#noAfD: Sind Berlins Schulen medienfit?

Lehrergewerkschaften und Gewaltpräventionsträger klären über Medienkompetenz für Jugendliche auf

Informationsflut im Netz: Studien belegen, dass sich insbesondere junge Menschen von sozialen Medien überfordert fühlen.
Informationsflut im Netz: Studien belegen, dass sich insbesondere junge Menschen von sozialen Medien überfordert fühlen.

37 Prozent in Thüringen, 34 Prozent in Sachsen, 29 Prozent in Brandenburg. Bei Teenagern liegt die AfD vorn, wie Ergebnisse der U18-Landtagswahlen zeigen. Auch in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen holt die Partei viele Stimmen. In den sozialen Medien ist die AfD seit Jahren sehr präsent – das macht sich auch in der hohen Follower*innen-Zahl rechter Accounts bemerkbar.

Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) mahnte nach den Ergebnissen der Brandenburger Landtagswahlen eine bessere Medienbildung an Schulen an. »Soziale Medien können gerade zu Beginn einer Radikalisierung wie ein Katalysator wirken«, sagte er. »Wenn aber in zehn Prozent der deutschen Schulen noch immer keine Klassensätze an digitalen Endgeräten vorhanden sind und der Digitalpakt 2.0 momentan noch in der Schwebe steckt, brauchen wir uns nicht wundern, wenn Schule das nicht leisten kann«, kritisierte er.

Sind Berliner Schulen gewappnet, um junge Menschen für rechte Radikalisierung und Fake News im Netz zu sensibilisieren? Gewerkschaften und medienspezifische Angebotsstellen der Gewaltprävention aus Berlin berichten.

Technik nicht gleich Medienkompetenz

Hanno Rüther ist Leiter einer Berliner Grundschule und Vorstand vom Landesverband Bildung und Erziehung (VBE). Er findet, dass die IT-Ausstattung an Schulen erst mal wenig mit Medienbildung zu tun hat. »Um Fake News zu erkennen, braucht man ein breites historisch-politisches Wissen«, sagt er »nd«. Auch ohne technische Hilfsmittel könne man guten Unterricht machen. Rüther sieht die Berliner Schulen zwar in der Verantwortung, zur kritischen Medienbildung beizutragen. Er warnt aber »vor naiven Vorstellungen, wie viel Einfluss die Schule auf die Medienbildung nehmen kann«.

Im Mai lief der »Digitalpakt Schule« aus. 257 Millionen Euro konnte das Land Berlin aus dem Bundesförderprogramm innerhalb von fünf Jahren ausgeben, um Schulen technisch besser auszustatten. Dazu gehörte die Einrichtung von W-LAN, Lernplattformen, neue Software und Cloud-Dienste sowie die Versorgung von Schulen mit digitalen Endgeräten oder Smartboards, einer Art digitaler Tafel. Nachdem der Digitalpakt ausgelaufen ist, gibt es Unklarheit, wie die Digitalisierung an Schulen ab 2025 weiterfinanziert wird. Einigkeit gibt es zwischen Bund und Ländern bisher darin, dass es einen neuen Digitalpakt braucht. Laut eines Entwurfspapiers der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), auf das sich das ARD-Hauptstadtstudio bezieht, will der Bund für einen Digitalpakt 2.0 nicht wie zuvor 90 Prozent finanzieren, sondern nur noch 50 Prozent – die andere Hälfte sollen die Länder zahlen.

»Es braucht vielfältige Angebote, die vor allem auf den sicheren Umgang mit den eigenen Daten, das Einordnen von Inhalten oder das Erkennen von demokratiefeindlichen Positionen abzielen.«

Klaudia Kachelrieß  Schulreferentin in der GEW-Berlin

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verweist auf eine Studie der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen aus diesem Juni, bei der 2385 Berliner Lehrkräfte befragt wurden. Sie zeigt, dass es massive Unterschiede in der digitalen Ausstattung von Berliner Schulen gibt. Diese digitale Kluft sei so groß, dass sie den Schüler*innen einen gleichberechtigten Bildungszugang verwehre und die berufliche Chancengleichheit der Lehrkräfte gefährde. Zwar besitze fast jede*r Schüler*in ab 12 Jahren ein Smartphone und verbringe jeden Tag circa zwei Stunden auf Youtube, Instagram und Tiktok. »Doch in Berlin lernen nur bei digitalen Vorreiterschulen im Sekundarbereich 49 Prozent der Schüler*innenschaft, wie sie prüfen können, ob Informationen aus dem Internet zuverlässig sind«, so der Leiter der Studie laut GEW-Mitteilung.

Zudem präge »digitaler Stress«, die Arbeitswirklichkeit von Lehrkräften. Zwar setzten zwei Drittel der Berliner Lehrkäfte täglich digitale Medien ein, doch nur sechs Prozent der Befragten erleben eine Entlastung, 71 Prozent fühlen sich stärker belastet durch die Digitalisierung. Laut Klaudia Kachelrieß, Berliner Schulreferentin in der GEW, bräuchte es eine medienpädagogische Expertise an allen Schulen, wie sie »nd« sagt. Dann würden neben Lehrkräften auch Medienpädagog*innen zum Einsatz kommen. Grundsätzlich bräuchte es laut Kachelrieß auch ein langfristiges Konzept, dass nicht darauf beruhe, »akute Lücken zu schließen«.

Rechte kapern die sozialen Medien

Laut einer Studie der Universität Potsdam vom 2. September 2024 ist die AfD die erfolgreichste Partei auf Tiktok. Mit 730 000 Follower*innen hängt sie in der Reichweite alle anderen Parteien ab. Aber nicht jeder Account ist direkt als rechter erkennbar. Laut Kachelrieß sind Informationen im Netz insbesondere für junge Kinder schwer zu durchschauen. »Es braucht vielfältige und differenzierte Angebote, die vor allem auf Mündigkeit, den sicheren Umgang mit den eigenen Daten, das Einordnen von Inhalten, oder das Erkennen von demokratiefeindlichen Positionen abzielen«, sagt sie.

Das Medienkompetenzzentrum »bits21« im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist eines dieser Angebote. Laut Johanna Sprenger von »bits21« muss deutlich mehr für Medienkompetenz in Bildungsräumen getan werden. »Rechte Netzwerke sind gut organisiert, rechte Parteien bemühen sich sehr viel mehr als demokratische Parteien, um die Pflege sozialer Netzwerke«, sagt sie »nd«. Medienkompetenzzentren und außerschulische Bildungsorte können laut Sprenger neben familiärer Medienerziehung und Schulbildung gezielter und wertfreier auf Bedürfnisse, Sorgen und Ängste junger Menschen eingehen können.

Meryem Tinç, Mitarbeiterin von der Berliner Stelle des Vereins Violence Prevention Network sagt »nd«, Medienkompetenz an Schulen könne auch gefördert werden, wenn Träger der politischen Bildung und Schulen enger zusammenarbeiten. Einige Berliner Schulen täten dies bereits. »Allerdings ist es dafür notwendig, dass die Träger der politischen Bildung weiterfinanziert werden«, sagt Tinç.

Auch das senatsgeförderte Projekt »Anti Anti« bietet medienpolitische Weiterbildung für Jugendliche und Lehrkäfte in Berlin und Brandenburg an. »Radikalisierung an sich ist zunächst kein problematischer Vorgang«, heißt es auf ihrer Website. Es bedeute, zunehmend infrage zu stellen, ob eine normative Ordnung legitim sei und/oder zunehmend bereit zu sein, die institutionelle Struktur dieser Ordnung zu bekämpfen. Beispielsweise ging der Einführung des Frauenwahlrechts ein Radikalisierungsprozess voran, erklärt das Projekt. Problematisch würde Radikalisierung, wenn sich demokratische Werte sowie autoritäre und menschenverachtende Einstellungen zeigen.

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