Vb-Wetterlage: Die Häufung eines Jahrhundertereignisses

Eine Wetterlage mit katastrophalen Folgen im östlichen Mitteleuropa wird noch heftiger

Luftaufnahme eines überfluteten Viertels in Tschechien
Luftaufnahme eines überfluteten Viertels in Tschechien

Diese Nachricht wird man im Osten und Südosten Deutschlands mit Erleichterung vernehmen: Nach den länger anhaltenden Regenfällen kommt es an diesem Dienstagmorgen zur Wetterberuhigung, prognostiziert der Deutsche Wetterdienst (DWD). Trocken-warme Kontinentalluft übernimmt dann das Regime. Allerdings steigt dadurch die Schneefallgrenze an, wodurch es laut DWD zu »zusätzlichem Abfluss durch die abtauende Schneedecke« kommt. Dadurch kann sich örtlich die Hochwasserlage sogar verschärfen – am Mittwoch oder Donnerstag wird dann aber auch hierzulande der Höchststand der Flusspegel erreicht sein.

Grund der gewaltigen Regenmengen, die in den vergangenen Tagen über dem östlichen Mitteleuropa niedergingen, war eine Wetterlage, die als Vb – V als römische Fünf – bezeichnet wird. Sie geht auf den Meteorologen Wilhelm Jacob van Bebber zurück, der festgestellt hatte, dass die Zugbahnen der Tiefdruckgebiete über Europa zyklischen Schwankungen unterliegen, und im Jahr 1891 eine Klassifizierung vornahm, um die Wettervorhersage zu verbessern. Davon erhalten geblieben ist bis heute die Wetterlage Vb: ein Tief, das vom Mittelmeer nach Nordosteuropa zieht. Von einem »Tiefdrucktrog« spricht der DWD: »Die Höhenströmung verläuft in einer lang gestreckten engen Kurve (Mäander) vom Nordatlantik kommend zunächst südwärts, um dann über Südeuropa scharf nach Norden umzubiegen und landet nach einem Weg über Tschechien und Polen hinweg meist in Skandinavien.« Angereichert mit viel Feuchtigkeit vom Mittelmeer, führen diese „feuchtheißen“ Tiefs auf der Vb-Zugbahn zu lang andauernden und ergiebigen Niederschlägen.

Obwohl die Vb-Wetterlage eher selten ist, hat man in Teilen Ostdeutschlands und Bayerns die Folgen noch in schlechter Erinnerung. Beispiele dafür waren das Oderhochwasser 1997, das Elbehochwasser 2002 und das Hochwasser 2013 an Donau und Elbe.

Geosphere Austria, Österreichs meteorologischer Dienst, hat vor wenigen Wochen für die Alpenrepublik diese Wetterlage genauer unter die Lupe genommen. Ergebnis: »Obwohl nur vergleichsweise wenige Tiefdrucksysteme (5%) ebensolche Vb-Tiefs sind, sind sie für 45% der extremen Niederschlagsereignisse in Österreich und der Tschechischen Republik verantwortlich.« Fast alle großen Hochwasserereignisse an der Donau seien durch Vb-Tiefs ausgelöst worden. Der mittelfristige Trend ergibt zudem ein beunruhigendes Bild: Die 50 stärksten Vb-Ereignisse im Zeiraum 1961 bis 2015 zeigen einen Anstieg der Niederschlagssumme am Alpennordrand von etwa 20 Prozent bei einer Zunahme der Häufigkeit von 13 Prozent.

Mit dem Fortschreiten des menschengemachten Klimawandels erwarten die österreichischen Wetterexperten, dass diese Ereignisse seltener werden könnten. Begründung: Da sich der Polarjet Richtung Norden verschiebe und dadurch vor allem im Sommer abschwäche, werde eine Luftverdichtung unwahrscheinlicher, was die Bildung von Vb-Wetterlagen langfristig erschweren wird. Solche Modellierungen sind aber umstritten, da der Zusammenhang zwischen Klimawandel und einem sich abschwächenden Jetstream bisher nicht wirklich belegt ist.

Weitgehend geteilt wird aber die zweite Prognose von Geosphere Austria, zumal es dafür bereits Belege gibt: noch höhere Niederschlagsmengen bei Vb-Ereignissen. Die Experten begründen dies damit, dass sich laut der Clausius-Clapeyron-Gleichung die Luft pro Grad Erwärmung rund sieben Prozent mehr Feuchtigkeit in Form gasförmig gelösten Wassers aufnehmen kann.

Das gilt auch weiterhin für die aktuelle Hochwasserkatastrophe: Meteorologe Oliver Hantke von wetter.de weist darauf hin, dass sogar das nördliche Mittelmeer rund um Italien bis hoch zur Adria, wo sich Vb-Tiefs üblicherweise bilden, noch 24 Grad warm ist. Dies seien »ideale Voraussetzungen, um viel Feuchtigkeit an die Luft abzugeben«. Anders gesagt: Das Hochwasser in Mittel-Osteuropa ist eine Spätfolge der sommerlichen Hitzewelle in Südosteuropa, die dem Mittelmeer in diesem Jahr Rekordtemperaturen bescherten.

Bei solchen Großereignissen war früher die Rede vom Jahrhunderthochwasser, das also statistisch gesehen alle 100 Jahre auftritt. Doch wegen der Häufung hat sich der Begriff abgenutzt. In Tschechien sprechen die Behörden jetzt von einem Jahrtausendhochwasser, bei dem es in manchen Gegenden 500 Liter pro Quadratmeter regnete. Der deutsche Rekord liegt bisher bei 312 Litern, erreicht in Zinnwald-Georgenfeld im Erzgebirge am Morgen des 13. August 2002 – bei einer Vb-Wetterlage.

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