Fernwärmenetz in Berlin: Bezahlbare Heizkosten

Berlin hat sein Fernwärmenetz zurück. Betrieb und Umweltverbände sind geteilter Meinung über den richtigen Weg zur Klimaneutralität

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Rückübernahme in Staatseigentum vollzogen: Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) schraubt am 3. Mai an einem Schild am Heizkraftwerk in Berlin-Mitte.
Rückübernahme in Staatseigentum vollzogen: Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) schraubt am 3. Mai an einem Schild am Heizkraftwerk in Berlin-Mitte.

Die Berliner Energie und Wärme AG (BEW) setzt bei der Dekarbonisierung des Fernwärmenetzes auf Wasserstoff und Biomasse. Die Umweltverbände verweisen auf das Potenzial der Geothermie. Einig ist man sich in einem Punkt: Die Verbraucher*innen sollen nicht dafür bezahlen.

Seit Anfang Mai ist das Land Berlin wieder Eigentümer des Fernwärmenetzes der Hauptstadt. 162 Tage seien es, um genau zu sein, korrigiert Neelke Wagner den Titel der Podiumsdiskussion, die sie am Donnerstagabend moderiert. Der lautet nämlich: »100 Tage Rekommunalisierung der Fernwärme Berlin – Erste Bilanz und Zukunftsperspektiven.« Wagner ist Referentin für Klima- und Ressourcengerechtigkeit bei Powershift, einem Verein für sozial-ökologische Wirtschaft. Er hat die Veranstaltung gemeinsam mit Bürgerbegehren Klimaschutz und dem Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) ausgerichtet. Mehr als 50 Menschen quetschen sich dafür in einen kleinen Raum der Kurt-Tucholsky-Bibliothek im Ortsteil Prenzlauer Berg.

Mit der Rekommunalisierung sind allerdings auch diverse Interessen und Erwartungen verbunden. Zunächst »sollte die Fernwärme ein Instrument für den Klimaschutz sein, ist es allerdings noch nicht, da sie derzeit für ein Zehntel der Treibhausgasemissionen Berlins verantwortlich ist«, erklärt Wagner. Außerdem müsse das neue Landesunternehmen, die Energie und Wärme AG, dafür Sorge tragen, dass die Heizkosten für alle bezahlbar bleiben.

Susanne Huneke von der BEW weiß, dass große Erwartungen auf ihrer inzwischen 2000-köpfigen Belegschaft lasten. Huneke erinnert daran, dass 1800 der Mitarbeitenden schon beim vorherigen Eigentümer des Wärmenetzes, dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall, gearbeitet hätten und genau wie die zehn Heizkraftwerke und 2000 Kilometer Leitungsnetz »verkauft« worden seien. Die meisten hätten sich zwar durchaus bewusst dafür entschieden, bei der BEW zu bleiben. Trotzdem seien die zurückliegenden zwei Jahre, in denen über den Verkauf verhandelt wurde, »keine ganz einfache Zeit« gewesen.

20 Jahre hat die BEW laut Bundesklimaschutzgesetz nun Zeit, um das Netz zu dekarbonisieren, also dafür zu sorgen, dass die Wärme klimaneutral und nicht wie derzeit zu 90 Prozent durch die Verbrennung von Kohle und Gas erzeugt wird.

»Eine Refinanzierung der Wärme durch die Verbraucher geht gar nicht.«

Michael Efler
Bürgerbegehren Klimaschutz

In Hamburg ist man schon etwas weiter. 2013 stimmte die Mehrheit der Bürger*innen in einem Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze der Hansestadt ab. Darauf folgte »ein harter politischer Kampf, weil der Preis recht hoch war«, berichtet Wiebke Hansen, Energiereferentin des Hamburger BUND-Landesverbands. Doch es habe sich gelohnt: So könne die landeseigene Stromnetz Hamburg GmbH, im Gegensatz zu einem Konzern wie Vattenfall, »Projekte mit einem Riesen-Klimavorteil machen«, selbst wenn noch nicht klar sei, wie wirtschaftlich das sei. Deshalb rät Hansen den Berliner*innen, die Rekommunalisierung weiter gegen Kritik zu verteidigen, die auch aus der Umwelt- und Klimabewegung kommt.

In Berlin missbilligten Gruppen wie die Grüne Jugend und Gasexit vor allem den hohen Kaufpreis von 1,4 Milliarden Euro, den die fossile, transformierungsbedürftige Infrastruktur nicht wert sei. Verbände wie BUND, Naturschutzbund und Robin Wood kritisierten den noch von Vattenfall vorgelegten Dekarbonisierungsfahrplan, der eine massive Ausweitung der Holzverbrennung vorsieht – von bislang einem Prozent auf zukünftig 17 Prozent aller eingesetzten Energieträger. Dadurch müssten jährlich bis zu 480 000 Tonnen Holz verbrannt werden. »Dabei ist es jetzt schon so viel, dass man es nicht mehr regional und nachhaltig einsammeln kann«, sagt Michael Efler, Vorstand von Bürgerbegehren Klimaschutz.

Grundsätzlich freue er sich über den Rückkauf des Wärmenetzes, doch mit dem Dekarbonisierungsfahrplan sei auch er nicht einverstanden, erklärt Efler. Neben der Holzverbrennung hält er den Anteil von 20 bis 40 Prozent für »problematisch«, der grünem Wasserstoff an der zukünftigen Wärmeversorgung zugeschrieben wird. Erstens gebe es voraussichtlich zu wenig grünen Wasserstoff und dieser werde vor allem für die Industrie gebraucht, die nicht anders transformiert werden könne. Zweitens seien Wärmepumpen sechs bis zehn Mal effizienter als Wasserstoff. Efler warnt vor hohen Kosten und vor einem Lock-in-Effekt: Wenn Gaskraftwerke auf Wasserstoff umgerüstet werden, davon dann aber nicht ausreichend verfügbar ist, werde vermutlich weiterhin klimaschädliches Gas genutzt, weil in dieses Netz nun einmal gerade erst investiert wurde.

Huneke erwidert, dass sie zu grünem Wasserstoff gar keine Alternative sehe. Für das Auftreten von Dunkelflauten, in denen weder Solarenergie noch Windkraft verfügbar ist, brauche es den Wasserstoff ohnehin als Back-up. Aber diese Frage sei aktuell gar nicht die dringlichste, sagt Huneke und lenkt die Debatte auf das kohlebetriebene Kraftwerk Reuter West, das durch Biomasse dekarbonisiert werden soll – konkret durch Holzverbrennung.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Das gehe aber auch nur deswegen, weil die Verbrennung von Biomasse von der EU als CO2-frei definiert wurde, sagt Hansen. Theoretisch wird dabei nämlich lediglich so viel CO2 freigesetzt, wie die Pflanzen vorher aufgenommen haben. Praktisch funktioniert das aber nur dann, wenn gleichzeitig so viel Holz nachwächst, wie verbrannt wird. In den Dimensionen, mit denen zurzeit geplant wird, ist Biomasse also nicht wirklich klimaneutral. Die hohe Nachfrage verstärke den Druck auf die Wälder, vor allem in Osteuropa, und habe zusätzliche Emissionen durch den Transport des Holzes zur Folge, erklärt Hansen. Sie berichtet aus Hamburg, dass das Heizkraftwerk Tiefstack so umgerüstet werden soll, dass dort je nach Verfügbarkeit entweder Erdgas oder Holzpellets verbrannt werden können – beides also keine echten klimaneutralen Alternativen. »Wir sollten Großwärmepumpen rankriegen«, findet sie.

Efler schlägt außerdem vor, der Geothermie einen höheren Stellenwert zuzuweisen. Im Fahrplan von Vattenfall und jetzt BEW wird der Nutzung von Erdwärme nur ein Anteil von sieben Prozent zuerkannt. In Potsdam seien es 60 Prozent und so sehr unterscheide sich der Untergrund zwischen den beiden Nachbarstädten nicht. Laut einer Studie der Investitionsbank Berlin könnten – bei Investitionen von 4,3 Milliarden Euro – etwa 20 Prozent des Berliner Wärmebedarfs durch Geothermie gedeckt und dadurch über 3000 dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen werden. »Das ist eine regionale Wärmequelle, die die ganze Zeit da ist«, betont Efler.

Huneke stimmt ihm zwar zu. Sie verweist aber auf die hohen Investitionskosten. »Das Risiko ist sehr groß, dass dabei viel Geld versenkt wird.« Auch die BEW müsse langfristig wirtschaftlich bleiben und hätte man wider besseren Wissens einen höheren Anteil an Geothermie in den Dekarbonisierungsplan geschrieben, wäre das »Verarsche« gewesen. »Aber wenn jemand Ideen hat – wir stellen ein!«, sagt sie an das Publikum gerichtet.

Im Publikum entspinnt sich nun eine rege Diskussion, gerade zur Finanzierung der Wärmewende. Einige Verbraucher*innen befürchten, dass die Transformationskosten letztlich doch auf ihre privaten Heizkosten umgelegt werden. Die Podiumsgäste teilen diese Befürchtung. Bislang gebe es keine Möglichkeit, solche Kosten auf die Steuerzahler*innen, also auf die Allgemeinheit umzulegen. Bezahlt werde die Fernwärme vor allem von Menschen mit wenig Geld, gibt Hansen zu bedenken. Das liegt daran, dass überwiegend dicht bebaute Quartiere an das Fernwärmenetz angeschlossen sind, während bei Einfamilienhäusern meist der Einbau einer Wärmepumpe sinnvoller ist.

Klimaneutrale Wärme könne es aber auch nicht zum selben Preis geben wie vorher. »Energie wird teurer. Deshalb ist es politisch so wichtig, Akzeptanz dafür zu schaffen«, sagt Huneke mit Verweis auf die AfD. Diese Partei habe mit dem Slogan »Keine Heizung ist illegal« Wahlkampf gemacht, um die Stimmung zu beeinflussen. Huneke appelliert deshalb an die Entscheidungsträger auf Bundesebene, kommunale Unternehmen wie die BEW zu unterstützen.

Trotz aller Kritik am Fahrplan ist Efler hier ihrer Meinung: »Eine Refinanzierung der Wärme durch die Verbraucher geht gar nicht.«

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.