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- Antimilitarismus
Kriegsgegner am Reiterstandbild
Linksjugend von Berlin und Brandenburg demonstriert gegen mögliche Wiedereinführung der Wehrplicht
Um 16 Uhr sollte im Berliner Bezirk Mitte die Aktion gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht beginnen. Die Linksjugend hat eine Kundgebung mit 100 Teilnehmern angemeldet. Doch zu Füßen des Reiterstandbilds von König Friedrich II. haben sich am Freitag um 16.07 Uhr erst vier Personen eingefunden. Sie diskutieren, ob es unter den gegebenen Bedingungen überhaupt sinnvoll ist, hier die Stimme gegen Militarismus und Krieg zu erheben oder ob es nicht peinlich wäre. Auf dem Mittelstreifen des Boulevards Unter den Linden schluckt der Verkehrslärm jedes Wort. Schon die Fußgänger drüben an der Humboldt-Universität werden die Reden nicht hören können.
Zwei Polizisten warten geduldig auf ein Handzeichen, wann es losgehen soll. Es trudeln noch ein paar junge Menschen ein. Es werden aber nicht mehr als 14 Teilnehmer – ein mitgebrachtes Baby schon mitgezählt. Trotzdem entschließt sich die Linksjugend, die Versammlung doch durchzuführen. Die Aktion gehört zur Kampagne der brandenburgischen Linksjugend Solid zur Landtagswahl am 22. September. Dabei ist der Verzicht auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht eine von zwei zentralen Forderungen von Solid. Die andere ist eine Starthilfe von 1500 Euro für Auszubildende.
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Für die Kundgebung Unter den Linden haben sich die Brandenburger mit der Berliner Linksjugend zusammengetan. Dass trotzdem keine 100 Leute da sind, liegt vielleicht an einer kurzfristigen Terminverschiebung. Denn eigentlich wollte man sich schon am 1. September, dem Weltfriedenstag, im Herzen der Hauptstadt treffen. Nach 30 Minuten sind sich die wenigen Gekommenen einig: Sie wollen das Beste daraus machen und die vorbereiteten Reden auch vor diesem kleinen Kreis halten. Davon angefertigte Videoaufnahmen können dann immerhin zu Wahlkampfzwecken ins Internet gestellt werden.
Ein Gelöbnis der anderen Art
Eine junge Frau, die erst zur Absage tendierte, verkündet schließlich trotzig: »Jetzt fackeln wir den Platz ab.« Natürlich ist das nur symbolisch gemeint. Die Gruppe will ein Zeichen setzen und ein Stück weit gelingt das sogar. Die Lautsprecheranlage trägt immerhin doch so weit, dass ein paar Autofahrer kurz zuhören, während sie im Rückstau vor einer Ampel ein paar Sekunden neben dem Reiterstandbild halten.
»Wir geloben der Kriegsdienstverweigerung.« Der Satz steht auf einem mitgebrachten Transparent und taucht mehrfach in den Reden auf. »Wir geben uns nicht hin für einen Staat, der Ungerechtigkeit zulässt«, sagt Marek Lipp, Schatzmeister der Brandenburger Linksjugend. Die 100 Milliarden Euro, die zusätzlich in die Bundeswehr gesteckt werden sollen, wären besser in den Wohnungsbau investiert, findet er. »Wir sagen Nein zur Wehrpflicht, Nein zum Militarismus, Nein zum Morden!« Lipp nimmt Bezug auf das Reiterstandbild in seinem Rücken. Friedrich II. habe sinnlose Kriege geführt. Und Lipp warnt vor der AfD, die sich als Friedenspartei inszeniere, aber für Aufrüstung und die Wiedereinführung der Wehrpflicht eintrete.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat gefordert, Deutschland müsse »kriegstüchtig« werden. Was die Wehrpflicht betrifft, scheinen seine Bemühungen Früchte zu tragen. Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Forsa zufolge waren im März erst 45 Prozent der Bevölkerung für die Wiedereinführung, im April dann schon 52 Prozent. Auffällig ist allerdings, dass junge Menschen, die direkt betroffen wären, weniger überzeugt sind. Dazu passt, was einst der Schriftsteller Erich Maria Remarque formulierte: »Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hinmüssen.« Marek Lipp sagt: »Wir machen dieses Spiel der Kriegstüchtigkeit nicht mit.«
Solange das Kapital herrscht ...
Die Nato habe in ihren Kriegen nicht Frieden und Demokratie nach Afghanistan, in den Kosovo und anderswohin gebracht, meint Lasse Hövermann von Solid Berlin. Es gehe nur um die Gewinne der Waffenindustrie. »Solange das Kapital herrscht, werden Rüstung und Krieg nicht aufhören«, beklagt der 19-Jährige.
Gleich vor Ort füllen die jungen Leute Formulare aus, in denen sie vorsorglich beantragen, den Kriegsdienst zu verweigern. Einer von ihnen geht vom Mittelstreifen über die Fahrbahn zum Bürgersteig und spricht dort Passanten an, drückt ihnen ein Flugblatt in die Hand, auf dem ein Soldat zu sehen ist, den ein Schuss trifft. Auf der Rückseite finden sich Argumente gegen den Kriegsdienst, Argumente wie: »Die Probleme der Menschheit werden nicht militärisch gelöst.« Doch die Hälfte der Personen, die der junge Mann anspricht, sind Touristen aus dem Ausland, die kein Deutsch verstehen.
Für Dienstag, 10 Uhr, ist eine Kunstaktion von Pazifisten für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung vor der ukrainischen Botschaft geplant. Bereits Montagnachmittag sollte es eine solche Aktion vor der russischen Botschaft geben.
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