»Rechtes Paradies«: Fremdenfeinde in der Fremde

Die Doku »Rechtes Paradies« trifft Deutsche in Ungarn, die vorm angeblichen Untergang ihrer Heimat zu Viktor Orbán fliehen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Hier fehlen sie vielleicht auch nicht unbedingt: Familie Rebs lebt lieber im Orbán-Ungarn.
Hier fehlen sie vielleicht auch nicht unbedingt: Familie Rebs lebt lieber im Orbán-Ungarn.

Der (buchstäblich) herrschende Diskurs unserer Tage hat ein ganz bestimmtes Bild geflüchteter Menschen erzeugt. Und dieses trägt zwar durchaus verschiedene Merkmale, aber gewiss keines von einem wie Stephan Rebs. Als Typ definitiv mitteleuropäisch, mag schon sein breites Bayerisch nicht so recht zur rechten Erzählung südländischer Eindringlinge passen, die Populisten von CDU bis AfD verbreiten. Auch Kind und Kegel sehen eher eingeboren als zugewandert aus. Sind sie aber nicht. Nicht in Ungarn.

Dorthin ist die Kleinfamilie des süddeutschen Gartenbauunternehmers nämlich geflohen. Ein wenig auch vorm Finanzamt, räumt er offen ein. Mehr aber noch vor dem, besser: denen, die er als größtes Sicherheitsrisiko seiner alten Heimat bezeichnet. »Da sind wir jetzt bei der Immigration«, erklärt Stephan Rebs und begründet damit auch, warum er seine Frau nicht allein nach Rosenheim gelassen hatte. In Viktor Orbáns rassereinem Reich dagegen sei das kein Problem. Denn »hier ist zuerst der Ungar dran«. Richtig so, findet er zusammen mit einer wachsenden Zahl Gleichgesinnter, auf deren Spur sich die ARD-Mediathek in ihrer »Weltspiegel-Doku« begibt.

Neun Jahre, nachdem die »Weltspiegel«-Korrespondentin Anne Tillack eindringlich über syrische Bürgerkriegsflüchtlinge vorm Budapester Ost-Bahnhof berichtet hatte, ist die BR-Redakteurin 100 Kilometer südwestlich zum Plattensee gereist, um Genderwahn- und Wokenessflüchtlinge wie Familie Rebs im »Traumland für Rechtskonservative« zu treffen. Laut Untertitel ein »rechtes Paradies«, das seit Orbáns illiberaler Regierungszeit zusehends »christlich, hetero« und vor allem eines sei: »weiß!« So umschreibt die Autorin ihren Bericht über »Deutsche in Ungarn«, denen mit den Gründen für ihre Auswanderung echt verblüffende Denkakrobatik gelingt.

Schließlich rechtfertigen die Immigranten ihre Emigration in ein fremdes Land, wo sie fortan naturgemäß selber Fremde sind, mit dem Übermaß an fremder Immigration im eigenen Land. Angesichts dieser abenteuerlichen Dialektik könnte man als Filmemacherin schon mal die Fassung verlieren. Tut Anne Tillack aber nicht. Im Gegenteil. An der Seite ihrer Kollegin Judith Schacht bleibt sie auf Augenhöhe fast aller Protagonisten. Egal welcher Couleur.

Ein »rechtes Paradies«, das seit Orbáns Regierungszeit zusehends »christlich, hetero« und vor allem eines sei: »weiß!«

Sie wolle »Meinungen der Leute hören, ohne sie zu kommentieren«, sagt die Journalistin mit Blick in die Kamera. Auch wenn ihre Meinungen womöglich »mit meinem Weltbild nicht vereinbar sind«. Und so begegnet Tillack der populismusanfälligen Familie Rebs mit der gleichen Herzlichkeit wie einer Dragqueen in Budapest oder zwei schwerbewaffneten Bürgermilizionären auf Grenzpatrouille. Und das, obwohl die Flüchtlinge erschießen würden, weil – Achtung, Menschenverachtung: »Es keine Europäer« sind, bei denen »Gesetze oder nette Worte funktionieren«. Das Fazit eines Mannes: »Das Einzige, was hilft, ist eine Waffe.«

Umso irritierender ist es, wie ruhig Anne Tillack angesichts solcher Ungeheuerlichkeiten bleibt. Einerseits. Denn andererseits ist genau diese Distanz ihr berufsethisches Rüstzeug – auch, wenn deren Belastungsgrenze unablässig ausgelotet wird. Auf einem – von Deutschen völlig überfremdeten – ungarischen Markt zum Beispiel, wo ein emigrierter Fremdenfeind erst das Märchen vom peruanischen Radweg, finanziert aus seinem Steuergeld wiederkäut, und dann behauptet, zu 800 Euro Strafe verurteilt worden zu sein, weil er das N****-Wort gesagt hatte – was er natürlich so oft ausspricht, dass die Regie mit dem Überpiepsen kaum hinterherkommt.

In ähnlichem Duktus schwärmt eine ausgewanderte Maklerin, die Anne Tillack begleitet und die Landsleuten Luxus- oder Schrottimmobilien verkauft, ohne Not vom »Zigeunerbraten« des örtlichen Schlachters. Provokation als Sport. Fast ist man da erleichtert, wenn ein paar Marktstände weiter jemand zurückhaltend sagt, »die ganzen Verhältnisse in Deutschland, das ist nicht mehr gut für mich«. Eine Sicht, auch das verdeutlicht Anne Tillacks bemerkenswerte Dokumentation, die selbstredend absolut legitim ist.

Legitimer als rechte Stammtische, mit denen der Schweizer Ignaz Bearth Ungarn momentan zupflastert. Klingt harmlos, sind aber Orte, an denen er deutsche Auswanderer ideologisch unterwandert. Bald 30 solcher gutbesuchten »Stützpunkte« hat der Neonazi laut Tillacks Recherche allein am Plattensee eröffnet. Die Deutschen in Orbáns Paradies sind also nicht nur rechte Migrationsflüchtige und Sicherheitssuchende. Sie sammeln sich zum Angriff der Rechtspopulisten aller Herren Länder auf Demokratie, Pluralismus, Vielfalt. Stephan Rebs hat bereits Freunde nachgeholt. Und sein Handwerksunternehmen läuft auch. Ein deutscher Kunde, dem er das Dach repariert, fand daheim ebenfalls alles furchtbar. Außer die AfD.

Verfügbar in der ARD-Mediathek

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