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Gummistiefel-Politik in Österreich
Wegen der Flutkatastrophe wird im Wahlkampf plötzlich auch wieder über Klimawandel diskutiert
Angeblich macht er Pause, der Wahlkampf in Österreich – so zumindest tönte es aus diversen Lagern. Dabei hatten alle Parteien gerade für besagtes Wochenende Veranstaltungen geplant, bei denen das Wahlkampffinale eingeläutet werden sollte. Sie alle wurden wegen der Katastrophenlage in Ost-Österreich abgesagt. Ebenso alle geplanten TV-Debatten. Nachgeholt wurde all das am Mittwoch im Nationalrat: Da wurde der letzte reguläre Sitzungstag vor der Wahl zu einem Feuerwerk an Milliarden-Beschlüssen: Der Katastrophenfonds wurde auf eine Milliarde Euro aufgestockt; der Wohnschirm, über den Wohnkostenzuschüsse zur Prävention von Zwangsräumungen abgewickelt werden, um 40 Millionen Euro erhöht. Zudem soll eine Milliarde in den Hochwasserschutz investiert werden. Nach dem Regen regnet es also Geld.
Vor allem aber hat der Wahlkampf nach Migration und Besteuerungsfragen ein neues Thema: den Klimawandel, seine Auswirkungen und der Umgang damit. Man könnte meinen, dass das den Grünen zugutekommt, bietet die aktuelle Lage doch Gelegenheit, in einem Wahlkampf voller frontaler und unterschwelliger Angriffe ihre Kernkompetenz auszuspielen.
Es ist ganz sicher auch kein Zufall, dass die Grünen Infrastrukturministerin Gewessler gerade jetzt aufs Podest heben. Sie ist die Ministerin, auf deren Konto sehr viel von dem geht, was die Grünen nach fünf Jahren in einer äußerst komplizierten Koalition mit der ÖVP realpolitisch auf der Haben-Seite verbuchen können: zum Beispiel das EU-Renaturierungs-Abkommen gegen den Widerstand des Koalitionspartners oder auch das Klimaticket, ein österreichweites Ticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel. Nur ist keineswegs sicher, dass die Grünen davon auch tatsächlich profitieren werden.
Fluten können Wahlen entscheiden. Das hat sich auch in der österreichischen Geschichte gezeigt: Das Hochwasser 2002 und die Auswirkungen auf die Steuerpolitik hatten damals erst zur Selbstzerfleischung der FPÖ und in Folge zum Zerfall der ÖVP-FPÖ-Koalition geführt. Die FPÖ verlor bei den darauffolgenden Wahlen fast 17 Prozent – die ÖVP gewann 15 Prozent. Die Grünen gewannen 2 Prozent.
Auch die am 29. September bevorstehende Wahl ist wieder vor allem ein Rennen im rechten Lager – zwischen FPÖ und ÖVP. So gut wie alle Umfragen sagen eine markante Verschiebung nach rechts voraus. Die rechtsradikale FPÖ könnte mit 27 Prozent stärkste Kraft werden, weit vor ÖVP (24 Prozent), SPÖ (20 Prozent), NEOS (9 Prozent) und Grünen (8 Prozent). Die KPÖ liegt, gleichauf mit der »Bierpartei«, bei 3 bis 4 Prozent – wobei mindestens 4 Prozent für den Einzug in den Nationalrat benötigt werden.
Die Wahl am 29. September ist wieder ein Rennen im rechten Lager – zwischen FPÖ und ÖVP
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Das jedoch war der politische Pegelstand, bevor sich Politiker aller Parteien ins Krisen-Outfit geworfen haben: Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) trat zuletzt in Hemd und Pullover in einem Krisenkoordinationszentrum in Tulln bei Wien auf; FPÖ-Chef Kickl in grüner Jägerkluft im Wald; Andreas Babler (SPÖ) in Feuerwehr-Kleidung und der Rolle des Bürgermeisters und Krisenmanagers in Traiskirchen südlich von Wien; Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne) in urbanem Schlechtwetter-Outfit am Wienfluss in Wien.
Inhaltlich gab es bei all dem tatsächlich wenig Wahlkämpferisches: Danksagungen an die freiwilligen Helfer, Solidaritätsbekundungen, Bekenntnisse, bei der Beseitigung der Schäden zu helfen und nur seitens der Grünen auch einen Hinweis auf den Klimawandel. Aber vorrangig ging es einmal darum, den Krisenmanager zu geben. Gummistiefel-Politik also.
Die Klimadebatte verläuft in Österreich allerdings in besonders seltsamen Bahnen. Dass die »Letzte Generation« zuletzt ganz offiziell aufgegeben hat, kann durchaus als symptomatisch verstanden werden. Klimaprotestierenden wurde mit dem Strafrecht gedroht. Im EU-Wahlkampf hatte die FPÖ gegen den »Öko-Kommunismus« plakatiert. Parteichef Herbert Kickl postete auch schon mal über den »sogenannten Klimawandel«. Seitens der ÖVP wurden »Haftstrafen« gegen Klimaaktivisten gefordert, weil diese »Sabotage« betreiben würden.
Pikantes Detail am Rande: In Niederösterreich, dem jetzt am schwersten von der Flut getroffenen Bundesland, regiert die ÖVP in einer Koalition mit der FPÖ. Das dortige Regierungsprogramm ist ein Sammelsurium aus Klimawandel- und Corona-Leugnertum, »Autofahrerschutz« und Deutschgebot auf dem Schulhof.
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Auf Bundesebene hält Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) währenddessen weiterhin Plädoyers für Verbrennermotoren, bezeichnet Österreich als Autoland und setzt gegen fast einhelligen Expertenrat auf Alternativ-Treibstoffe anstatt auf E-Mobilität. Die Linie der Konservativen: »Technologieoffenheit«, wie sie es nennen, möglichst wenig Regulierung der Wirtschaft, vor allem nicht vonseiten der EU. Als Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne) gegen ÖVP-Weisung für das EU-Renaturierungsgesetz stimmte, hätte das fast zum Ende der Koalition geführt. Die ÖVP zeigte Gewessler wegen angeblichem Verfassungsbruch an. Die Ermittlungen wurden eingestellt.
Für die FPÖ wiederum birgt die jetzige Flut inhaltlich durchaus Probleme. Unter Kickl hat die Partei einen offen wissenschaftsfeindlichen Kurs eingeschlagen. Die Klimakrise wird ebenso geleugnet wie Corona oder die Wirkung von Impfungen. So trat der Leiter der FPÖ-Delegation im EU-Parlament, Harald Vilimsky, just am Wochenende der Flut bei einem Benefiz-Dinner des rechten Thinktanks Heartland Institute in Chicago auf. Die Kooperation zwischen Vilimsky und dem Institut wird derart beschrieben: Man kooperiere, »speziell, wenn es darum geht, dem Klima-Alarmismus und sinnloser, ›grüner‹ Energiepolitik in Europa zu kontern«.
Zugutekommt der FPÖ jedoch, dass ihre Meinungsblase sich bereits mehrfach als undurchdringbar erwiesen hat. Fakten dringen bei ihrer Anhängerschaft kaum mehr durch. Auch die zahlreichen Skandale haben der Partei wenig zugesetzt. Allerdings: Dieser Wählerkreis ist letztlich begrenzt. Und Umfragen nach dem Hochwasser deuten darauf hin, dass bisher Unentschlossene nun eher zur ÖVP tendieren.
Denn: Da ist der Kanzler- und Krisenmanagerbonus – auch wenn Umweltpolitik für Nehammer bisher immer eher den Stellenwert von lästigem Beiwerk hatte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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