Hausärzte fühlen sich verschaukelt

Verband drängt bei der Bundesregierung darauf, endlich die Praxen zu entlasten

In Schleswig-Holstein griff eine Kommune bei der Hausarztsuche schon zu ungewöhnlichen Mitteln.
In Schleswig-Holstein griff eine Kommune bei der Hausarztsuche schon zu ungewöhnlichen Mitteln.

Schon derzeit fehlten 5000 Hausärztinnen und Hausärzte, beklagte deren Verband am Donnerstag in Berlin. Nicht nur das: In einigen Bundesländern bekommt die Medizinergruppe die geleistete Arbeit nicht mehr vollständig bezahlt. Das betrifft, so Ko-Verbandsvorsitzender Marcus Beier, am stärksten die Bundesländer der Stadtstaaten Hamburg und Berlin: Hier sind die Hausarztpraxen bei einem Auszahlungswert von 65 Prozent. Das bedeutet, dass nur etwa zwei Drittel der erbrachten Leistungen vergütet werden. Seit neuestem gelten Budgetdeckel aber auch in Baden-Württemberg und Brandenburg. Weitere Bundesländer, darunter Hessen, schrappen an dieser Grenze.

Versorgungsprobleme weiten sich aber auch aus, weil der Anteil der Hausärzte an der Gesamtzahl der niedergelassenen Ärzte kontinuierlich sinkt: Immer mehr erreichen das Pensionsalter. Laut Nicola Buhlinger-Göpfahrt, ebenfalls Ko-Chefin des Hausärzteverbandes, wuchs innerhalb der vergangenen zehn Jahre die Zahl der Niedergelassenen insgesamt um 14 Prozent, darunter die Zahl der Radiologen um 18 Prozent, aber die der Allgemeinmediziner nur um zwei Prozent. Insgesamt sind von den derzeit Niedergelassenen etwa 30 Prozent Hausärzte, vor 30 Jahren waren es noch mehr als die Hälfte. Diese Entwicklung laufe auch gegen jede Empfehlung internationaler Experten für ein stabiles Gesundheitssystem.

»Die Patienten stehen dann bei uns vor der Tür, teilweise mit ihrem Rollator, und wollen etwa ihr Insulin verschrieben haben. Und wir schicken sie ja nicht weg.«

Nicola Buhlinger-Göpfahrt Hausärztinnen- und Hausärzteverband

Was es bedeutet, wenn Praxen schließen, schildert Buhlinger-Göpfarth aus eigener Erfahrung: »Die Patienten stehen dann bei uns vor der Tür, teilweise mit ihrem Rollator, und wollen etwa ihr Insulin verschrieben haben. Und wir schicken sie ja nicht weg.« Dass die Patienten, die ihre Praxis verloren haben, direkt kommen, bestätigt auch Beier: »Das liegt auch daran, dass die noch aktiven Praxen teils gar nicht mehr per Telefon erreichbar sind, weil die vorhandenen Leitungen immer besetzt sind.« Es sind Erfahrungen wie diese, die Hausärzte auch nach einer Vergütung für den Praxis-Patienten-Kontakt fordern lassen. Die Praxen sind nur arbeitsfähig, wenn es auch ihre Teams sind, etwa mit den unverzichtbaren Fachassistinnen am Tresen.

Rettung für die Hausärzte könnte mit einem neuen Gesetz kommen, dem GVSG. Hinter der Abkürzung verbirgt sich das Wortungetüm Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz. Darin steht auch die laut Buhlinger-Göpfarth »zigmal versprochene Entbudetierung«. Das im Mai vom Kabinett beschlossene Gesetz zur Reform der hausärztlichen Versorgung befindet sich noch in der parlamentarischen Abstimmung. Termine für eine zweite und dritte Lesung im Bundestag stehen bisher nicht fest beziehungsweise wurden wieder gestrichen.

Diese Verschiebung wird von den Hausärzten einmal unter dem Aspekt verstanden, dass die Krankenhausreform in der Debatte alle anderen Gesundheitsreformen schlicht marginalisiert. Und andererseits seien lange versprochene Teile des Gesetzes, nämlich die regelhafte Etablierung von Gesundheitskiosken und -regionen sowie von Primärversorgungszentren zunächst aus dem Entwurf gestrichen worden. Zu Teilen kommt dieser Schritt den Hausärzten sogar entgegen, weil sie die aus ihrer Sicht entstehenden Parallelstrukturen ablehnen. Teile der Regierungskoalition wollten auf diese Neuerungen aber nicht verzichten, und die Aushandlung würde nun dauern – oder das Gesamtvorhaben überhaupt infrage stellen.

Ärgerlich ist aus Hausärztesicht auch, dass die Ressourcen ihrer Gruppe für immer mehr Reformprojekte in Anspruch genommen werden sollen, aber selbst nicht gestärkt werden. Unter anderem könnten zusätzliche Telemedizindienste im Rahmen der Notfallreform auf sie zukommen. Im sogenannten Gesundes-Herz-Gesetz ist vorgesehen, dass sehr viele zusätzliche Tests – unter anderem auf schlechte Blutfettwerte – an gesunden Menschen durchgeführt werden. Und bei der Einführung der elektronischen Patientenakte benötigen viele Menschen Hilfe, die sie zuerst in ihrer Hausarztpraxis suchen.

Auch aus diesen Gründen bringt die Hausärzte der Zeitverzug beim GVSG auf die Palme: »Mit jedem Tag, mit dem sich die versprochenen Entlastungen nach hinten schieben, wird es für die Hausarztpraxen schwerer, die Versorgung sicherzustellen«, sagte Buhlinger-Göpfahrt. Das Gesetz erscheine vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen als Rettung. Träte es in Kraft, würden alle Hausarztleistungen einschließlich von Besuchen zu Hause oder in Pflegeheimen ohne Kürzung vergütet werden. Der Beruf selbst könnte so attraktiver werden.

Ein weiteres Argument für die dringend nötige Stärkung des Berufs entnimmt der Verband einer neuen Umfrage. Unter 5000 Bundesbürgern hatte zwar mehr als die Hälfte in den letzten zwei Jahren keine Probleme, zeitnah einen Termin in einer Hausarztpraxis zu erhalten. Aber schon drei Viertel gehen davon aus, dass es in den nächsten Jahren schwieriger werden dürfte, überhaupt eine solche Praxis zu finden. Und fast ebenso viele sind der Ansicht, dass die Bundesregierung keine ausreichenden Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung trifft.

Am Donnerstag begann in Berlin der Hausärztinnen- und Hausärztetag. Dort wollen rund 120 Delegierte aus ganz Deutschland bis Freitag über Themen der Gesundheitspolitik diskutieren. So soll es um Initiativen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens gehen.

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