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Das Patriarchat schützt die Täter
Veronika Krächer hält Gewalt an Frauen in einer männerdominiserten Gesellschaft für etwas Normales
Einige Nachrichten über geschlechtsspezifische Gewalt aus den vergangenen Tagen:
- Ein 24 Jahre alter deutscher Tourist soll auf Mallorca eine schlafende Frau vergewaltigt haben.
- Der Franzose Dominique P. hat über Jahre hinweg seine Frau unter Drogen gesetzt, betäubt und auf einer Swinger-Plattform für Vergewaltigungen angeboten. Dieses Angebot wurde von über 90 Männern angenommen. Außerdem hat er Nacktfotos seiner Tochter aufgenommen und in der Öffentlichkeit heimlich unter die Röcke von Frauen fotografiert.
- In Südkorea wurden Telegram-Gruppen öffentlich gemacht, in denen Schüler und Studenten Fotos ihrer Kommilitoninnen hochladen und andere User diese Fotos mittels KI in pornographisches Material umwandeln. Mit diesem Bildmaterial werden die Mädchen und Frauen erpresst.
- In Kenia hat der Ex-Partner der ugandischen Olympia-Sportlerin Rebecca Cheptegei sie mit Benzin übergossen, angezündet und so ermordet.
- In den USA arbeitet die Republikanische Partei gerade daran, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen und trans Menschen abzuschaffen.
- In Afghanistan verbieten die klerikalfaschistischen Taliban Frauen die weiterführende Bildung, das Sprecher oder Singen in der Öffentlichkeit und zwingen sie zur Vollverschleierung.
- In Kalkutta, Indien, haben mehrere Männer über Stunden hinweg eine Ärztin vergewaltigt, bis sie an den Verletzungen gestorben ist. Sie haben diese Tat gefilmt und verkaufen diese Videos nun im Internet.
- In Berlin wurden innerhalb weniger Tage und unabhängig voneinander zwei Frauen von ihren Ex-Partnern erstochen, eine dritte hat einen versuchten Femizid überlebt.
Kurz: Patriarchale Gewalt ist global, omnipräsent und systematisch. Und trotzdem reagieren so viele Männer, wenn diese Gewalt angesprochen wird, zu allererst mit der empörten Aussage »Aber nicht alle Männer« – not all men. Der Grund: Sie selbst haben ja noch nie jemanden vergewaltigt, also sollen sich diese empörten Weiber doch ein bisschen mit ihrem pauschalisierenden Männerhass zurückhalten.
Damit verleugnen sie aber eine grundlegende Tatsache: Es ist immer ein Mann, der diese Taten begeht. Und dieser Mann ist nie alleine. Es war nicht nur Dominique P., der seine Frau betäubt und vergewaltigt hat, es haben unzählige Männer mitgemacht. Keiner von ihnen kam auf die Idee, die Polizei zu rufen. Es ist nicht der eine Rockstar, der junge Fans unter Drogen setzt und zum Sex nötigt. Es ist seine Band, sein Umfeld, seine Fans, die dieses Verhalten tolerieren oder gar verteidigen. Es ist nicht der eine Mann, der sich an minderjährigen Mädchen vergeht und dies ins Internet stellt. Und es sind Online-Plattform, die dieses Material über Jahre hinweg veröffentlicht haben, und Männer, die es konsumieren. Es ist nicht nur der wegen Menschenhandel und Vergewaltigung angeklagte Andrew Tate, es ist auch sein Zirkel an Unterstützern, Abonnenten und Anhängern. Es ist nicht der häusliche Gewalttäter, es sind die Polizist*innen, die dem Fall nicht nachgehen, die Nachbar*innen, die die Ohren verschließen, die Justiz, die Femizide nicht als spezifische Gewalttat einstuft. Kurzum: Es ist das System, das diese Männer zu Tätern gemacht hat und sie in ihrem Tätersein schützt.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Gewalt gegen Frauen ist innerhalb patriarchaler Verhältnisse etwas Normales – und dient dazu, sie aufrecht zu erhalten. Sie schafft eine permanente Drohkulisse an Frauen und Queers: Wenn diese zu sehr für ihre Rechte und Sichtbarkeit kämpfen, dann werden sie dafür Repressionen bis hin zum Mord erfahren. Dass geschlechtsspezifische Gewalt so selten erfolgreich geahndet wird und es viel zu wenig Prävention gibt, liegt auch darin begründet, dass alle (vor allem cisgeschlechtliche und heterosexuelle) Männer von ihr profitieren, da sie eine patriarchale Vormachtstellung absichert.
Sowohl die Abwertung von allem, was weiblich konnotiert ist, als auch die patriarchale Vormachtstellung – also der Glaube, einem Menschen stehe aufgrund des Phallus das Anrecht auf eine gesellschaftliche Vormachtstellung, Sex und eine Partnerin zu – ist etwas, das Jungen von klein auf beigebracht und viel zu selten hinterfragt oder gar von dem sozialen Umfeld kritisiert wird. Cishetero Männer agieren in Strukturen von ausschließlich Männern, in denen Sexismus und Misogynie als Verbindungsstück dienen, zum Beispiel durch Objektifizierung von Frauen oder Austausch von intimen Bildmaterialien im Freundeskreis.
Wenn wir sagen »alle Männer«, dann meinen wir damit: Alle Männer lassen zu, dass diese Gewalt passiert. Das nächste Mal, bevor Sie Schnappatmung bekommen, wenn eine Frau über misogyne Gewalt spricht und lapidar sagt »Ich hasse Männer«: Fragen Sie sich, wann Sie das letzte Mal widersprochen haben, als Ihr Kumpel einen sexistischen Witz gemacht hat. Wann Sie das letzte Mal auf einem feministischen Vortrag waren oder ein feministisches Sachbuch gelesen haben – ohne danach damit zu prahlen. Fragen Sie sich, wann Sie sich das letzte Mal empathisch mit geschlechtsspezifischer Gewalt beschäftigt haben.
Es ist wichtig, dass Männer sich eingestehen, dass sie von diesem auf Gewalt basierenden System profitieren und deshalb, bewusst wie unbewusst, geneigt sind, es aufrecht zu erhalten. Sich einzugestehen, Teil des Problems zu sein, ist nämlich der erste Schritt, um zum Teil der Lösung zu werden.
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