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Noah Davis in Potsdam: Alles andere als politisch
Noah Davis hat Motive des kunstgeschichtlichen Kanons stets auf seine Lebenswelt bezogen. Derzeit ist das Werk des US-Künstlers in Potsdam zu sehen
Ein einziges großes Quadrat vor beigefarbenem Hintergrund. Das Gemälde, das hier im Kunsthaus »Das Minsk« in Potsdam hängt und das abstrakteste Werk des US-Künstlers Noah Davis (1982–2015) ist, lässt an Kasimir Malewitsch denken. Der russische Suprematist wollte mit seinem zur Ikone gewordenen Bild »Das schwarze Quadrat« (erstmals gemalt 1915) »die Kunst vom Gewicht der Dinge befreien«, von jeder Gegenständlichkeit.
Davis’ Quadrat ist allerdings nicht schwarz wie das von Malewitsch, sondern lila, und es ist weniger gerade auf der Leinwand platziert. Auch ist es noch weniger Quadrat als jenes, dessen Seiten schon entgegen seiner Bezeichnung nicht alle gleich lang sind. Und ist es hier, in Bezug auf Davis' Werk, überhaupt richtig, von Abstraktion zu sprechen? Das Bild, das den Titel »Nobody« (2008) trägt, zeigt nämlich die Umrisse des US-Bundesstaates Colorado. Es gehört zu einer Serie von drei Gemälden, in denen Davis sogenannte Swing States (Schaukelstaaten) – also US-Bundesstaaten, in denen sowohl die Republikaner als auch die Demokraten gute Chancen auf einen Wahlsieg haben – auf die Leinwand gebracht hat. Daher ist es nur so abstrakt, wie es auch Landkarten sind.
Im Jahr 2008, in dem das Bild entstand, wurde Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Die Wahl in Colorado fiel knapp aus: Obama entschied sie mit 53,6 Prozent der Stimmen für sich. Davis’ Bild ist, wie der Begleittext in der Ausstellung suggeriert, noch vor der Wahl entstanden, die zweifellos von großer persönlicher Bedeutung für den Künstler war. Ein schwarzer Präsident bedeutete Repräsentation. Davis war selbst schwarz; das Leben schwarzer Amerikanerinnen und Amerikaner ist das Sujet seiner Kunst. Er selbst sagte dazu: »Race spielt insofern eine Rolle, als meine Figuren schwarz sind. Die Bilder sind jedoch alles andere als politisch. Wenn ich überhaupt eine Aussage mache, dann nur, um schwarze Menschen in ganz normalen Szenarien zu zeigen, mit denen Drogen und Waffen nichts zu tun haben. Schwarze werden nur selten unabhängig von Bürgerrechtsthemen oder sozialen Problemen in den USA dargestellt.«
Aber geht das überhaupt, mit Kunst nicht politisch zu sein, zumal mit Kunst, deren Protagonisten allein durch ihre Hautfarbe zu einer benachteiligten Minderheit im Land zählen? Die Darstellung, die Davis wählt, ist ja schon deshalb politisch, weil sie mit den Erwartungen der Betrachtenden bricht und sie so ihre Weltwahrnehmung hinterfragen lässt. Er zeigt seine Figuren mitunter in surreal anmutenden Szenerien und Situationen, deren Kontext er den Betrachtenden vorenthält. Wenn etwa in einem Bild aus der Serie »The Missing Link« (Der fehlende Zusammenhang, 2013) ein schwarzer Mann mit einem Jägerhut in einem Monet-artig getupften Gestrüpp seine Schrotflinte begutachtet, dann mag das den einen oder anderen irritieren, weil das Land- und Waldleben in den USA eher Weißen vorbehalten zu sein scheint. Und anmutig synchron tanzende schwarze Ballerinen in der von Armut und Gewalt geprägten Sozialsiedlung Pueblo del Rio in Los Angeles fordern im Gemälde »Pueblo del Rio: Arabesque« (2014) unsere Vorstellung davon heraus, wo Hochkultur ihren Platz hat.
Das Surreale, Träumerische evoziert Davis dabei nicht nur durch die Motivwahl, sondern auch durch seine Technik. Er lässt Farben ineinander verschwimmen und manchmal in zarten Schlieren die Leinwand hinunterlaufen, sodass sie sich über andere Farbflächen legen. Mal sind sie dick aufgetragen, mal dünn und transparent.
Davis’ Faszination mit Klassikern der Kunstgeschichte fällt in vielen seiner Werke direkt ins Auge: Manche Muster – ob die eines Sesselstoffes oder eines Hintergrundes – wirken etwa wie von Henri Matisse kreiert; in einem Gemälde – »Maury Mondrian« (2016) – ist im Hintergrund eine Anordnung von farbigen Rechtecken zu sehen, die eindeutig von den Kompositionen des titelgebenden Konstruktivisten inspiriert ist. Im Vordergrund: ein schwarzer Mensch, ein Kind wohl, das augenscheinlich an den Schultern gepackt wird von einer weißen Person, deren Kopf durch eine petrolfarbene Farbfläche verdeckt ist. Die Szene, die auf einer Bühne stattzufinden scheint – das Bild stammt aus einer Serie Davis’ zum amerikanischen Reality-TV –, mutet gewaltvoll an; die Identität der handgreiflichen Person bleibt wegen des Petrolbalkens verborgen. Vielleicht enthält dieses Bild nicht nur eine Aussage über die sozialen Strukturen der USA, sondern auch eine über die Kunst und ihre Erscheinungsformen. Denn abstrakte Kunst – wie die von Mondrian – hat eben, trotz ihres einst revolutionären Gehalts, auch einen verschleiernden, anonymisierenden Aspekt.
Wie das Gesicht des Kindes in »Maury Mondrian« sind aber auch die Gesichter anderer schwarzen Figuren in Davis’ Bildern eher grob gemalt, teilweise fehlt die Ausgestaltung der Sinnesorgane, manche sind gar in Francis-Bacon-Manier ein wenig ins Fratzenhafte verzerrt. Nimmt Davis seinen Figuren damit nicht ihre Individualität, lässt sie gleichsam austauschbar werden, und zementiert damit den ihnen von der herrschenden Klasse zugewiesenen Status? Das wäre eine Lesart. Davis ging es allerdings nicht so sehr um einzelne Menschen und Schicksale, sondern um Strukturen, um das Leben in schwarzen Communities, vor allem in seiner Wahlheimat Los Angeles. Und wenn Davis etwa in seiner Serie zum Reality-TV die Gesichter seiner Figuren nur schemenhaft darstellt, dann kann man das auch so deuten, dass er sie den voyeuristischen Blicken eines sensationslustigen Publikums entzieht.
Davis selbst kam aus einer wohlhabenden, gebildeten Familie. Er studierte Malerei in New York, brach das Studium aber nach einigen Semestern ab und zog 2004 nach LA, wo er fortan als Künstler arbeitete. Dort, im historisch armen und vor allem von Schwarzen und Latinos bewohnten Stadtteil Arlington Heights, gründete er 2012 mit seiner Ehefrau und seinem Bruder auch das »Underground Museum«. Wegen der hohen Kriminalitätsraten in Arlington Heights allerdings fanden sich keine Museen und Sammler, die dem »Underground Museum« ihre Werke ausleihen wollten. Also zeigte Davis 2013 die Schau »Imitation of Wealth« (Nachahmung von Reichtum), für die er ikonische Kunstwerke einfach nachbaute, -malte oder als Ready-Mades »nachkaufte«. Im Kunsthaus Minsk sind drei dieser Exponate ausgestellt: ein Flaschenständer nach Marchel Duchamp, ein in Plexiglas eingeschlossener Staubsauger nach Jeff Koons und eine Kies-Spiegelecke nach Robert Smithson.
Ironischerweise sind es wohl gerade diese vielen Referenzen zu einem größtenteils »weißen« kunsthistorischen Kanon, die Davis selbst zum Star werden ließen. Posthum gilt er, der nur 32-jährig an Krebs starb, als einer der wichtigsten US-amerikanischen Künstler der Gegenwart. Diese erste institutionelle Werkschau wird dazu beitragen, dass er auch hierzulande mehr Bekanntheit erlangt.
»Noah Davis«, bis zum 5. Januar 2025, Kunsthaus Das Minsk, Potsdam. Danach in London und Los Angeles zu sehen.
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