- Politik
- Die Rolle der Hisbollah m Libanon
»Über die Strategie der Hisbollah wird im Iran entschieden«
Der Historiker Makram Rabah kritisiert die Rolle der schiitischen Miliz im Libanon
Herr Rabah, was bedeutet der Tod von Hassan Nasrallah für den Libanon?
Viele Libanesen hoffen auf einen Neustart des seit Jahren festgefahrenen nationalen Dialogs. Aber die politische Elite muss verstehen, dass solche Initiativen nur Erfolg haben können, wenn sie die UN-Resolution 1559 berücksichtigen. Das bedeutet ein Libanon nach der Hisbollah. Aus meiner Sicht kann der Wiederaufbau und die Rückkehr all der unschuldigen Flüchtlinge in ihre Häuser im Süden nur dann geschehen, wenn die libanesische Regierung volle Souveränität über das gesamte Territorium hat. Die internationale Gemeinschaft sollte bedenken, dass all die Zerstörung nur über uns kam, weil es ein Machtvakuum in großen Teilen des Landes gab, in denen Milizen das Sagen hatten.
Makram Rabah lehrt Geschichte und Politik an der Amerikanischen Universität in Beirut. Der auch als Autor und Journalist tätige Libanese ist ein bekannter Kritiker der Hisbollah und der aktuellen politischen Elite im Libanon.
Wird sich die Hisbollah freiwillig aus der vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Pufferzone an der Grenze zu Israel zurückziehen?
Ich glaube, die Frage stellt sich gar nicht mehr. Nach dem Tod der aktuellen Führungselite und der Zerstörung großer Teile der Waffen gibt es keinen Ort mehr, an den sich die Hisbollah zurückziehen kann. Die Entwaffnung aller Milizen, wie in der Resolution 1559 gefordert, ist der nächste Schritt. Dies ist eine militärische und politische Niederlage für die Hisbollah und den Iran. Alles hängt davon ab, ob der Iran sich aus dem Libanon zurückzieht oder nicht. Mit einem Kollaps der Hisbollah ist auch die Expansionsstrategie in der Region am Ende.
Wie sicher fühlen Sie sich seit Beginn des Krieges?
Nicht nur als Kritiker der Hisbollah und der politischen Elite bin ich in Gefahr. Ich fühle mich auch unwohl, weil die Israelis mich in jedem Moment töten könnten – nur weil ich zufällig neben einem Waffendepot der Hisbollah geparkt habe oder neben einem Hisbollah-Funktionär im Supermarkt stehe. Ich versuche, jede Konfrontation in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Denn viele der Flüchtlinge, die aus dem Süden nach Beirut kommen, glauben, Kritiker wie ich seien für ihr Schicksal verantwortlich.
Werden Sie und Ihre Kollegen denn direkt bedroht?
Wer das Vorgehen der Hisbollah öffentlich kritisiert, wird als Zionist abgestempelt. Das kommt einem Todesurteil gleich. Ich lebe mit der Gefahr seit Jahren, aber nun spitzt sich die Lage noch einmal dramatisch zu. Libanons größte Herausforderung ist nicht der Krieg gegen Israel, sondern die völlig in Trümmern liegende politische Landschaft.
Es scheint, dass es außer der Grenze zu Israel eine zweite Frontlinie gibt, nämlich entlang religiöser Gruppen, aber vor allem zwischen Hisbollah-Anhängern und ihren Gegnern.
Die Hisbollah hat in den vergangenen Jahren mit ihrer Milizenkultur die Wirtschaft, allem voran aber den politischen Diskurs zerstört. Ja, langfristig wird der aktuelle Konflikt zu einem innerlibanesischen Problem werden. Ich bin zutiefst alarmiert über die zunehmende Spaltung zwischen den Gruppen.
Man kann wohl davon ausgehen, dass eine Art Pufferzone an der Grenze zu Israel eingerichtet wird: Offen ist, ob das durch eine israelische Bodenoffensive geschieht oder auf diplomatischem Wege anhand der UN-Resolution 1701, die den Rückzug der Hisbollah-Kämpfer hinter den Litani-Fluss vorsieht. Dann werden zehntausende Schiiten wohl nicht mehr in ihre Dörfer zurückkehren können. Was bedeutet das für Beirut?
Es ist wichtig, erst einmal festzuhalten, dass die israelischen Bomben derzeit alle treffen, ungeachtet der religiösen oder politischen Überzeugung. Die Israelis haben in den ersten Vorverhandlungen bereits eine robuste Umsetzung der Resolution 1701 gefordert, das bedeutet, UN-Patrouillen sollen diese mit Waffengewalt durchsetzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bis zum Litani-Fluss unerhörte Zerstörungen sehen werden, dazu eine Flugverbotszone. Das bedeutet die Vertreibung vieler in dem Gebiet lebenden Schiiten. Aber solange es keine systematische Bombardierung der schiitischen Vororte gibt, wird es wohl keine katastrophale Flüchtlingskrise geben. An der syrischen Grenze wird es jedoch Spannungen geben, vergessen sie nicht, wie viele Menschen vor Assad dorthin geflohen sind.
Aus Israel sind Stimmen zu hören, die ganz Libanon für den Raketenbeschuss auf den Norden verantwortlich machen. Da die libanesische Regierung keine Kontrolle über den Süden des Landes habe, sprach Diaspora-Minister Amichai Chikli dem Libanon sogar die Staatlichkeit ab. Wie antworten Sie auf diese Vorwürfe?
Ich dürfte übrigens keinem Israeli direkt antworten, das ist im Libanon gesetzlich verboten. Wir können keinen Widerstand leisten. Die Mehrheit der Libanesen hat gegen die Hisbollah ihre Stimme erhoben. Das Problem an der israelischen Strategie ist, dass sie durch die unverhältnismäßige Gewalt gegen die Hisbollah ihr die Legitimation gibt, die sie aus unserer Sicht lange verloren hatte. Das ist wohl durchaus im Interesse von Hardlinern in Israel wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gwir. Wir wollen ein Ende dieser Gewaltspirale.
Sie haben immer wieder den Libanon als besetztes Land bezeichnet. Demnach handelt die Hisbollah im Sinne Irans. Wer hat im Libanon das Sagen?
Ich behaupte, dass wir vom Iran besetzt sind, und dort wird über die Strategie der Hisbollah entschieden. Seit der Wahl von Michel Aoun zum libanesischen Staatspräsidenten im Jahr 2016 sind wir international isoliert. Den Preis dafür zahlen wir in diesen Tagen.
Wie sehen Sie die diplomatischen Reaktionen auf den laufenden Konflikt?
Die amerikanisch-französische Initiative für einen 21-tägigen Waffenstillstand hatte 16 Stunden Bestand. In Paris ist man noch immer davon überzeugt, dass es einen politischen und militärischen Flügel der Hisbollah gebe, die zu einem Kompromiss im Sinne des Libanon bereit sind. Ich sage aber auch, dass die Hisbollah nicht das Thema ist. Ihre Existenz ist nur die Manifestation des eigentlichen Problems, und das ist der Iran. Teheran benutzt uns genauso wie die Menschen in Gaza für seine Zwecke.
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Welchen Weg aus der Krise sehen Sie?
Die westlichen Diplomaten sollten sich auf Kurztrips nach Beirut mit unserer politischen Elite zu PR-Zwecken ablichten lassen. Sie sollten korrupte libanesische Politiker auf eine Sanktionsliste setzen. Und andere so benennen, was sie sind: Terroristen gegen die eigenen Landsleute. Wem Straftaten nachgewiesen werden können, der sollte auch in Deutschland oder anderen europäischen Ländern vor Gericht stehen. Viele Hisbollah-Kommandeure haben Blut an ihren Händen. Für den Libanon gibt es nur einen Weg aus der Krise: Wahl des Präsidenten, Wahl des Kabinetts, ein gutes Wahlgesetz, eine Justizreform. Erst dann können wir gegen die Hisbollah aufstehen und ihnen klarmachen, dass sie uns nicht umbringen können und wir auch noch applaudieren werden, so wie es jetzt der Fall ist. Der jetzige Zustand muss beendet werden.
Auch die israelische Regierung sieht Teheran in der Verantwortung und wirbt für einen Militärschlag gegen den Iran. Fürchten Sie einen großen regionalen Krieg?
Israel will die direkte Konfrontation mit dem Regime in Teheran. Aber dort ist man klug genug, um auf die Provokationen nicht zu reagieren, ebenso hält sich Baschar Al-Assad zurück. Die Führungen beider Länder haben den Libanon in einen Konflikt geführt und haben sich nun aus dem Staub gemacht. Wir Libanesen zahlen den Preis für die unverantwortliche Politik vieler in der Region.
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