- Politik
- Wandel in Bangladesch
Große Erwartungen an Yunus
Friedensnobelpreisträger soll Bangladesch einen politischen Neuanfang ermöglichen
Der 84-jährige Friedensnobelpreisträger hatte in den USA ein strammes Programm: Nicht nur hielt Muhammad Yunus wie die anderen Staats- und Regierungschefs in New York eine Rede vor der Ende September tagenden UN-Generalversammlung. Auch am Rande des Aufenthaltes des Chefs der Übergangsregierung von Bangladesch jagte ein Termin den anderen.
Viel Prominenz traf sich mit Yunus, der Anfang August nach studentisch angeführten Massenprotesten und dem Sturz von Langzeit-Regierungschefin Sheikh Hasina als »Chefberater« vereidigt worden war. Der Gründer der Grameen Bank und Pionier der Mikrokredite ist international bestens vernetzt. Zu Yunus’ Gesprächspartnern gehörte US-Außenminister Anthony Blinken ebenso wie dessen scheidender Chef. Präsident Joe Biden sicherte Bangladeschs Übergangsregierung Unterstützung für den anlaufenden Reformprozess zu.
USA will Einfluss in Südasien zurückgewinnen
Tatsächlich ist den USA sehr daran gelegen, eine engere Beziehung zu Bangladesch aufzubauen. Es ist aus ihrer Sicht eine Chance, verlorenen Einfluss in Südasien zurückzugewinnen. Den hat man bei traditionellen Partnern wie Pakistan und Indien teilweise eingebüßt, und zu Bangladesch unter Hasina war das bilaterale Verhältnis zuletzt eher angespannt: Die Premierministerin hatte den USA vorgeworfen, sie wegen der Überlassung eines strategisch wichtigen Eilands im Golf von Bengalen als Marinebasis unter immensen Druck gesetzt zu haben. Für die These, die USA wären auch in ihren Sturz verwickelt gewesen, gibt es bislang keine konkreten Anhaltspunkte.
Auffällig ist, wie sehr Washington Bangladesch nun als Partner umwirbt. Bereits vor Yunus‘ Abreise nach New York hatte eine hochrangige US-Delegation Dhaka besucht. Die Entwicklungsagentur USAID, die als verlängerter Arm des State Department betrachtet werden kann, sagte eine deutliche Ausweitung von Beihilfen für diverse Projekte zu.
Den USA ist sehr daran gelegen, eine engere Beziehung zu Bangladesch aufzubauen.
Am Rande der UN-Tagung konnte Yunus nun an diese Vorgespräche anknüpfen, auch bei seinen Begegnungen mit Vertretern von Weltbank, IWF und anderen Institutionen. Die scheinen grundsätzlich bereit, Bangladesch mit frischen Finanzspritzen unter die Arme zu greifen – konkret ist aber bisher noch nichts in die Wege geleitet. Wichtig war diesen Kreisen das Bekenntnis des Interims-Premiers, nicht nur für die Sicherung grundlegender Menschen- und allgemeiner Bürgerrechte einzutreten, sondern auch gegen die während Hasinas 15-jähriger Herrschaft ausgeuferte Korruption vorgehen zu wollen.
In diesem Zusammenhang ist auch ein Gespräch am vergangenen Dienstag zwischen Vertretern der nationalen Antikorruptionskommission (ACC) und der EU-Mission in Dhaka zu sehen. Bangladesch zielt auf die Rückholung jener geschätzt 100 Milliarden Dollar, die auf dunklen Kanälen ins Ausland transferiert worden sein sollen.
Armee lässt eineinhalb Jahre Zeit bis zu Neuwahlen
Die Armeeführung, die Hasina schließlich fallen ließ, hat der Übergangsregierung eine Frist von eineinhalb Jahren eingeräumt, bis spätestens Neuwahlen stattfinden sollen. Das verschafft Yunus und weiteren »Beratern« im Ministerrang sowie sechs Kommissionen zur Reformierung von Polizei, Justiz, Wahlrecht, Verwaltung, der ACC und der Verfassung etwas Luft. Die rechtskonservative Opposition unter Führung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) hingegen fordert frühere Wahlen und ist gegen Verfassungsänderungen, sofern diese nicht ein neues Parlament absegnet.
Bei einem Treffen mit Menschenrechtsgruppen in New York forderte Agnes Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, laut »Dhaka Tribune« von Yunus »eine machtvolle Botschaft, dass dies tatsächlich ein neues Bangladesch ist«. Gefordert wird unter anderem die Untersuchung von bis zu 3000 extralegalen Tötungen, die der Hasina-Regierung zur Last gelegt werden.
Morgenluft wittern in Bangladesch aber auch reaktionäre Kreise, die unter Hasina an den Rand gedrängt wurden. Das betrifft nicht nur die BNP, die sich Hoffnungen macht, die nächste reguläre Regierung stellen zu können, sondern auch die Islamisten der mit ihr verbündeten Jamaat-e-Islami.
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