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»Weiß, normal, hetero«: Wenn Neonazis gegen CSDs mobilisieren
Queerfeindlichkeit als Scharnier zwischen extremer Rechter und bürgerlichem Lager
In diesem Sommer und Frühherbst fanden in zahlreichen Städten Deutschlands, sowohl in kleineren als auch in größeren, eine Reihe von Christopher Street Day-Paraden (CSD) statt, darunter mehrere erstmalig in Ostdeutschland. Neonazis nahmen die Prides zum Anlass für Demonstrationen, Aufmärsche und Angriffe: In Bautzen versammelten sich 700 Neonazis, in Magdeburg 400, und in Leipzig setzte die Polizei 300 am Bahnhof fest. In Dresden waren es 90 Neonazis, in Oranienburg um die 40, in Görlitz 460.
Obwohl Homo- und Queerfeindlichkeit im Vordergrund dieser Mobilisierungen steht, verharmlost der Begriff »Gegenproteste« gegen den CSD die tatsächliche Stoßrichtung. Denn Neonazis verfolgen damit eine konsequente Agenda: Die Raumnahme durch reale oder angedrohte Gewalt. Alle, die nicht in ihr rechtes Weltbild und ihre Vorstellung von »Normalität« passen oder passen wollen, sollen sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen. Sowohl Konservative als auch Linke sollten deshalb ernsthaft über die politische Bedeutung von Gender-Themen und die Gefährlichkeit einfacher Freund*innen-Feind*innen-Schemata nachdenken.
Rechte Dominanz im öffentlichen Raum
Die beschriebenen Mobilisierungen des militanten Neonazi-Spektrums erreichen ähnliche Ausmaße wie frühere große Themen der NS-Verherrlichung, etwa das Gedenken an Rudolf Heß oder die Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg. Neben den Freien Kräften beteiligten sich auch Reste der Parteien NPD/Die Heimat, III. Weg, die Freien Sachsen, die neue Struktur der Jungen Nationalisten (JN) mit dem Namen »Elblandrevolte« sowie zahlreiche kleinere lokale Gruppen. Die Teilnehmer*innen traten diszipliniert in nahezu einheitlicher schwarzer Sport- und Szene-Kleidung auf, reisten organisiert in Gruppen an und schienen teilweise kaum volljährig zu sein. Die Mobilisierungen sprechen hauptsächlich Männer aus dem gewaltaffinen neonazistischen Spektrum an, der Frauenanteil dürfte kaum über 10 bis maximal 15 Prozent gelegen haben. Die Mobilisierung des III. Wegs seit 2021 gegen CSDs in Olpe, Weißenfels, Ravensburg, Stuttgart, Reutlingen und jetzt auch Berlin waren kleiner, verliefen aber ähnlich.
Den Neonazis geht es um absolute, gewaltvolle Dominanz über einen (kleinstädtischen) Raum; die Verunmöglichung queerer Sichtbarkeit und Prides ist dabei nur ein Teilziel. Bei vielen Prides kommt es zu Einschüchterungsversuchen und körperlichen Angriffen auf an- oder abreisende queere Menschen. Bei den rechtsextremen Versammlungen in diesem Jahr wurden Regenbogenflaggen verbrannt und Slogans wie »Zünd das an«, »Nazikiez, Nazikiez«, »Antifa Hurensöhne« sowie »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen« skandiert. Das gemeinsame Zeigen des »White Power«-Symbols in möglichst viele Kameras zielt auf kulturelle und politische Hegemonie ab – eine »national befreite Zone«. Wer queer, nicht-weiß oder links ist, soll sich nicht nur am Tag der Pride fürchten müssen, sondern 365 Tage im Jahr.
Während sich Neonazis wenig dafür interessieren, ob eine bürgerliche oder rechte Mitte bei ihren Anti-CSD-Aufzügen auf ihrer Seite ist, sieht die AfD darin Potenzial: Die Junge Alternative Oberlausitz schickte wie im Vorjahr Lennard Scharpe (AfD-Stadtrat in Bautzen), um CSD-Teilnehmer*innen zu belästigen und dies für den Youtube-Kanal der Jugendorganisation festzuhalten. Scharpes Hauptargumente lauteten: Diese Veranstaltung wird mit Steuergeldern finanziert; eine CDU-Stadträtin läuft hier mit der Antifa herum; und es sind Kinder im Demozug, obwohl es um Sexualität gehe – was schamlos sei.
»Insofern ist die Entscheidung der Versammlungsbehörden, Neonazis in Bautzen oder Döbeln ihren Aufmarsch direkt hinter dem CSD zu erlauben, nicht nur ein Sicherheitsrisiko, sondern ein politisches Statement, das skandalisiert werden muss.«
Ambiguitätsreduktionen
Neonazis bezeichneten ihre Mobilisierungen diesen Sommer und Herbst selbst als »Gegendemonstrationen«. Sie brauchten keine eigene inhaltliche Kampagne zu entwickeln, um Teilnehmende verschiedenster Organisationen gegen die CSDs zu versammeln. Sie profitieren dabei von Haltungen, die in großen Teilen der Gesellschaft immer noch verbreitet sind, etwa: »Ich habe ja nichts gegen Schwule, wenn sie das nicht in der Öffentlichkeit machen.« Laut dem »Sachsenmonitor« der Landesregierung in Sachsen finden ein Drittel der dort Ansässigen gleichgeschlechtliche Partnerschaften widernatürlich.
Die massiven Angriffe auf CSDs in der deutschen Provinz können an endlose und oft inhaltsleere antifeministische und transfeindliche Debatten gegen geschlechtergerechte Sprache, Pronomen und Unisex-Toiletten anknüpfen.
Diese Themen sind Teil eines rechten Kulturkampfes geworden und haben sich zu einem Code entwickelt: Ohne genau ausbuchstabieren zu müssen, was damit gemeint ist oder sich über die politischen Konsequenzen eigener Positionen klar sein zu müssen, können Menschen sich anhand der bewährten Spaltungslinie zwischen »woke« oder »normal und vernünftig« einsortieren.
Die Neonazi-Mobilisierungen gegen CSDs ziehen diese Spaltungslinien besonders strikt; nur noch ein »Wir« gegen »die Anderen« bleibt übrig. Bei den jüngsten CSDs in ländlichen Regionen werden Kämpfe verbunden; queerpolitische stehen direkt neben antirassistischen sowie antifaschistischen Positionen. Diese Überschneidung gibt es auch bei den Neonazis: »Weiß, normal, hetero« stand auf dem Fronttransparent der Neonazis in Bautzen und Leipzig – wie schon 2017 bei der JN in Braunschweig.
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Auf der anderen Seite können inzwischen auch Konservative oder FDP-Mitglieder Forderungen nach queeren Rechten unterstützen oder offen homosexuell leben wollen; gleichzeitig haben sie jedoch nichts mit antifaschistischen oder antikapitalistischen Positionen am Hut. Nicht alle queeren Menschen verstehen sich automatisch als politisch handelnde Subjekte, manche wollen ihre Sexualität nicht politisiert wissen. In der Ambiguitätsreduktion von Neonazis sind sie jedoch sämtlich Ausdruck der von ihnen verhassten »links-grün-versifften« Gesellschaft.
Queere Sichtbarkeit und Antifaschismus
Angesichts der extrem rechten Gewaltbereitschaft wird es für queere Menschen immer notwendiger, ihre Veranstaltungen davor zu schützen. In einigen Ländern in Osteuropa haben es die rechtsextremen Mobilisierungen geschafft, dass Behörden CSDs und Prides wegen angeblichen Sicherheitsbedenken verboten haben, nachdem Nazis die Anlässe dafür lieferten. Insofern ist die Entscheidung der Versammlungsbehörden, Neonazis in Bautzen oder Döbeln ihren Aufmarsch direkt hinter dem CSD zu erlauben, nicht nur ein Sicherheitsrisiko, sondern ein politisches Statement, das skandalisiert werden muss.
Die kürzlich ins Leben gerufenen »Pride Soli Rides«, die von Antifaschist*innen aus Großstädten wie Berlin, Leipzig oder Dresden mit gemeinsamen Anreiseplanungen sowie lokalen Informationen und Kontakten organisiert werden, sind erste wichtige Versuche, lokale queere Bewegungen zu unterstützen. Auch Liberale und Konservative, die grundsätzlich queeres Leben und queere Sichtbarkeit akzeptabel finden, können nicht ignorieren, dass diese an vielen Orten nur zusammen mit Antifaschismus gedacht werden können.
Die Massivität der Neonazi-Mobilisierungen diesen Sommer sind medial und politisch viel zu wenig beachtet worden, vielleicht auch, weil eine gesamtgesellschaftliche Stimmung »Gegenproteste« zu CSDs viel zu normal findet. Sie müssen aber als eine Bedrohung aller derjenigen gesehen werden, nicht hinter dem Banner »weiß, normal, hetero« laufen können oder wollen. Rechte Raumnahme korrespondiert mit den Wahlergebnissen in drei ostdeutschen Bundesländern, in denen die meisten Parteien immer noch so tun, als sei das Problem nur eine schwierige Koalitionsbildung.
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