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Tödliche Polizeischüsse auf Gambier: Ermittlungen eingestellt
Staatsanwaltschaft erklärt, alle »milderen Mittel der Deeskalation« seien von am Einsatz beteiligten Beamten ausgeschöpft worden
Nach den tödlichen Schüssen auf den Gambier Lamin Touray Ende März im niedersächsischen Nienburg hat die Staatsanwaltschaft Verden jetzt die Ermittlungen gegen 14 am damaligen Einsatz beteiligte Polizisten eingestellt. Die von zwei Beamten abgegebenen Schüsse sowie die Schussabgaben eines weiteren Beamten seien unter Einhaltung der Regelungen des Niedersächsischen Polizeigesetzes gerechtfertigt erfolgt, begründete am Freitag der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Schanz, die Entscheidung seiner Behörde.
Bei dem Einsatz am 30. März hatten Polizisten den 46-jährigen Mann erschossen. Acht Kugeln trafen ihn, nachdem er nach Polizeiangaben Beamte mit einem Messer bedroht hatte, zwei Schüsse – einer in die Leber, der andere ins Herz – waren tödlich. Eine Polizistin wurde bei dem Einsatz durch Kugeln verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte daraufhin gegen die Beamten wegen des Verdachts des Totschlags und der Körperverletzung im Amt.
Die Darstellungen über die damaligen Ereignisse widersprechen sich bis heute. Während die Staatsanwaltschaft von einer massiven Bedrohung der Beamten durch Touray spricht, berichtete die Freundin, sie habe damals angeboten, ihren in einer »psychischen Ausnahmesituation« befindlichen Partner zu beruhigen. Dies habe die Polizei aber nicht zugelassen.
Nach den Vorschriften des Polizeigesetzes dürfen Schusswaffen gegen Personen nur als letztes Mittel gebraucht werden, um diese angriffs- oder fluchtunfähig zu machen, erläuterte Staatsanwaltschaftssprecher Schanz. Tödliche Schüsse seien nur zulässig, wenn sie das einzige Mittel zur Abwehr einer Lebensgefahr oder der »gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Körperverletzung« seien. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass von Touray »eine gegenwärtige Lebensgefahr« für die Polizeibeamten bestanden habe.
Mildere Mittel zur Deeskalation wie ausführliche Gespräche mit mehrfacher Aufforderung, das Messer fallen zu lassen, der Einsatz von Hilfsmitteln wie eines Reizsprühgeräts und eines Diensthundes und schließlich auch das Androhen der Anwendung der Schusswaffe während des Einsatzes hätten keine Wirkung gezeigt und seien »in der hochdynamischen Bedrohungslage zum Zeitpunkt der Schussabgaben erfolglos ausgeschöpft« gewesen.
Die Göttinger Polizeipräsidentin Tanja Wulff-Bruhn erklärte, die Staatsanwaltschaft habe »gründlich und mit der gebotenen Sorgfalt ermittelt«. Man wisse nun, dass es »während des Einsatzes am Karsamstag in Nienburg zu keinen unrechtmäßigen oder unangemessenen Handlungen« gekommen sei. Die Nienburger Polizei ist der Polizeidirektion Göttingen zugeordnet. Der Vorfall habe gezeigt, wie herausfordernd und gefährlich Situationen seien, in denen Messer eingesetzt würden, so Wulff-Bruhn. In diesem Fall hätten die Ereignisse ein »tragisches Ende mit tödlichem Ausgang genommen, der für die Familie des Verstorbenen einen großen Verlust« bedeute.
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Einem der damals eingesetzten Beamten, dem Hundeführer, waren später rechtsextreme Ansichten vorgeworfen worden. Nach Medienberichten hatte er im Internet rechte Inhalte und Verschwörungstheorien verbreitet. Wulff-Bruhn sagte dazu, es werde eine mögliche verfassungsfeindliche Einstellung des betreffenden Polizisten geprüft. Diese habe aber keine Verbindungen zu dem fraglichen Einsatz. Der Polizeibeamte befindet sich seit dem Einsatz aufgrund einer dienstrechtlichen Verfügung nicht mehr im Dienst.
Niedersachsens Flüchtlingsrat kritisiert die Einstellung der Ermittlungen und fordert eine lückenlose gerichtliche Aufklärung der Todesumstände von Touray. Dies sei insbesondere aufgrund des »Näheverhältnisses« der Staatsanwaltschaft Verden zur Polizei Nienburg und des damit verbundenen Interessenkonflikts geboten, sagt Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat. Auch lasse sich der Verdacht, dass rassistische oder rechtsextreme Einstellungen das Verhalten der Polizisten und den Verlauf des Geschehens beeinflusst haben könnten, nicht pauschal von der Hand weisen.
Aufgeklärt werden muss aus Sicht des Flüchtlingsrates, inwiefern die von der Staatsanwaltschaft behauptete Lebensgefahr für am Einsatz beteiligte Polizisten durch die Eskalation des Einsatzes – Hinzuziehung von insgesamt 14 Beamten, Einsatz von Pfefferspray sowie eines Polizeihundes – selbst verursacht wurde.
Öztürkyilmaz erinnerte daran, dass immer wieder Menschen, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation befänden, bei Polizeieinsätzen getötet würden. Besonders häufig betroffen seien dabei Menschen mit dunkler Hautfarbe. Mindestens fünf Personen mit Fluchtgeschichte starben allein in Niedersachsen in den vergangenen vier Jahren im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen.
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