Ein autoritärer Aufbruch

Leo Fischer sieht in Deutschland ungarische Verhältnisse heraufziehen

Der lachende Mann: Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke bei der konstituierenden Sitzung des Landtags am Donnerstag
Der lachende Mann: Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke bei der konstituierenden Sitzung des Landtags am Donnerstag

Man muss das alles auch ein bisschen im Zusammenhang sehen: während enthemmt labernde Faschisten die Parlamente blockieren, fliegen die letzten Reste von Parteien, die zumindest theoretisch progressiv Politik machen könnten, aus ebendiesen. Die Linkspartei hat sich mit Ansage von der »linkskonservativen« Zaristenpartei zerfetzen lassen. Die Grünen wurden nicht für ihren konservativen Kurs abgestraft, sondern auf Basis einer ordinären Hetzkampagne, bei der von Markus Söder bis Julian Reichelt alle mitgemacht haben – wäre nur die Hälfte der Lügen, die über die Grünen verbreitet wurden, wahr gewesen, wäre das sogar eine respektable Partei. Von der SPD ist lediglich die Hoffnung übrig, gelegentlich in Großen Koalitionen nicht nur die allerunwichtigsten Ministerien zu bekommen.

Schaut man sich in der rechten Mediensphäre um, knallen dort die Sektkorken: Die Wahlen in Ostdeutschland werden schon als Anbeginn einer neuen Ära gefeiert, als Zusammenbruch eines ganzen politischen Systems, so ähnlich wie Italiens zweite Republik. Während in Thüringen die CDU noch Theaterdonner gegen die »Machtergreifung« rührt, nominiert das Parteimitglied von der Leyen einen »Postfaschisten« (allein das Wort!) als Mitglied der EU-Kommission – mit ausdrücklichem Lob von EVP-Chef Manfred Weber (CSU).

Leo Fischer
Leo FischerFoto ist privat, kein Honorar

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Die parlamentarische Linke ist geschlagen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass ihr Zerfall enden oder auch nur verlangsamt wird. Es steht eine Eiszeit an, in der linke Gruppen und Organisationen retten werden müssen, was zu retten ist. Die Parole ist: Überwinterung. Dem autoritären Aufbruch, der uns bevorsteht, hat die Ampel noch kurz vor ihrem Ende mit Polizeistaatsgesetzen den Weg geebnet, die die erste AfD-Regierung auf eine Weise ausnutzen wird, von der wir uns jetzt noch keine Vorstellung machen. Dem völlig radikalisierten konservativen Gender- und Klimadiskurs hat hingegen vor allem die CDU Zucker gegeben – man wird sich noch wundern, wofür man in Zukunft alles eingesperrt werden kann. Von ungarischen Verhältnissen sind wir jetzt nur noch Jahre entfernt, und wenn diese erstmal bestehen, dann erfahrungsgemäß für Jahrzehnte.

Man wird einmal auf das Jahrzehnt zwischen 2015 und 2025 zurückblicken als eine Art 1968 im Kleinformat – als ein Aufblühen linker und progressiver Diskurse auf allen gesellschaftlichen Ebenen, im Kultur- und Bildungsbereich, mit unglaublicher Breitenwirkung und einer Strahlkraft in die Parlamente hinein, von der man in den neoliberalen Nullerjahren nur hat träumen können. Beendet wurde es vom Fossilkapital und der ihm angeschlossenen Vereine, dem das mit dem Ökoreformismus letztlich doch alles zu weit und zu schnell ging und das daher beschloss, sicherheitshalber die Uhren noch einmal zwanzig Jahre zurückzustellen. Gescheitert ist die Bewegung vermutlich auch, weil sie verbissen an die Geschichte von den bösen Alten und der linken Aufbruchsjugend glauben wollte – während die Rechten via Tiktok die Jugend systematisch umgarnte und aufhetzte. Es wird lange dauern, bis wir auch nur annähernd wieder so weit kommen werden. Es zeichnet sich ein neues Biedermeier ab – eine Restaurationszeit, von der sich nur hoffen lässt, dass sie wenigstens interessante Möbel oder Naturlyrik hervorbringt.

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