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Migration: Kanaren wollen Betreuungspflicht aussetzen
Solidarische Umverteilung von Minderjährigen kommt in Spanien nicht voran
Der Weg über den Atlantik ist gefährlicher als der über das Mittelmeer, um von Afrika nach Europa zu kommen. Doch die starke Abschottung durch Abkommen mit Marokko an der Meerenge von Gibraltar und die hohen Grenzzäune um die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta haben dazu geführt, dass Flüchtlinge und Einwanderer verstärkt die gefährlichere Route auf die Kanarischen Inseln versuchen.
Bis Ende September wurden gut 30 000 Menschen gezählt, die die Inseln erreicht haben. Die Zahl der Ankömmlinge liegt zwar noch unter dem Vorjahresrekord, als gut 39 000 die Überfahrt aus Marokko, Mauretanien, dem Senegal oder Gambia überlebten. Sie ist aber höher als im Vorjahreszeitraum. Im Herbst sind die Bedingungen auf dem Atlantik für die tagelange Fahrt besser. Der kanarische Regionalpräsident Fernando Clavijo hatte deshalb schon im Sommer die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Eingreifen aufgefordert. »Dies ist nicht nur ein Problem der Kanaren«, meint Clavijo auch mit Blick auf das spanische Festland. »Wir sind am Rande des Abgrunds«, erklärt der rechte Politiker der »Kanarischen Koalition« (CC). Clavijo ist abhängig von der rechten spanischen Volkspartei (PP), die ihn mit ihren Stimmen auf den Kanaren gegen den sozialdemokratischen Wahlsieger zum Regierungschef gemacht hat.
Die Rechte will Sánchez stürzen
Die PP hat das Ziel, in Madrid den sozialdemokratischen Regierungschef Pedro Sánchez zu stürzen, und da kommt ihr die Migrationsfrage zupass. Der PP-Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo lobt die Politik der rechtsextremen Giorgia Meloni in Italien. Die italienische Ministerpräsidentin habe das Problem »besser gemanagt«. Er macht klar, dass er auf absolute Abschottung setzt.
Die PP spitzt die Debatte seit geraumer Zeit vor allem auf unbegleitete Minderjährige zu und trägt damit den Konflikt auf dem Rücken der verletzlichsten Gruppe aus. Minderjährige sind laut den spanischen Gesetzen besonders zu betreuen, und deren Zahl wächst zusehends auf den Urlaubsinseln. Schon im Juli befanden sich etwa 6000 unbegleitete junge Menschen auf den Kanaren und die Zahl stieg seither fast täglich an. Es ist die Pflicht der Ankunftsregion, sich um ihre Betreuung zu kümmern. Da die Kanaren damit überlastet sind, fordert Clavijo eine Umverteilung auf andere Autonome Gemeinschaften auf dem Festland. In dieser Frage bewegt sich aber nichts, weil sich die PP von Feijóo genauso verweigert wie die rechtsextreme Vox-Partei.
Solidarische Umverteilung von Minderjährigen steht aus
Die PP hat am Wochenende nun alle Gespräche mit den Sozialdemokraten (PSOE) über die Umverteilung von Minderjährigen abgebrochen. Statt aber mit der PP wegen der Verweigerungshaltung zu brechen, versuchte die Regionalregierung, die Betreuung von Minderjährigen auszusetzen, um den Handlungsdruck auf Madrid zu erhöhen. Dabei erleiden Clavijo und sein PP-Partner bisher juristisch Schiffbruch. Schon der Oberste Gerichtshof auf den Kanaren hatte das entsprechende Protokoll der Regionalregierung für rechtswidrig erklärt. Dem folgte auch das spanische Verfassungsgericht, das einem Einspruch der Zentralregierung einstimmig stattgab. Der Gerichtshof erklärt, mehrere Grundrechte würden verletzt. Schon der Oberste Gerichtshof der Kanaren hatte festgestellt: »Es gibt keine eindeutigere Situation eines Minderjährigen in Not als die eines unbegleiteten ausländischen Minderjährigen.« Die Betreuungspflicht auszusetzen, könnte auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Die Regionalregierung und die Beamten könnten sich des Straftatbestandes der Vernachlässigung schuldig machen. Darauf hatte auch die Staatsanwaltschaft schon hingewiesen. Man dürfe Kinder nicht einfach sich selbst überlassen. Zur Betreuung gehöre auch eine »individuelle Unterbringung« und die »Anhörung des Minderjährigen in Anwesenheit eines Dolmetschers«. Die Kanaren bleiben in der Pflicht, Spanien aber auch.
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