Nullnummer

Wer ist Shakespeare? Ein Genosse

Genosse Shakespeare: Nullnummer

»Shakespeare ist«, so wusste Peter Hacks zu schreiben, »was wir alle wollen und nicht können.« So deprimierend und klarsichtig wie dieser bemerkenswerte erste Satz, vor 60 Jahren zum vermuteten 400. Geburtstag William Shakespeares verfasst, geht es im gesamten Text weiter. »Es gibt in der nachshakespeareschen Dramatik Neuerungen; es gibt, soweit mir bekannt wurde, keine Verbesserungen«, postuliert er. Aber Peter Hacks hatte leicht reden: War Hacks auch nicht Shakespeare, konnte er doch immerhin von sich behaupten, Hacks zu sein. Das ist mit Sicherheit nicht dasselbe. Aber was sollen wir kleine Lichter schon sagen, deren Namen kaum taugen, um sich damit zu schmücken?

Der Bemerkung des Shakespeare-Bewunderers Hegel, alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen ereigneten sich zweimal, fügte der Shakespeare-Verehrer Marx hinzu: »das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce«. Wir leben – so viel der Ehrlichkeit muss erlaubt sein – im Zeitalter der Farce.

Schlägt man Shakespeares Werke an einer beliebigen Stelle auf und gleicht das Dargestellte mit der Lebensrealität im Spätkapitalismus der Gegenwart ab, fällt auf: Beim Elisabethaner wurde leidenschaftlicher geliebt, gehasst, getötet; die Intrigen waren ausgeklügelter; die menschlichen Abgründe zeigten sich unverstellt. Shakespeare wusste, was eine Tragödie ist; nun dürfen wir Farce um Farce durchstehen. Shakespeare lehrt uns Demut.

Genosse Shakespeare

Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.


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Wir wissen nicht, wer dieser William Shakespeare wirklich war. Ein Hinterwäldler, ein Lord, die Königin, ein arbeitsloser Schauspieler, ein Kollektiv von Schreiberlingen? Sicher ist nur, dass Genosse Shakespeare die Probleme, vor denen wir heute stehen, bereits beschrieben hat. Allerdings hat er sie besser verstanden, als wir es heute tun. Will man etwas lernen über den Menschen des 21. Jahrhunderts, lohnt sich der Blick in Shakespeares Texte.

Sie können sich auch bei Netflix umsehen auf der Suche nach Erkenntnis. Aber ich ahne, dass Sie nicht allzu schnell fündig würden. Lesen Sie stattdessen an dieser Stelle, sofern Sie mögen, alle zwei Wochen etwas über den Alten aus Stratford. Er hat uns noch einiges zu sagen.

Es wird dabei – das sind wir dem Autor schuldig – unterhaltsam zugehen. Versprochen. Allerdings werden die Zeilen, die Sie hier finden, weniger elegant sein, weniger kunstfertig, nicht so tiefschürfend und welthaltig, wie Shakespeare es vermocht hätte. Es liegt in der Natur der Sache, dass man sich seinem Gegenstand, ist er nur groß genug, nur im Ungefähren nähern kann. Diese Kolumne, so viel ist klar, wird weder den Umweg des Kleinteiligen oder Entlegenen noch die gewagten bis schiefen Vergleiche scheuen und also die Eheleute Macbeth der deutschen Politik ausfindig machen, den Widergängern des greisen Lear in den Regierungszimmern nachspüren und den Narren auf den Tribünen des Internets begegnen.

Peter Hacks hat es unübertrefflich auf den Punkt gebracht: »Man kann sich von Shakespeare unterscheiden; durch Fehler.« Betrachten wir das als Entlastung.

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