Als die Erde ein Schneeball war

Sich selbst verstärkende Mechanismen ließen die Erde vor Hunderten Millionen Jahren zu einem Eisplaneten werden

  • Wolfgang Pomrehn
  • Lesedauer: 5 Min.
So könnte die Erde vor 717 bis 658 Millionen Jahren ausgesehen haben.
So könnte die Erde vor 717 bis 658 Millionen Jahren ausgesehen haben.

Nach menschlichem Ermessen ist unser kleiner Planet unfassbar alt. Beachtliche 4,5 Milliarden Jahre hat die Erde bereits auf dem Buckel. Lebensfreundliche Bedingungen entstanden jedoch erst viel später. Überhaupt sind die vergleichsweise gemäßigten klimatischen Bedingungen, unter denen sich der moderne Mensch in den letzten 200 000 bis 300 000 Jahren ausgebreitet hat, eine relativ neue Erscheinung. Was natürlich noch lange kein Grund ist, sie leichtfertig aufs Spiel zusetzen, wie es derzeit geschieht.

Doch das ist eine andere Geschichte. Hier soll es um eine Periode vor mehr als 600 Millionen Jahren gehen, in der die Erde eine Eiswüste war. Hinweise darauf werden seit den 1980er Jahren diskutiert, und nun haben Wissenschaftler des Londoner University College im Norden Schottlands einmalig gute Belege gefunden. Mit ihnen lässt sich eine dieser Vereisungsperioden auf die Zeit von 717 bis 658 Millionen Jahre vor der Gegenwart eingrenzen.

Der Nachweis gelang in einer geologischen Formation im nördlichen Schottland. Zuunterst liegt dort eine Schicht Karbonatgestein, das sich am Boden eines tropisch warmen Ozeans gebildet hat. Darüber konnten die Forscher Gestein ausmachen, das aus Sediment eines sehr kalten, vereisten Meeres entstanden war. Der Druck späterer Ablagerungen hat beide Schichten im Laufe der Jahrmillionen zu Gestein werden lassen, das schließlich durch Verschiebungen der Kontinentalplatten gefaltet und an die Oberfläche gebracht wurde.

Ohne die Treibhausgase wäre die Erde im Durchschnitt rund 30 Grad Celsius kälter.

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Für die Altersbestimmung machten sich die Forscher die Besonderheiten des Minerals Zirkon zunutze. Dieses besteht aus einer Verbindung des Elements Zirkonium mit Silizium und Sauerstoff und kann bei seiner Entstehung auch andere Elemente einschließen. Zum Beispiel Uran, aber auf keinen Fall Blei. Dadurch enthält das Mineral sozusagen eine Uran-Blei-Uhr. Das im Zirkon anfangs eingeschlossene Uran zerfällt nämlich im Laufe der Zeit durch Kernspaltung, wobei Blei entsteht und sich nach und nach im Mineral anreichert. Dessen Alter – und damit des Gesteins, in dem es eingeschlossen ist – kann entsprechend aus dem Mengenverhältnis von Blei zu Uran bestimmt werden. Somit konnten die Forscher aus der datierten Abfolge der tropischen und eiszeitlichen Sedimente die Vereisung bestens eingrenzen. Ihre Studie wurde im britischen »Journal of the Geological Society« veröffentlicht.

Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass sich unser Planet in einen »Schneeball« verwandelt, in einen »Snowball«, wie es in der Fachdebatte genannt wird? Die Temperatur auf der Erde ist von drei wesentlichen Faktoren abhängig. Der einfallenden Sonnenenergie, der Menge dieser Energie, die reflektiert und zunächst nicht im Erdsystem bleibt, und der Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre. Letztere sorgen dafür, dass die Wärmeabstrahlung der Erdoberfläche nicht direkt in den Weltraum entweicht, sondern zunächst die Luft erwärmt. Ohne diese Treibhausgase wäre die Erde bei den gegenwärtigen Bedingungen im Durchschnitt rund 30 Grad Celsius kälter, das heißt, sie wäre ein Eisplanet.

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Genau so war es vor über 700 Millionen Jahren. Die wichtigsten natürlichen Treibhausgase sind Wasserdampf und das einschlägig bekannte Kohlendioxid (CO2). Wasserdampf ist auf einem warmen Planeten reichlich in der Atmosphäre enthalten. Je wärmer, desto mehr oder auch: je weniger, desto kälter. Eine positive Rückkoppelung, die durch andere Mechanismen in Schach gehalten wird, um nicht in die eine oder andere Richtung aus dem Ruder zu laufen. CO2 war in der frühen Atmosphäre reichlich enthalten. Solange kein Leben im größeren Umfang vorhanden ist – wie es vor 700 Millionen Jahren noch der Fall war –, wird CO2 vor allem durch Vulkanismus freigesetzt. Prozesse in den Meeren sowie Verwitterung in den Flüssen entziehen der Atmosphäre das Gas wieder.

Das sind für menschliche Verhältnisse sehr langsame Prozesse, aber die Karbonatbildung im Wasser und die Verwitterung kann als kontinuierlicher Vorgang mitunter schneller gehen, da der Vulkanismus nicht gleichmäßig erfolgt. Periodische verminderte Sonneneinstrahlung trug seinerzeit vermutlich ein Übriges dazu bei, den Planeten auf die schiefe Bahn zu bringen: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nahm mehr und mehr ab, und damit auch die Temperatur, was weniger Wasserdampf bedeutete. Auf der nicht mehr ganz so tropischen Erde bildete sich Eis an den Polen und in den Hochgebirgen, sodass die Rückstrahlung größer wurde und Boden und Wasser weniger Sonnenenergie aufnahmen. Die Temperatur sank weiter, bis die Erde schließlich zu einem Eisplaneten wurde.

Doch wie kam sie aus dieser Vereisungsfalle wieder heraus? Die Antwort liegt ebenfalls bei Verwitterung und Vulkanismus. Auf einem Eisplaneten regnet und taut es nie oder nur selten. Daher gibt es keine Flüsse und keinen CO2-Abbau durch Verwitterung. Der Vulkanismus geht jedoch auf einer Eiserde weiter, weshalb sich das CO2 in der Atmosphäre zu jener Zeit wieder anreichern konnte. Und zwar so weit, dass es kurzfristig eine Art Supertreibhaus gab, in dem das Eis schließlich verschwand.

Diese »Schneeball«-Episode hatte weitreichende Auswirkungen: Sie löste einen »Urknall« der Evolution aus, wie es einige Biologinnen und Biologen nennen. Bis zur Vereisung bestand das Leben auf der Erde vor allem aus Einzellern, die sich von Photosynthese und im Wasser verfügbaren anorganischen Spurenstoffen ernährten. Doch die harscheren und nährstoffarmen Lebensbedingungen verschafften der Evolution offenbar einen Turbo. »Pflanzenfresser« gerieten unter drastisch erhöhten Konkurrenzdruck, weil weniger Nahrung zur Verfügung stand. Vier US-Wissenschaftler haben das kürzlich mit verschiedenen Evolutionsmodellen durchgerechnet und kommen in einer in »Proceedings of the Royal Society B« veröffentlichten Arbeit zu dem Ergebnis, dass diese extremen Veränderungen der Umweltbedingungen vermutlich den Ausgangspunkt für die Entwicklung aller heutigen Mehrzeller gebildet haben. Nach Ende der Vereisung hätten sich deren Urahnen explosionsartig ausgebreitet.

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