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Brücken als Dauerbaustelle
Deutschlands Verkehrsinfrastruktur benötigt hohe Investitionen, um sicher zu bleiben
Fast die Hälfte der über 25 000 Eisenbahnbrücken in Deutschland ist mehr als 100 Jahre alt. Sie seien aber sicher, teilte die Deutsche Bahn nach dem Einsturz der Carolabrücke in Dresden mit. Damit das so bleibt, will das bundeseigene Unternehmen in den kommenden Jahren viele Brücken vollständig oder teilweise erneuern. Konzernchef Burkhard Lutz führt die kaputte Infrastruktur auch als Hauptursache für die Zielverfehlungen bei der Pünktlichkeit an. Um das marode Schienennetz in Ordnung zu bringen, braucht es laut neuesten Angaben der Bahn ab 2028 auf Dauer 21 Milliarden Euro im Jahr extra. Dies ist Teil des Sanierungsprogramms S3, das er an diesem Mittwoch dem Aufsichtsrat vorlegen will und das die Bahn zudem wieder profitabel machen soll.
Brücken sind neuralgische Punkte jeder Verkehrsinfrastruktur. Vergangene Woche wurde nach dem Einsturz der Carolabrücke in Dresden vorsorglich die Hamburger Norderelbbrücke dauerhaft für Großraum- und Schwertransporte gesperrt. Die Folge ist ein Verkehrschaos. Kein Einzelfall, wie zwei prominente Fälle belegen: Die für Siegerland und Sauerland enorm wichtige Autobahn 45 wurde wegen der maroden Rahmedetalbrücke im Dezember 2021 von heute auf morgen bei Lüdenscheid gesperrt. Erst 2026 soll der Verkehr wieder rollen können. Und zwischen Köln und Leverkusen war die A1 wegen einer Brückensanierung jahrelang für den Lastverkehr gesperrt.
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Die alte Brücke war dem hohen Druck durch den Lastverkehr nicht mehr gewachsen – eine Folge zunehmender Handelsströme und der Globalisierung, die zu immer mehr Güterverkehr auf Straßen, Schienen und in Häfen führt. Die seit Jahrzehnten größer und schwerer werdenden Lkw in immer größerer Zahl setzen den Brücken und Straßen zu. Deutschland ist als Transitland zwischen West und Ost, Nord und Süd besonders betroffen. Seit den 70er Jahren hat sich auch der Bestand an Pkw vervierfacht, die ebenfalls immer schwerer wurden. In der Folge sind die Bauwerke schneller sanierungsbedürftig als ursprünglich geplant.
Rund 40 000 Brücken stehen in der Verantwortung des Bundes. Im letzten Übersichtsbericht der Bundesanstalt für das Straßenwesen wurde der Zustand von rund 5000 Brücken als »nicht ausreichend« oder gar »ungenügend« bewertet. Laut Verkehrsministerium ist das »ein Indikator dafür, dass in näherer Zukunft eine Instandsetzungsmaßnahme zu planen ist«. Immerhin befindet sich der Großteil der Bundesbrücken in einem »befriedigenden« oder »guten« Zustand, über 2000 erhielten sogar die Note »sehr gut«. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) verkündete daraufhin Anfang 2022 ein Maßnahmenpaket für eine schnellere Modernisierung. Der Bundesrechnungshof hat im Januar allerdings bezweifelt, dass der Zeitplan eingehalten werden kann.
Als besonders problematisch erweisen sich Brücken, die in den 70er Jahren gebaut wurden. Damals galt preiswerter Stahl, den Brückenbauer heutzutage für problematisch halten, als das Mittel der Wahl. Und er wurde zudem aus Kostengründen auch nur mit einer dünnen Betondecke geschützt. Solche Brücken sind daher besonders korrosionsanfällig.
Brücken sind neuralgische Punkte jeder Verkehrsinfrastruktur.
Eigentlich gehören Brücken zu den am besten kontrollierten Bauwerken im Land. Alle sechs Jahre findet eine Hauptuntersuchung statt. Diese erfolgt in der Regel bei laufendem Verkehr und umfasst die Überprüfung aller Bauteile. Dazwischen erfolgt jeweils ein weniger aufwendiger Test. Der Verein Deutscher Ingenieure hält diesen Zyklus angesichts der niedrigen Zahl an Vorkommnissen für hinreichend.
Amtliche Bauwerksprüfungen finden nicht allein bei den Autobahnen und Bundesfernstraßen statt, die von der Autobahn GmbH verwaltet werden. Geprüft werden auch Tausende Brücken in der Zuständigkeit der Länder. Auf kommunaler Ebene kommen noch einmal an die 70 000 hinzu. Auf Basis einer Befragung der Kommunen geht das Deutsche Institut für Urbanistik davon aus, dass jede zweite Straßenbrücke in keinem guten Zustand ist. Damit wäre deren Zustand deutlich schlechter als bei den Bundesbauten.
Bröckelnde Brücken treffen eben oft auf klamme Kommunen. Angesichts der über lange Jahre entstandenen Lücken kalkuliert das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) mit Investitionen von über 170 Milliarden Euro, um den bei Städten und Gemeinden aufgelaufenen Sanierungsstau in der Verkehrsinfrastruktur aufzulösen. Zusammen mit öffentlichen Investitionen in Bildung, Wohnungsbau und Klimaschutz wären insgesamt rund 600 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren nötig. Das sei »keine Horrorbotschaft«, versichert IMK-Direktor Sebastian Dullien. Es gehe gerade mal um etwa 1,4 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes. Eine Finanzierung über Kredite hält er politisch für machbar.
Rund 125 Milliarden der 600 Milliarden Euro sollten laut dem Institut vom Bund in Verkehrswege und ÖPNV investiert werden, die Hälfte davon in das Schienennetz. Über Jahrzehnte auf Verschleiß gefahren wurde nämlich auch die Deutsche Bahn. Ausgangspunkte waren ihre Privatisierung in den 90er Jahren und der für 2008 geplante Börsengang.
Mittlerweile läuft bei der Deutschen Bahn eine Sanierungsoffensive. Das Programm S3 soll sie verstetigen. Wie der Bund auch diese Finanzierungslücke schließen soll, bleibt bis auf weiteres offen.
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