Verdi macht Boden gut

Offensive Forderungen für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst empören Kommunen

  • Daniel Behruzi
  • Lesedauer: 4 Min.
Ulrich Silberbach (li) und Frank Werneke, die Vorsitzenden des Beamtenbunds und von Verdi
Ulrich Silberbach (li) und Frank Werneke, die Vorsitzenden des Beamtenbunds und von Verdi

Die Gewerkschaften Verdi, GEW, GdP und IG BAU sowie der Deutsche Beamtenbund gehen mit einer vergleichsweise offensiven Forderung in die im Januar 2025 beginnende Tarifrunde für den öffentlichen Dienst: Acht Prozent, mindestens aber monatlich 350 Euro mehr sollen die rund 2,5 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen innerhalb eines Jahres mehr in der Tasche haben. Zudem sollen sie laut dem am Mittwochnachmittag von der Verdi-Bundestarifkommission gefällten Beschluss zwischen Entgelt und Arbeitszeit wählen können und drei zusätzliche freie Tage erhalten, Gewerkschaftsmitglieder vier. Bei der Ausbildungsvergütung wird ein Plus von 200 Euro monatlich verlangt.

Schon die ersten Reaktionen der kommunalen Arbeitgeber zeigen: Das durchzusetzen, wird eine harte Auseinandersetzung erfordern. Zumal Verdi und Co. erneut über den Forderungen der Industriegewerkschaften liegen. Die IG Metall – in der Vergangenheit zumeist Vorreiter bei der Tarifentwicklung – verhandelt seit September über sieben Prozent mehr Geld. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) beziffert die Gewerkschaftsforderungen für den öffentlichen Dienst inklusive der zusätzlichen freien Tage auf insgesamt 10,86 Prozent. Die Zusatzkosten beliefen sich nach ihrer Rechnung auf 14,88 Milliarden Euro. Wenig überraschend erklärte VKA-Präsidentin Karin Welge (SPD), diese Ausgaben seien »nicht zu stemmen« und passten »nicht in diese Zeit«.

Besonders aufgebracht gibt sich Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin darüber, dass Verdi »erneut überproportionale Steigerungen für die unteren und mittleren Entgeltgruppen« durchsetzen will. In der Tat würde der monatliche Mindestbetrag von 350 Euro bis hinauf in die Entgeltgruppe 9 wirken und so über zwei Drittel der Beschäftigten besserstellen als eine Erhöhung um acht Prozent. Allerdings sollen diese nur »im Volumen« erreicht werden. Das heißt: Die ebenfalls geforderte Erhöhung diverser Zuschläge würde eingerechnet. Die 350-Euro-Forderung dürfte dennoch mobilisierend wirken, wenn man die Erfahrungen aus der Tarifrunde 2023 zugrunde legt, als Verdi wegen der hohen Inflation 500 Euro mehr forderte. Und sie bewirkt, dass die Schere zwischen oberen und unteren Entgeltgruppen nicht noch weiter auseinandergeht – wenn sie sich am Ende auch im Ergebnis wiederfindet.

»In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst geht es insbesondere darum, die Kaufkraft und damit die Binnennachfrage zu stärken.«

Frank Werneke Verdi-Vorsitzender

Eher gering ausgefallen ist die zuvor intensiv diskutierte Frage der Arbeitszeitverkürzung. Hier hatte eine Verdi-Befragung, an der sich im Frühjahr über 260 000 Beschäftigte beteiligten, recht unterschiedliche Bedürfnisse offenbart. Die drei zusätzlichen freien Tage sollen nun dem Ausgleich der Arbeitsverdichtung dienen, die Beschäftigten überall im öffentlichen Dienst zusetzt. VKA-Chefin Welge kritisierte auch dies heftig: Wenn Erzieherinnen, Pflegekräfte und andere mehr Freizeit hätten, müssten Kitas und Krankenhausstationen häufiger geschlossen sowie der Bürgerservice eingeschränkt werden. »Die Leidtragenden sind die Bürgerinnen und Bürger«, behauptete die SPD-Politikerin.

Dieses Argument kann man allerdings auch umkehren: Schon jetzt müssen Öffnungszeiten in Kitas oft reduziert, können Patient*innen im Krankenhaus nicht angemessen versorgt werden – weil Beschäftigte durch die hohe Arbeitsbelastung krank werden oder ihren Beruf ganz aufgeben. Die Antwort der Gewerkschaften darauf: mehr freie Zeit zur Erholung. Und: bessere Bezahlung, die den öffentlichen Dienst für Arbeitskräfte attraktiver macht.

Bei der Entlohnung hat Verdi mit konfliktorientierten Tarifrunden zuletzt einiges an Boden gut gemacht – speziell im Sozial- und Erziehungsdienst sowie in der Pflege, wo besondere Zulagen vereinbart wurden. Diese und die regulären Tariferhöhungen führen dazu, dass die Gehälter von Erzieher*innen und Pflegekräften seit 2018 zwischen 28 und 32 Prozent gestiegen sind – deutlich stärker als in anderen Branchen. Dennoch sei die Entgeltlücke zur Privatwirtschaft noch nicht geschlossen, die extremen Preissteigerungen der vergangenen Jahre nicht vollends ausgeglichen, so die Gewerkschaften.

Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke argumentiert zudem ökonomisch: »In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst geht es – wie in allen bevorstehenden Tarifrunden – insbesondere darum, die Kaufkraft und damit die Binnennachfrage zu stärken«, betonte er. »Das ist wichtig für das Wirtschaftswachstum in Deutschland.« Deutliche Lohnerhöhungen seien auch nötig, um im Wettbewerb um Arbeitskräfte mithalten zu können. »Die Beschäftigten von Bund, Kommunen und kommunalen Unternehmen spüren immer stärker die Folgen von unbesetzten Stellen und Personalknappheit«, sagte Werneke. »Daher muss alles getan werden, um den öffentlichen Dienst wieder attraktiver zu machen.«

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