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Vom Unglück, geboren zu sein

Die Albertina Modern in Wien stellt mit Alfred Kubin eine »Ästhetik des Bösen« vor

Alfred Kubin: Das Ei, ca. 1901/02, 15,8 × 23,8 cm, Tusche auf Papier
Alfred Kubin: Das Ei, ca. 1901/02, 15,8 × 23,8 cm, Tusche auf Papier

Unbestreitbar löst alles Österreichische eine merkwürdige Faszination in Deutschland aus, zumal in dessen preußisch geprägtem Teil. Der Österreicher ist so deutsch, wie man hier vielleicht nie war. Gespannt blick man auf die politischen Entwicklungen in der Alpenrepublik – die grauenhafte Vorstellung im Hinterkopf, dass die rechten Mehrheiten in Österreich nur ein Vorbote für die rechten Mehrheiten hierzulande sind.

Und all das Höflich-Höfische im Auftreten, das Pompöse, das oberflächlich Glänzende, vielfach bewundert, ist natürlich nur schöner Schein. Dem setzen die Künstler in Österreich seit jeher gnadenloser als andernorts etwas entgegen. In Literatur, Musik und bildender Kunst. Der Filmregisseur Ulrich Seidl etwa, vielleicht der größte österreichische Bild-Künstler der Gegenwart, zeigt uns die weniger gut ausgeleuchteten Seiten und ihre Protagonisten: die alten und neuen Nazis, die Perversen, die Sextouristinnen, die Ausgestoßenen.

Auf gewisse Weise setzt Seidl ein Projekt fort, für das vor gut 100 Jahren schon Egon Schiele stand. Oder Alfred Kubin, dem in der Albertina Modern eine kürzlich eröffnete Ausstellung gewidmet ist, die unter dem vielsagenden Titel »Die Ästhetik des Bösen« firmiert und die noch bis in das neue Jahr hinein zu besichtigen ist.

Alfred Kubin: Schlachtfest, um 1900, 22,8 × 22,9 cm, Tusche auf Papier
Alfred Kubin: Schlachtfest, um 1900, 22,8 × 22,9 cm, Tusche auf Papier

Es ist verführerisch, das düstere Schaffen Alfred Kubins als Produkt einer beschädigten Biografie zu begreifen. So legt es auch der – durchweg lesens- und betrachtenswerte – Katalog nahe, der zur Ausstellung erschienen ist, wie auch die Dramaturgie der Wiener Ausstellung. Die Kuratorin Elisabeth Dutz liefert in ihrem Text – halb Lebenslauf, halb Psychogramm – die entsprechenden Stichworte: das Aufwachsen zunächst ohne Vater; der frühe Tod der Mutter, dann der Stiefmutter; eine Kindheit ohne Fürsorge; ein missbräuchliches sexuelles Verhältnis, dessen Opfer er im späten Kindesalter wird. Das Lebensglück, das ihm als Heranwachsendem nicht begegnet, wird er auch später kaum je finden.

Das Leben als Marter, das ist kein neues Motiv in der Kunstgeschichte. Aber Kubin ist derjenige, der es nahezu obsessiv bearbeitet hat. Besonders seine Tuschezeichnungen um das Thema Geburt geben Zeugnis davon. Der Eintritt in das Leben bedeutet immer auch: todgeweiht zu sein. Bei Kubin rauben die Kinder ihren gebärenden Müttern die letzten Lebenskräfte. Kinder kommen leblos zur Welt. Frauen werden zu Kindsmörderinnen.

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Es zeigt sich darin durchaus mehr als eine von Apokalyptik geprägte gesellschaftliche Stimmung um 1900. Kubin kennt in seinen feinteiligen Zeichnungen keine Gnade; das Todesthema beherrscht ihn anscheinend mehr, als er es künstlerisch zu beherrschen vermag. Wir haben es nicht allein mit einer Ästhetik des Bösen, sondern auch des Hässlichen, des Grauenhaften zu tun.

Andere wiederkehrende Motive – präsentiert werden nur Arbeiten aus dem frühen Schaffen Kubins bis ins Jahr 1904 – ordnet diese Ausstellung zu weiteren nachvollziehbaren Werkgruppen. Krieg und Folter spielen eine Rolle, aber auch die Heimsuchung durch Pandemien. Anknüpfungspunkte bildhafter Natur in die Gegenwart bieten sich dem Betrachter also an, allerdings ohne sich unangenehm aufzudrängen oder gar von der Kuratorin pädagogisch vorgeschrieben zu werden.

Den eindrücklichsten Teil der Ausstellung machen sicher Kubins Frauendarstellungen aus. Ob als Gewalttäterinnen oder als Opfer der Gewalt gezeichnet, kalte Distanz zum weiblichen Geschlecht zeigt sich in jedem Fall. Seine Frauenfiguren gehen dem Klischee nicht aus dem Weg, überspitzen das Klischierte aber derart, dass das Dargestellte noch lange nachwirkt. Was Kubin kreiert – und wir haben es hier wahrhaftig mit Kreaturen zu tun! –, ist kein Kampf der Geschlechter, sondern ein Krieg der Geschlechter. Einige seiner Bilder implizieren auch dessen tödlichen Ausgang.

Wem nach Erbaulicherem der Sinn steht, der wird vielleicht im nicht allzu weit entfernten Leopold-Museum fündig, das eine Werksammlung von Gustav Klimt beherbergt. Bei Alfred Kubin aber ist das Schöne nicht ohne den Schrecken zu haben.

Alfred Kubin: »Die Ästhetik des Bösen«, bis 25. Januar, Albertina Modern, Wien.
Begleitend zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalogband erschienen: Alfred Kubin: Die Ästhetik des Bösen, hg. v. Elisabeth Dutz, Hatzje Cantz, 232 S., geb., 44 €.

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