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49-Euro-Ticket ade
Bund und Länder beschließen eine Anhebung des Preises für das Deutschlandticket um neun Euro
Als das Deutschlandticket im Mai ein Jahr lang existierte, gab es Lobeshymnen von allen Seiten. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) erklärte vollmundig, das »modernste ÖPNV-Ticket in ganz Europa« sei nicht mehr wegzudenken. Tatsächlich hat es den Tarifdschungel im öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) gelichtet. Das Ticket gilt bundesweit unabhängig vom Verkehrsverbund in der Regionalbahn, im Bus oder im Anrufsammeltaxi. Das hat einen Komfort geschaffen, der geschätzt wird: Rund 13 Millionen Abonnenten gab es im August. Oliver Krischer (Grüne), Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, nannte das Ticket »eine mittelgroße Revolution im Nahverkehr«.
Doch bereits seit der Einführung des monatlich kündbaren Abonnements gibt es Diskussionen um die Preisgestaltung. Den Verkehrsverbünden entgehen durch das Ticket nämlich Einnahmen, die Bund und Länder ausgleichen. Bisher geben diese jeweils rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr hinzu.
Um die Zuschüsse zu drosseln, hat eine Sonderkonferenz der Verkehrsminister am Montag eine Preiserhöhung beschlossen. Ab Januar soll das Ticket neun Euro teurer werden und 58 Euro kosten. »Die Einigung zeigt, dass die Länder am Erfolgsmodell Deutschlandticket festhalten und es weiterentwickeln wollen«, sagte Krischer, der Vorsitzende der Konferenz. »Mit diesem Preis schaffen wir es, das Ticket weiter attraktiv zu halten und die Finanzierung auf solidere Füße zu stellen.«
Die Minister versuchen, das Abo mit einem Spagat zu retten. Angenommen wird das Ticket nämlich nur, wenn es erschwinglich ist. Die Kunden reagieren sensibel auf Preiserhöhungen, das hat eine Untersuchung ergeben, die Bund und Länder in Auftrag gegeben haben. Bei einer Preiserhöhung von fünf Euro würden der Studie zufolge bereits rund sieben Prozent der derzeitigen Ticketinhaber ihr Abo kündigen; bei einer Preiserhöhung von zehn Euro zwischen zehn und 21 Prozent. Durch die Preissteigerung könnten rund 2,5 Millionen Nutzer wegfallen.
»In NRW leben mehr als drei Millionen armutsgefährdete Menschen und viele Ältere, die nur eine Grundrente beziehen. Für sie ist die Preiserhöhung ein großes Problem.«
Horst Vöge Präsident des Sozialverbandes VdK in Nordrhein-Westfalen
Ähnlich fällt das Ergebnis einer Yougov-Umfrage aus. Demnach ist die Schmerzgrenze für knapp ein Drittel der Abonnenten oder Interessierten bereits beim derzeitigen Preis von 49 Euro erreicht. Horst Vöge, Präsident des Sozialverbandes VdK in Nordrhein-Westfalen, ist sich dieser Prognose bewusst. »Für Menschen mit guten Einkommen ist das zu verkraften. Aber in NRW leben deutlich mehr als drei Millionen Menschen, die armutsgefährdet sind, und viele Ältere, die nur eine Grundrente beziehen«, erklärte er der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«. »Für diese Menschen ist die Preiserhöhung ein großes Problem.« Die Preissteigerung könnte also erhebliche soziale Einschnitte nach sich ziehen und den Erfolg des Tickets gefährden.
Für die Verkehrsunternehmen stellt sich die Situation allerdings ganz anders dar. Sie transportieren zwar mehr Fahrgäste als in den vergangenen Jahren, ihre Einnahmen sind durch das Abo aber nicht entsprechend gestiegen. Gerade in Ballungsgebieten zahlen viele Kunden durch das Deutschlandticket weniger als zuvor bei einer Monatskarte. Die Zahl der Neukunden hält sich in Grenzen. Eine Evaluation des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat ergeben, dass lediglich acht Prozent der Nutzer zuvor nicht schon mit dem Bus oder der Bahn unterwegs waren.
Das reiche nicht, um das Ticket dauerhaft wirtschaftlich anzubieten, sagte Knut Kingat, Vizepräsident des VDV, der »Tagesschau«. »Ich brauche wenigstens 20 Prozent mehr Neukunden, um wirtschaftlichen Erfolg zu haben«, rechnete er vor. Luft nach oben sieht der VDV bei den Jobtickets. Fachleute glauben, dass allein bis zu 15 Millionen solcher Tickets verkauft werden könnten. Das liegt auch an den Zuschüssen vom Staat und von Unternehmen, die den Preis derzeit oft auf unter 35 Euro gedrückt haben.
Um die Finanzierung des Tickets zu stemmen, sind die Verkehrsverbünde aber weiterhin auf öffentliche Zuschüsse angewiesen. Bernd Riexinger, verkehrspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, kritisierte, dass diese jetzt zurückgefahren werden. Angesichts des Klimawandels müsse insbesondere die Bundesregierung mehr unternehmen: »Es ist völlig unverständlich, dass der Bund nicht mehr für den Erhalt des 49-Euro-Tickets zusteuert.«
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