P. Diddy: Gewalttätige Verbrechen als Unterhaltungsware

Nadia Shehadeh meint: Es ist ein Problem, wenn Gewalt nur dann problematisiert wird, wenn sie »unterhaltsam ist«.

Sean «Diddy» Combs
Sean «Diddy» Combs

Mitte September wurde der US-Rapper Sean »P. Diddy« Combs festgenommen. Nun kommen nahezu täglich neue Details seiner kriminellen Machenschaften zutage, aber auch Gerüchte und Verschwörungstheorien. Vorgeworfen werden ihm diverse kriminelle Machenschaften, verschleiert durch seine verschiedenen Unternehmen. Außerdem geht es um Menschenhandel, sexualisierte Gewalt, Drogen und den Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen. Mittlerweile gibt es weit über 100 Personen, die Combs kriminelles Verhalten vorwerfen – und man fühlt sich erinnert an die Ausmaße der Skandale um Harvey Weinstein und Jeffrey Epstein.

Vor allem die berühmten »weißen« Partys, bei denen das Who-is-Who der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie ein uns aus ging und die sich ab gewissen Uhrzeiten in »Sex-Partys«™ verwandelten, sind Gegenstand der Unterhaltungsberichterstattung. Hier soll es zu unzähligen Übergriffen gekommen sein, die auf Videoaufnahmen dokumentiert sein sollen. Dass es diese fragwürdigen Partys – die sogenannten »Freak Offs« – gab, bei denen Combs mit Unterstützung seines Teams wirklich ungute Dinge getan haben muss, ist nun seit fast einem Jahr bekannt. Dafür gesorgt hatte seine ehemalige Lebenspartnerin Cassandra Ventura, die Combs in einer Klage unter anderem vorgeworfen hatte, sie bei diesen Zusammenkünften zu sexualisierten Begegnungen mit anderen Männern gezwungen zu haben. Auch körperliche und sexualisierte Gewalt warf sie ihm vor.

Richtig aufgerüttelt wurde die Unterhaltungsberichterstattung dadurch nicht. Dann tauchte im Mai dieses Jahres ein Video auf, das zeigt, wie Combs in einem Hotelflur auf Ventura einprügelt und einen großen Gegenstand, wahrscheinlich eine Vase, nach ihr wirft. Das sorgte für ein bisschen mehr Aufruhr, der auch irgendwann abklang. Seine Verhaftung Mitte September sorgt nun für einen globale Interessenswelle. Man geht davon aus, dass Combs Fall quasi das #MeToo auch der Musikindustrie ist – und hoffentlich den immer noch weit verbreiteten schäbigen Machenschaften in der Glitzerwelt ein Ende setzt.

Nadia Shehadeh
Bielefeld

Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Zuletzt hat Shehadeh bei Ullstein das Buch »Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« veröffentlicht. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.

E wird aber auch richtig geschwurbelt: Wird mit Combs ganz Hollywood und die US-amerikanische Musikindustrie untergehen? Ist er für den Tod verschiedener Künstler*innen (Aaliyah, Notorious B.I.G., Tupac Shakur) verantwortlich? Ist die US-Schauspielerin Brittany Murphy 2009 doch nicht an einer Lungenentzündung gestorben, sondern mit Rattengift vergiftet worden – weil sie mit Ashton Kutcher ausging, der ein enger Vertrauter von Combs war? War Combs am Ende ein CIA-Agent, der irgendetwas »wusste« und jetzt dafür hochgenommen werden musste? Es wird vor sich hingerätselt – auch, weil man wie immernur spekulieren kann, was »wirklich« passiert ist. Hinzu kommen Fake-Bilder (zum Beispiel eins mit Kamala Harris, das auch Donald Trump zu Wahlkampfzwecken verbreitete) und ein KI-generierter Justin-Bieber-Song, der bereits im April dieses Jahres auftauchte und in dem eine Fake-Bieber-Stimme ein P. Diddy-Trauma besingt.

Jetzt, da Verschwörungstheorie auf Verschwörungstheorie folgt, wird die Causa Combs auf einmal wirklich interessant für die Öffentlichkeit. Gut, der Rapper sitzt abgestempelt im Knast – und kommt nicht mal auf Kaution frei. Dabei hat sein Anwaltsteam so einiges versucht: Ein Kautionsangebot in Höhe von 50 Millionen, dazu eine GPS-Überwachung und strenge Besucherbeschränkungen. Außerdem wollte Combs das Eigenkapital des Hauses seiner Mutter und die Pässe seiner Töchter (sein eigener wurde ihm bereits im April weggenommen) als Sicherheiten hinterlegen, um wieder auf freien Fuß zu kommen. Der zuständige US-Bezirksrichter lehnte ab. Zu groß sei die Gefahr, dass potenzielle Zeug*innen – wie anscheinend auch schon in der Vergangenheit – wieder von Combs oder seinem Umfeld eingeschüchtert würden.

So schnell kann sich das Blatt wenden. Vor November 2023 sah es noch ganz anders aus im Fall Combs. Es roch kurzzeitig nach großem Comeback. Vergangenes Jahr um diese Zeit hatte Combs gerade sein fünftes Studioalbum veröffentlicht: »The Love Album: Off The Grid«. Ein großes Ding, bei dem er von Justin Bieber über Kehlani bis Mary J. Blidge und The Weeknd große Namen an Bord hatte. Es folgte auf eine Zeit des vermeintlichen Wandels in Combs Leben. Ab 2021 verkündete er – unter anderem in einem ausufernden »Vanity Fair«-Porträt, das sich heute verdächtig liest –, dass er aus den Fehlern seines Lebens gelernt habe und sich nun voll und ganz der »Love« verschrieben habe. So sehr, dass er sich sogar von P. Diddy in »Love« umbenannte. In jenem Porträt gibt er sich von der #MeToo-Ära inspiriert – wahrscheinlich auch, weil ihm dämmerte, dass ihn seine eigene Vergangenheit selbst jederzeit einholen könnte. Aber das ist nur meine eigene kleine Verschwörungstheorie.

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Combs galt bis Herbst letzten Jahres als einer, der es aus dem Nichts geschafft hatte, Jahrzehnte lang ein Musikimperium aufzubauen. Und der trotzdem auch irgendwie ein »Bad Boy for Life« war, den er selbst besungen und nachdem er seine Firma benannt hat. Hier und da ein paar Schießereien und Auseinandersetzungen und alle paar Jahre die Beschwerden von Frauen, die berichteten, dass Combs ihnen gegenüber gewalttätig oder aber zumindest sexuell übergriffig geworden ist. Doch alle Vorwürfe versandeten. Noch 2023 tanzte er bei den »Video Music Awards« zu seinem großen Hit »I´ll be missing you« mit seinen Töchtern auf der Bühne. 2022 nahm er einen »Lifetime Achievement Award« entgegen. Alles schien paletti. Doch die Zivilklage wegen sexualisierter und körperlicher Gewalt von Ventura besiegelte seinen Untergang. Und das, obwohl sich Combs innerhalb von 24 Stunden direkt zu einem Vergleich mit Ventura entschloss. Er musste wohl schon öfter darüber nachgedacht haben, was ihm blühen könnte, wenn allzu Privates an die Öffentlichkeit gelangten. Geld regelte. Aber nur noch ein Mal.

In den sozialen Medien präsentierte sich Combs seither als Family-Man. Sein Instagram-Account: leergefegt, bis auf ein paar Fotos von seinen Töchtern. Ansonsten aber hat Combs sich wohl darauf verlassen, dass ein fragwürdiger Lebensstil und gewaltsame Übergriffigkeiten als Accessoires eines elitären Musikstar-Lebens von Öffentlichkeit und Umfeld bei entsprechenden Vorkehrungen und Inszenierungen abgenickt werden – schließlich hatte es ja jahrzehntelang wunderbar funktioniert. Und auch Fans drückten die Augen zu. »Ich finde es komisch, dass ihm vorgeworfen wird, dass er Frauen zu seinen Partys eingeflogen hat.« So lautete zum Beispiel der O-Ton eines TikTokers, der sich Gedanken zum P. Diddy-Fall machte. »Er ist P. Diddy, er ist reich. Sollte er den Frauen sagen: ›Nimm einen Bus und komm zu meiner Party‹?«

Klar, es wurde unterschätzt, wieviel organisierte, strukturelle und auch sexualisierte Ausbeutung in gewissen elitären Kreisen existiert. Aber gleichzeitig scheint es sehr viele Menschen nicht zu verwundern, dass in den Upperclass-Unterhaltungskreisen sehr »merkwürdig« gefeiert wurde – und dass dabei sicherlich nicht alle Beteiligten Spaß hatten.

Dennoch wird in der öffentlichen Diskussion um Combs Machenschaften mal wieder klar: Klatsch, Spekulationen und Gerüchte sind für viele Menschen oft nicht mehr von offiziellen Nachrichten zu unterscheiden. Eins der meistverkauften Bücher der vergangenen Wochen war auf Amazon zum Beispiel eine Publikation, die angeblich aus Notizen und Erinnerungen von Combs ehemaliger Partnerin Kim Porter entstanden ist. Porter selbst ist 2018 verstorben – und ihr Tod mittlerweile ebenfalls Teil von Verschwörungserzählungen. Porters Familie dementiert den Wahrheitsgehalt der Memoiren. Der Mann, der sie veröffentlichte, behauptet, er habe Porters Aufzeichnungen auf einem USB-Stick erhalten. Es geht also langsam nicht mehr nur um den Skandal, sondern auch um die Skandalverarbeitung.

Natürlich ist es ein parasoziales Bedürfnis, Fantasien über Prominente zu spinnen. Internet und Social Media haben dieses Bedürfnis verstärkt. Und gleichzeitig haben vorangegangene, ähnlich gelagerte Kriminalfälle gezeigt: Manchmal ist das, was erst ein Gerücht ist, irgendwann doch ein bewiesener Sachverhalt. Die Missbrauchvorwürfe, die R. Kelly gemacht wurden, galten jahrelang auch nur als »Gerüchte« oder Verschwörungserzählungen – bis sich viele seiner bizarren und kriminellen Machenschaften als tatsächliche Sachverhalte erwiesen.

Das Fazit dieser bisherigen Promi-Skandale ist: Man kann nicht alles glauben, was im Internet steht. Und gleichzeitig kann man nicht alles abtun. Was man gleichzeitig problematisieren muss: wenn Verschwörungsinhalte zur Entertainment-Ware werden, die dafür sorgen, dass das eigentliche Leid von Betroffenen immer mehr in den Hintergrund rückt. Wenn (sexualisierte und körperliche) Gewalt nämlich vor allem nur dann problematisiert und behandelt wird, wenn sie »unterhaltsam ist« – dann haben wir noch mehr Probleme, als wir denken.

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