verheugen (früher FDP, dann SPD) und EU-Kommissar sowie seine Mitarbeiterin Petra Erler eine kühl analysierende Schrift gegen den Krieg und seine Logik verfasst.

Der Krieg in der Ukraine sei »auch ein Bruderkrieg«, in dem »Ukrainer, die Krim und der Donbass gegen die Kiewer Zentralregierung« kämpften, ein »ethnischer, innerer ukrainischer Konflikt«, stellen die Autoren klar. Zudem müsse man Russland »legitime Sicherheitsinteressen« zugestehen – »und ja, damit ist auch die Ausdehnung der Nato bis vor Russlands Haustür gemeint, deren Bedrohlichkeit der Westen partout nicht anerkennen möchte«.

Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland hatte US-Präsident Joe Biden in seiner flammenden Rede vom 26. März 2022 in Warschau als »eine neue Art wirtschaftlicher Staatskunst« gepriesen, »mit der Macht, Zerstörungen anzurichten, die militärischer Macht gleichkommen«. Eine Verständigung war also aus US-amerikanischer Sicht nie das Ziel, kommentieren die Autoren. Die proklamierte Einheit des Westens bezeichnen sie als »Vasallentreue« zu den USA. Eine eigenständige Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten oder gar Vermittlungsbemühungen aus ihren Reihen im »Ukraine-Konflikt« seien damit von vornherein ausgeschlossen.

Im März 2022 war Bundeskanzler Olaf Scholz noch mit Frankreich, China, der Türkei und den USA um Frieden bemüht gewesen – dann gab US-Präsident Biden Ende März in Polen die Parole »Regime Change« aus, also: Putin muss weg. Die Ukraine habe, im Fahrwasser der USA, einen Stellvertreterkrieg zu führen. So legte es der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder offen, so wurde es im Mai 2022 vom US-Politikwissenschaftler Hal Brands bestätigt.

Die der Ukraine zugedachte Rolle hatte ein US-Demokrat, Adam Schiff, seinerzeit Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des Kongresses, bereits 2020 während seiner Eröffnungsrede am zweiten Tag des Impeachment-Verfahrens gegen Donald Trump auf eine einprägsame Formel gebracht: »Die Vereinigten Staaten helfen der Ukraine und ihren Menschen, damit wir dort gegen Russland kämpfen können und nicht hier gegen Russland kämpfen müssen.« Solche zynischen Äußerungen imperialistischer Denker sind massenhaft zu finden, und sie werden im Anhang auch belegt.

Putin sei es anfangs darum gegangen, so Verheugen/Erler, »mit einer Parallelstrategie aus militärischer Aggression und gleichzeitigen Verhandlungen (…) der Ukraine die Neutralität abzutrotzen«. Mit dem Abbruch der Verhandlungen westlicherseits im Frühjahr 2022 sei dieser Plan zerschlagen worden. Seitdem befinde sich der Krieg in der Aufrüstungsspirale.

Dem Westen gehe es »um die strategische Niederlage Russlands«, stellen die Autoren fest. In einem solchen Fall aber könnte »die russische Nukleardoktrin« angewendet werden. »So wird in diesem Krieg eine Art ›russisches Roulette‹ gespielt«, liest man im Buch, »bei dem womöglich das Schicksal der gesamten Erde auf dem Spiel steht«.

Die tragische Verstrickung im Ukraine-Konflikt bringen die Autoren wie folgt auf den Punkt: »So wie Russland völkerrechtswidrig den Krieg wählte, um nationale Ziele zu erreichen, wählten USA, Nato und EU die Kriegsverlängerung, um politische Interessen durchzusetzen. Die Ukraine fügte sich dem Spiel. Damit folgt der Krieg seinen eigenen Regeln der Eskalation.«

Die Autoren erhellen Zusammenhänge und Hintergründe, beleuchten Entscheidungen und Entwicklungen auch in Deutschland, schließlich den »Kollaps der Ost-West-Beziehungen«. Der Expansionskurs der Nato wird thematisiert, der Jugoslawien-Krieg als »Testfall für die Nato« bezeichnet, das »Tauziehen um die Ukraine« und die Szenarien um den Maidan ausführlich beschrieben. Im letzten Kapitel gehen die Autoren auf die »Rolle Deutschlands« ein und fordern einen selbstbestimmten Weg, die Emanzipierung von der Position des USA-Vasallen.

»Aus Sicht der USA geht es um die Absicherung ihrer hegemonialen Position«, urteilt das Autorenduo. »Aus russischer Sicht geht es um die Absicherung der eigenen Existenz. Das sind zwei völlig verschiedene Interessenkategorien. Wenn man das nicht klar sieht, findet man auch keinen politischen Ausweg aus dem Krieg.«

Günter Verheugen und Petra Erler sind überzeugt: Frieden ist möglich. Es müsste nur endlich abgerüstet und verhandelt werden. »Nur Frieden rettet Leben«, betonen sie, »Friedensverweigerung aber begründet Schuld.«

Günter Verheugen/Petra Erler: Der lange Weg zum Krieg. Russland, die Ukraine und der Westen – Eskalation statt Entspannung. Wilhelm-Heyne-Verlag, 336 S., geb., 24 €.
Auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin diskutieren Günter Verheugen und Petra Erler mit dem Flüchtlingsexperten Gerald Knaus und der Sicherheitsexpertin Claudia Major am 10.9., 18 Uhr, im Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, 10719 Berlin, Seitenbühne.

»Die Vereinigten Staaten helfen der Ukraine und ihren Menschen, damit wir dort gegen Russland kämpfen können und nicht hier gegen Russland kämpfen müssen.«

Adam Schiff US-Demokrat

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