- Politik
- Jubiläum der friedlichen Revolution in Leipzig
35 Jahre friedliche Revolution: Zurückblicken, nach vorne
In Leipzig fanden am Mittwoch Feierlichkeiten zum 35. Jahrestag der friedlichen Revolution statt
Der 9. Oktober hat es schwer, umstellt – ja, überragt wird er – von Giganten. Keine Woche zuvor wird mit dem Tag der Deutschen Einheit der größte nationale Feiertag begangen. Und wenig später türmt sich hinter ihm der »Schicksalstag« der deutschen Geschichte auf, jener 9. November, an dem unter anderem die Mauer fiel.
Trotzdem sind die Zeiten längst vorbei, zu denen das Gedenken an diesen Tag eine rein sächsische, geschweige den Leipziger Angelegenheit war. Schließlich markiert die Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989, vor genau 35 Jahren, mit 70000 Teilnehmenden jenen Tag, an dem die friedliche Revolution nicht mehr aufzuhalten war.
Über 15 Jahre alt sind inzwischen auch die Diskussionen über ein »Einheits- und Freiheitsdenkmal« in Leipzig. Vor dem 35. Jahrestag der friedlichen Revolution wurde der Sieger des künstlerischen Wettbewerbs dafür bekanntgegeben. Ein »Dialogdenkmal« ist es geworden; weiße Fahnen, die eigenmächtig beschriftet werden können. Schon im nächsten Jahr soll der Gewinnerentwurf »Banner, Fahnen, Transparente« am Wilhelm-Leuschner-Platz zu sehen – und zu beschriften – sein.
Alle 32 Entwürfe für das geplante Denkmal werden seit Mittwoch in der Aula und Universitätskirche St. Pauli präsentiert. Während der Eröffnungszeremonie ergriff auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck das Wort. Er bezeichnete den 9. Oktober 1989 in Leipzig als »eine große Stunde in der deutschen Politikgeschichte«. Leipzig sei ein Motor gewesen, der schließlich zum Fall der Mauer führte, so Gauck. »Da waren Menschen, die ihre Ängste überwunden haben.«
Den großen Festakt im Gewandhaus eröffnete Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Er erinnerte an das »Wunder von Leipzig«, denn warum es zu keiner Gewalt des Staates kam, sei noch immer nicht vollständig verstanden. Heutzutage müsse es darum gehen, die »Erinnerung nicht in die Vitrine zu stellen«, sondern sie »lebendig und sinnvoll weiterzugeben« und »mit ihr in neue Zeiten zu gehen«.
»Wir spürten, es ist geschafft. Die SED hat kapituliert«
Marianne Birthler
Bürgerrechtlerin und Politikerin
In der Festrede schilderte die Bürgerrechtlerin und Grünen-Politikerin Marianne Birthler die Tragweite der Ereignisse in Leipzig. Eine Welle der Hoffnung schwappte bis nach Berlin, wo sie aktiv war. »Wir spürten, es ist geschafft. Die SED hat kapituliert«, so Birthler. Doch sie mahnte auch, an all jene zu denken, die den Kampf um ihre Freiheit gerade führen, und erinnerte exemplarisch an die politischen Gefangenen in Belarus.
Den Satz »Wir sind das Volk«, der am Abend des 9. Oktober 1989 »fast ohrenbetäubend in den Himmel über Leipzig aufstieg«, machte Bundeskanzler Olaf Scholz zum Thema seiner Rede zur Demokratie. Es sei eine Botschaft der Zuversicht gewesen, mit der die mutigen Bürgerinnen und Bürger Leipzigs die Welt veränderten. Mut habe es bedurft, weil Polizisten und Material nach Leipzig transportiert wurden, um die Aufstände gewaltvoll niederzuschlagen. Nur wenige Monate zuvor, im Juni 1989, fand das Tian’anmen-Massaker statt – und auch in Deutschland stand die »chinesische Lösung« im Raum. Umso unerträglicher sei es, wenn heutzutage Populistinnen und Demokratiefeinde den Ausruf »Wir sind das Volk« missbrauchten. »Sie sagen: ›Wir‹ und meinen ›Ihr nicht‹, sie sagen ›Volk‹ und meinen ›Rasse‹«, so der Kanzler. »Was für ein Hohn.«
»Die mutigen Bürgerinnen und Bürger Leipzigs haben die Welt verändert«
Olaf Scholz Bundeskanzler
Der 9. Oktober, er hat es schwer zwischen dem Tag der Deutschen Einheit und Mauerfall. In seiner historischen Bedeutung ist er jedenfalls nicht zu unterschätzen. »Ohne den 9. Oktober hätte es auch den 9. November nicht gegeben«, ist Rainer Vor, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Friedliche Revolution überzeugt. »Am 9. Oktober war das Volk auf der Straße und hat sich für Demokratie und Menschenrechte stark gemacht und letztlich damit das DDR-System zum Einsturz gebracht«, so Vor. Seine Schlussfolgerung: »Deshalb wäre der 9. Oktober der bessere Nationalfeiertag.«
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