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Belgische Verhältnisse

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen komplizierte Regierungsbildungen an. In Brüssel ist das der Regelfall

  • Jürgen Klute, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Brüssel in diesen Tagen: Werbung für die in zwei Wochen anstehenden Kommunalwahlen
Brüssel in diesen Tagen: Werbung für die in zwei Wochen anstehenden Kommunalwahlen

Die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September 2024 haben keine Überraschungen gebracht: Die AfD ist in allen drei Ländern zu neuer Stärke aufgelaufen. An den Rechtsextremen wird man künftig nicht mehr vorbei können – weder in der praktischen Politik, noch in administrativen oder verfassungsrechtlichen Fragen. Der »Verfassungsblog« hat bereits lange vor solchen Folgen aus den Wahlen gewarnt. Im Sommer 2023 startete er das Thüringen-Projekt. Ziel: Ein klareres Bild von den rechtlichen Möglichkeiten zu bekommen, die die AfD gegebenenfalls nutzen könnte, um Demokratie, Sozial- und Rechtsstaat abzubauen. Teil des Thüringen-Projekt waren auch Vorschläge, wie noch im Vorfeld der Landtagswahlen Versuche der AfD zum Machtmissbrauch verhindert werden könnten.

Auch aus anderen Wissenschaftsbereichen kamen immer wieder Warnungen, dass ein Nachplappern von AfD-Forderungen die Partei stärkt und nicht schwächt. Doch auch wenn die Wahlergebnisse vorhersehbar waren, bleiben sie ein politischer Tiefpunkt. Die gesellschaftliche Linke ist in den drei Landesparlamenten nur noch eingeschränkt repräsentiert. Und die Regierungsbildung stellt die verbliebenen demokratischen Parteien vor neue und schwierige Herausforderungen.

Was für die Bundesrepublik neu ist, prägt die Politik in manchen Nachbarländern schon länger: komplizierte Regierungsbildungen. Ein Beispiel ist Belgien. Seit einigen Jahrzehnten ist Belgien ebenfalls ein föderal strukturierter Staat. Neben der föderalen oder nationalen Ebene gibt es drei Regionen: Flandern, Wallonie und Brüssel, die ebenso wie die drei Sprachgemeinschaften (deutsch, französisch, niederländisch) eigene Parlamente und Regierungen haben – die Region Brüssel ist zudem zweisprachig und in der Regierung und im Parlament müssen beide Sprachgruppen anteilig vertreten sein.

Noch ein Punkt kommt hinzu, der Regierungsbildungen verkompliziert. Abgesehen von der radikalen linken PTB/PVDA treten belgische Parteien nicht landesweit zu den föderalen Wahlen an, sondern auf regionaler Ebene. Die belgische Regierung wird folglich in der Regel durch die jeweils stärksten Parteien aus den Regionen gebildet. Koalitionsverhandlungen können sich über Monate, mitunter länger als ein Jahr hinziehen. Die letzten Wahlen zum föderalen Parlament, zu den Regionalparlamenten und den Parlamenten der Sprachgemeinschaften fanden zeitgleich mit der Europawahl am 9. Juni 2024 statt.

Seitdem verhandeln fünf sehr unterschiedliche Parteien über eine Koalition, die im Parlament eine Mehrheit hinter sich hat: aus dem französischsprachigen Landesteil die Liberalen (MR) und die zentristische Partei »Les Engagés«, aus Flandern die nationalistische und migrationskritische Neu-Flämische Allianz (N-VA), Christdemokraten (CD&V) und die Sozialisten (Vooruit). Diese sich abzeichnende Koalition, die aufgrund der Farben der beteiligten Parteien als Arizona-Koalition bezeichnet wird, ist natürlich auch Folge eines politischen Rechtsrucks, der zwar weniger radikal als in Deutschland und Österreich ist, aber er ist gleichwohl vorhanden.

Im flämischen Landesteil ist der rechtsextreme Vlaams Belang (VB) seit dem 9. Juni zweitstärkste Partei nach der N-VA. Doch seit Beginn der 1990er Jahre gibt es in Belgien eine Brandmauer – den cordon sanitaire –, der besagt, dass es unter keinen Umständen und auf keiner politischen Ebene Koalitionen mit dem VB (ursprünglich Vlaams Block) gibt, weil dessen Positionen mit der belgischen Verfassung nicht vereinbar sind.

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Einige Wochen vor den Wahlen spielte die N-VA jedoch kurzzeitig mit dem Gedanken, eventuell mit dem VB zu koalieren, da er seinerzeit in den Umfragen in Flandern stärkste Partei war. Alle demokratischen Parteien – wie auch die belgischen Medien – haben daraufhin einen so starken politischen Druck auf die N-VA ausgeübt, dass diese öffentlich erklärten musste, auch weiterhin zum cordon sanitaire zu stehen und weder auf föderaler, noch auf regionaler oder auf kommunaler Ebene mit dem VB zu koalieren.

Politische Beobachter in Belgien gehen davon aus, dass diese Erklärung der N-VA dazu beitrug, den VB bei den Wahlen auf Platz zwei zurückzudrängen. Ein weiterer Aspekt war, dass die Medien dem VB keine Bühne geboten haben, sondern sachlich und hinterfragend über den VB berichteten. Immer wieder wurde gefragt, wie denn der VB seine Forderungen konkret umsetzen wolle. Selbstverständlich wurden diese Fragen auch den anderen Parteien gestellt. Auf diese Weise leisteten Medien eine Übersetzung der Wahlkampfforderungen ins Alltagsleben.

Seit Beginn der Koalitionsverhandlungen wird nun über Positionen und denkbare Kompromisse der beteiligten Parteien berichtet. Der VB ist hingegen so gut wie verschwunden aus der Berichterstattung. Lediglich notwendige Informationen werden kurz berichtet.

Belgien kommt im übrigen ohne Parteienverbote aus: Sie widersprächen einer belgischen Auffassung von Demokratie. Allerdings gehört Belgien zu den ältesten und stabilsten Demokratien weltweit – 2030 feiert es sein 200-jähriges Bestehen. Und: Belgien hatte nie eine Diktatur und somit keine Parteien, die die Notwendigkeit eines Verbots erforderlich gemacht hätten.

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